Bekenntnis zur Verantwortung
Französische Bischöfe räumen institutionelle Schuld der Kirche an Missbrauch ein
- Die katholischen Bischöfe Frankreichs erkennen die institutionelle Verantwortung der Kirche beim Kindesmissbrauch an. Eine unabhängige Kommission soll nun über Entschädigungen entscheiden.
Eine Woche lang hatte die Skulptur eines weinenden Kindergesichts die katholischen Bischöfe Frankreichs begleitet. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz ließ ein Foto davon an die Wand projizieren, als er am Montag die Abschlussrede der Herbstvollversammlung hielt. Der Junge oder das Mädchen stehe stellvertretend für alle in den vergangenen Jahrzehnten von Geistlichen missbrauchten Kinder, sagte Eric de Moulins-Beaufort. „Für dieses Kind haben wir nachgedacht, gearbeitet, entschieden.“Heraus kam ein spektakulärer Beschluss, der mit großer Mehrheit gefällt wurde: Die Bischöfe erkennen die institutionelle Verantwortung der Kirche für den Kindesmissbrauch an hochgerechnet 330 000 Betroffenen in den vergangenen 70 Jahren an. „Man kann nicht sagen, dass das Einzelfälle waren. Ein globaler Kontext hat dafür gesorgt, dass die Opfer nicht gehört wurden.“
Lange hatte die französische Kirchenhierarchie die Missbrauchsfälle als isolierte Taten Einzelner betrachtet und das Wort „Entschädigung“abgelehnt. Erst der erschreckende Bericht der unabhängigen Kommission Ciase, der Anfang Oktober vorgelegt wurde, hatte ein Umdenken bewirkt. Das 2000 Seiten lange Dokument bezifferte die Zahl der allein durch Geistliche missbrauchten Kinder seit 1950 auf 216 000. Wenn Laien wie beispielsweise Religionslehrerinnen
und -lehrer mit eingerechnet werden, rechnet der Bericht mit den bereits erwähnten 330 000 Opfern. „Diese Zahlen sind mehr als besorgniserregend. Sie sind erdrückend und dürfen nicht ohne Konsequenzen bleiben“, mahnte der Kommissionsvorsitzende Jean-Marc Sauvé.
Schon damals war klar, dass die Bischöfe und Ordensleute über ihre im Frühjahr beschlossenen Maßnahmen hinausgehen mussten. Die Erklärung vom Frühjahr sei nach den „schrecklichen Feststellungen“der Ciase zu schwach gewesen, sagte Moulins-Beaufort. Zusammen mit rund hundert Laien berieten die Kirchenmänner bei ihrer Herbsttagung in Lourdes deshalb über Konsequenzen aus dem Sauvé-Bericht. In ihrer Abschlusserklärung, die mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, sprechen die Bischöfe von einer „systemischen Dimension“der Gewalttaten.
Dieses offene Bekenntnis macht nun den Weg für eine Entschädigung der Opfer frei, die in den dreistelligen Millionenbereich gehen könnte. Dafür will die katholische Kirche, die sich in Frankreich ausschließlich aus Spenden finanziert, Immobilienbesitz verkaufen und einen Kredit aufnehmen. „Wir müssen deutlich höhere Summen zusammenbekommen als wir uns vorgestellt haben, wenn man das Ausmaß des Missbrauchs betrachtet, der in unserer Kirche verübt wurde“, räumte Moulins-Beaufort ein. Dennoch solle das Geld der Gläubigen dafür nicht herangezogen werden. Ein unabhängige Kommission soll die Schadensersatzforderungen der Opfer untersuchen und dann darüber entscheiden. „Wir sind nicht ausgebildet, um Ermittler oder Untersuchungsrichter zu sein“, sagte Moulins-Beaufort. Außerdem sollen vom Papst Franziskus entsandte Visitatoren in den einzelnen Bistümern prüfen, wie Maßnahmen zum Schutz der Kinder umgesetzt werden. Das Kirchenoberhaupt hatte bereits nach der Veröffentlichung des Sauvé-Berichts seinen „maßlosen Kummer“gezeigt.
Die Opfer des Kindesmissbrauchs, die vor allem eine Anerkennung der institutionellen Verantwortung gefordert hatten, zeigten sich zufrieden mit den Ergebnissen der Bischofskonferenz. „Das ist eine historische Etappe“, reagierte François Devaux, der vor Jahrzehnten in Lyon von einem Priester missbraucht worden war, in der Zeitung „Libération“. Der Fall rund um Devaux hatte den Kindesmissbrauch durch Geistliche in Frankreich erst zum Thema gemacht und zum Sturz des Kardinals von Lyon, Philippe Barbarin, geführt.