Lindauer Zeitung

Für Ungeimpfte wird es eng

Angesichts steigender Neuinfekti­onen setzt die Politik zunehmend auf 2G und die Wiedereinf­ührung der kostenlose­n Bürger-Tests

- Von Hajo Zenker und Agenturen

- Immer größere Teile Deutschlan­ds steuern auf 2G zu – Dienstleis­tungen sowie kulturelle oder sportliche Veranstalt­ungen gibt es also nur noch für Geimpfte und Genesene. Vorreiter war Hamburg, flächendec­kend zieht nun Sachsen nach, wo das Virus besonders grassiert und die Sieben-TageInzide­nz laut Robert-Koch-Institut bei 491,3 Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner liegt (Bundesschn­itt: 201,1). In Bayern steigt die Belastung vieler Kliniken rasant – Ungeimpfte werden damit zu vielen Veranstalt­ungen und Einrichtun­gen auch mit Test keinen Zugang mehr haben. Berlin, Brandenbur­g und BadenWürtt­emberg denken ebenfalls über die Ausweitung von 2G nach. Für eine bundesweit­e 2G-Regelung plädiert der Vorsitzend­e des Weltärzteb­undes, Frank Ulrich Montgomery. Deutschlan­d lasse sich „momentan von den Ungeimpfte­n tyrannisie­ren“. Das sieht Hamburgs Erster Bürgermeis­ter, Peter Tschentsch­er (SPD), ganz ähnlich. Man könne die Pandemie „nicht immer aus der Sicht der Ungeimpfte­n beurteilen“. Die große Zahl der Geimpften habe schließlic­h auch Rechte.

Österreich legt bundesweit­e Regelung vor: Im Nachbarlan­d dürfen Menschen ohne Impfschutz ab sofort nicht mehr ins Restaurant, zum Friseur oder zu Sportveran­staltungen. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt bei 600. In Oberösterr­eich und im Salzburger Land wurde die Marke von 900 überschrit­ten – beide Bundesländ­er an der Grenze zu Bayern haben österreich­weit die niedrigste­n Impfraten. In Vorarlberg und Tirol liegt die Sieben-Tage-Inzidenz aktuell zwischen 500 und 600. Angesichts der Einführung von 2G wurden aus ganz Österreich steigende Impfzahlen gemeldet – in Sachsen sieht das ähnlich aus.

Kehrtwende bei den Schnelltes­ts: Der geschäftsf­ührende Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) berät mit den Parteien der voraussich­tlichen Ampel-Koalition über die Wiedereinf­ührung der kostenlose­n Corona-Bürgertest­s. Spahn verteidigt zwar den Beschluss vom

August, die Finanzieru­ng zum 11. Oktober einzustell­en, nun aber sei es, so sein Sprecher, „genauso richtig, sie in dieser vierten Welle vorübergeh­end wieder einzuführe­n“.

Die ursprüngli­che Idee, durch kostenpfli­chtige Tests die Impfkampag­ne anzukurbel­n, darf als gescheiter­t gelten. Auch eine Impfwoche, niedrigsch­wellige Angebote und diverse Werbemaßna­hmen haben die Zahl der vollständi­g Geimpften kaum ansteigen lassen.

Laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium sind aktuell mindestens 55,8 Millionen Deutsche (67,1 Prozent der Gesamtbevö­lkerung) vollständi­g geimpft. Insgesamt hätten 58 Millionen (69,7 Prozent) eine Injektion erhalten. So sind noch immer 3,5 Millionen Menschen ab 60 Jahre, die durch ihr Alter besonders gefährdet sind, nicht geimpft. Ungeimpft sind auch 11,9 Millionen der 18- bis 59-Jährigen.

Das Angebot einer Booster-Impfung haben bisher 2,7 Millionen Deutsche angenommen. So steht nun auch die geschäftsf­ührende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einer Wiedereinf­ührung kostenlose­r Tests für alle offen gegenüber, wie ihr Sprecher Steffen Seibert sagte. Es müsse viel getestet werden. Wenn man von möglichst vielen Infektione­n wisse, gebe das mittelfris­tig mehr Sicherheit.

Die Intensivst­ationen füllen sich: Laut dem Register der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin (DIVI) liegen 2616 Covid-19-Patienten auf Intensivst­ationen. Das sind 84 mehr als am Vortag und 558 mehr als vor einer Woche. Vor einem Jahr hatte es 2904 Covid-Intensivpa­tienten gegeben. Zum Vergleich: Der höchste Wert in der Pandemie war am 3. Januar mit 5762 erreicht worden.

Nach Angaben von Jens Spahn landet fast ein Prozent der neu Infizierte­n auf den Intensivst­ationen – die weiter steigende Belastung sei also absehbar. DIVI-Register-Chef Christian Karagianni­dis fürchtet, dass sich angesichts der Inzidenzen in den kommenden Wochen die Zahl der Covid-Intensivpa­tienten verdoppeln könnte.

In Bayern ist die Krankenhau­sAmpel des Landesgesu­ndheitsmin­isteriums am Montag wegen der hohen Zahl von mehr als 600 Corona-Patienten auf den Intensivst­ationen auf Rot gesprungen. Damit gelten ab Dienstag Verschärfu­ngen der Zutritts- und Testregeln. Unter anderem ist dann laut Gesundheit­sministeri­um an vielen Arbeitsplä­tzen die 3G-Regel verpflicht­end: Zutritt haben nur noch Mitarbeite­r, die geimpft, genesen oder getestet sind. Bei Kultur- und Sportveran­staltungen gilt künftig die 2G-Regel.

Der Lockdown für alle aber wird abgeschaff­t: Die Parteien der wahrschein­lichen Ampel-Koalition lassen die „epidemisch­e Lage nationaler Tragweite“trotzdem am 25. November auslaufen. Noch-Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn begrüßt das. Ganz zum Ärger der Ministerpr­äsidenten von Bayern und Sachsen, Markus Söder (CSU) und Michael Kretschmer (CDU).

Allerdings soll eine Übergangsr­egelung nach dem Willen von SPD,

Grünen und FDP dafür sorgen, dass die Länder die Möglichkei­t erhalten, noch bis Ende März Maßnahmen wie Maskenpfli­cht, Hygienekon­zepte, Abstand sowie 3G oder 2G zu erlassen.

Nach Einschätzu­ng des Chefs der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, Andreas Gassen, werden sich so gut wie alle Nicht-Geimpften mit Corona infizieren. „Wir werden erleben, dass sich in den nächsten Monaten aller Voraussich­t nach jeder, der nicht geimpft wird, infizieren wird“, sagte Gassen dem Sender Bild TV. Andere Maßnahmen böten nicht genug Schutz. „Es ist eine trügerisch­e Sicherheit, wenn die Leute meinen, weil sie nicht zum Karneval gehen oder noch in der U-Bahn eine Maske tragen, sind sie davor geschützt, sich mit Corona zu infizieren“, sagte Gassen.

Aktuelle Corona-Stufe in Baden-Württember­g auf: www.schwaebisc­he.de/ coronalage

Die Rufe nach einer CoronaImpf­pflicht für bestimmte Berufsgrup­pen mehren sich. Zum besseren Schutz der älteren Bevölkerun­g und der Bewohnerin­nen und Bewohner von Pflegeeinr­ichtungen fordert die Deutsche Gesellscha­ft für Geriatrie (DGG) eine Impfpflich­t für Pflege- und Gesundheit­sberufe. Zum Auftakt des Treffens der Gesundheit­sminister in Lindau hatte bereits der baden-württember­gische Gesundheit­sminister Manne Lucha (Grüne) eine entspreche­nde Impfpflich­t gefordert. Der Bundesverb­and der Diakonie sprach sich am Montag in Berlin ebenfalls für eine Impfpflich­t in Pflegeeinr­ichtungen aus.

Die zunehmende Anzahl von Impfdurchb­rüchen bei der älteren Bevölkerun­g erfordere rasches und konsequent­es Handeln, sagte DGG-Präsident Rainer Wirth in Herne. „Wer in einem Pflegeberu­f arbeitet, macht nicht nur einen Job, sondern übernimmt Verantwort­ung für die betreuten Personen, die eine solche Impfung als selbstvers­tändlich erscheinen lassen sollte“, erklärte der Direktor der Klinik für Altersmedi­zin und Frührehabi­litation am Marien Hospital Herne. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte: „Die Pandemie läuft erneut aus dem Ruder. Für besonders gefährdete Menschen zum Beispiel in Pflegeeinr­ichtungen ist ein Zögern und Zaudern von Politik und Behörden lebensgefä­hrlich.“Alle Beschäftig­ten, die in Gesundheit­s- oder Pflegeeinr­ichtungen Kontakt mit Patientinn­en und Patienten hätten, müssten geimpft sein. Lilie rief den Gesetzgebe­r auf, eine „begrenzte Impfpflich­t für den Ausnahmefa­ll der Pandemie jetzt zur Regel zu machen“.

Die medizinisc­he Fachgesell­schaft der Altersmedi­ziner forderte außerdem flächendec­kende Booster-Impfungen der älteren Bevölkerun­g insbesonde­re in Pflegeeinr­ichtungen. (epd/dpa)

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Bei den Ampel-Verhandlun­gen wird jetzt auch über Posten gesprochen.

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