Lindauer Zeitung

Traum von Freiheit auf engstem Raum

In Australien boomt das Leben im Camper – Warum auch Jüngere seit der Pandemie das Nomadenleb­en bevorzugen

- Von Michelle Ostwald

(dpa) - Menekse Humphrey (48) und ihr Mann James (55) nennen ihren Van liebevoll „Putu“. Seit zwei Jahren ist er ihr Fahrzeug – und ihr Zuhause. Das deutsch-amerikanis­che Paar hat davor in Nürnberg gelebt, nun ist Australien die neue Heimat – zumindest bis es sie wieder in eine andere Weltgegend verschlägt. Die beiden sind Teil der immer größer werdenden „Van Life“-Bewegung: Menschen, die feste Wohnsitze und Bürojobs gegen ein ungebunden­es Leben „on the road“eintausche­n. „Aufzustehe­n, seinen Kaffee im Wohnmobil zu trinken und dann zu überlegen: ,Was mache ich heute?’ – das ist Freiheit“, sagt James Humphrey.

Die Sehnsucht nach einem entschleun­igten, simplen Leben ist es, was die „Van Lifer“verbindet. In sozialen Netzwerken teilt die Community Erfahrunge­n und Reisetipps oder Videos vom Camper-Ausbau und diskutiert die besten Stellplätz­e und Reisegerät­schaften. „Man trifft sich zum Lagerfeuer oder trinkt abends ein Bier“, sagt Menekse Humphrey. „Wer dieselbe Route fährt, findet sich früher oder später wieder.“

Aufwachen direkt am Strand des Pazifiks, den Sonnenunte­rgang am Ayers Rock vom Fahrzeug aus erleben oder unter dem Sternenhim­mel mitten im Outback parken: Viele „Van-Lifer“genießen es, immer inmitten von Australien­s beeindruck­ender Natur zu sein. Trotzdem kann das nomadenhaf­te Leben sehr verschiede­n aussehen.

Um den Traum zu finanziere­n, arbeiten und sparen einige mehrere Jahre lang. Andere unterbrech­en ihre Trips und nehmen Aushilfsjo­bs an oder arbeiten als Freelancer ortsungebu­nden. Auch die Fahrzeuge unterschei­den sich im Komfort und reichen von kleineren Vans, in die kaum mehr als eine Doppelmatr­atze passt, bis hin zu modernen Wohnwagen mit Küchenzeil­e, Waschmasch­ine und Bad.

„Wir sind mit unserem Van komplett unabhängig“, sagt Sue McLaurin (55). Mit ihrem Mann Nigel (58) reist sie seit Beginn der Corona-Pandemie durch Australien. Ihr rollendes Zuhause hat eine Küche, Toilette und Dusche sowie Solarplatt­en auf dem Dach. „Wir erzeugen unseren Strom selbst und können überall übernachte­n. Wir brauchen keine Zelte, wir schalten nur den Motor aus und sind da“, sagt Sue.

Die Maskenbild­nerin aus Brisbane hatte eigentlich davon geträumt, mehrere Jahre im Ausland zu reisen, nachdem ihr jüngster Sohn seinen Schulabsch­luss gemacht hatte. Aber bevor der Traum Wirklichke­it werden konnte, kam Corona. Im März 2020 hat Australien seine Grenzen rigoros geschlosse­n. Reisen ins Ausland sind erst seit Anfang November wieder erlaubt – und auch nur für einige Bundesstaa­ten.

Für Sue und Nigel war die Pandemie am Ende aber genau der richtige Augenblick, um das Leben im Van zu starten, wenn auch nicht im Ausland. Beide können derzeit wegen der Krise in ihren Berufen nicht weiter arbeiten. „Ich habe zu meinem Mann gesagt, lass uns den Van jetzt kaufen und ausbauen“, so Sue. Im Mai 2020 machten sie den Plan wahr. Nigel, Helikopter­pilot, baute das Fahrzeug um, dann reiste das Paar vier Monate durch das tropische Queensland.

Sogenannte graue Nomaden – Menschen im Rentenalte­r, die ohne festen Wohnsitz durch Australien reisen – gibt es in Down Under schon länger. Doch die Corona-Pandemie hat den „Van Life“-Lebensstil aus verschiede­nen Gründen auch bei jüngeren Generation­en beliebt gemacht. So sind die Immobilien­preise und Mieten besonders in Städten gestiegen. Für einige ist das Leben im Van derzeit geradezu eine finanziell­e Notwendigk­eit.

Außerdem mussten Australier, die während der Pandemie verreisen wollten, wegen der geschlosse­nen Grenzen notgedrung­en das eigene Land erkunden. Auch flexiblere Arbeitsbed­ingungen, die in der Pandemie für viele zur Norm geworden sind, machen den Lebensstil immer attraktive­r. Wer für den Job nur einen Computer und Internet benötigt, kann unkomplizi­ert von seinem Wagen aus arbeiten.

Die australisc­he Statistik-Behörde hat keine genauen Angaben dazu, wie viele Menschen in Australien in

Vans leben. Im Jahr 2021 sind aber bisher mehr als 772 000 Wohnmobile und Wohnwagen im ganzen Land registrier­t, berichtete der australisc­he Sender ABC zuletzt.

Die Corona-Krise hat einigen australisc­hen Nomaden derweil das Reisen auch erschwert. „Wir warten die ganze Zeit darauf, endlich nach South oder Western Australia einzureise­n“, sagt Menekse Humphrey. Die beiden Bundesstaa­ten haben ihre Grenzen aber noch geschlosse­n. „Als New South Wales im Lockdown war, mussten wir uns sogar eine Wohnung mieten – im Van leben war dort zu der Zeit nicht erlaubt.“Sue McLaurin und ihr Mann berichten zudem von ausgebucht­en Campingplä­tzen: „Wegen der größeren Distanz, die zwischen den Autos eingehalte­n werden musste, gab es weniger Stellplätz­e.“

Die junge Familie Excell aus South Australia hat die Pandemie im Norden Queensland­s hingegen zeitweise fast vergessen: „Wir lesen kaum Nachrichte­n, es gibt kaum Fälle, wir bekommen nichts mit von der Krise“, sagt Sarah Excell (38). Gemeinsam mit ihrem gleichaltr­igen Mann Sam und ihrer dreijährig­en Tochter Eva reist sie seit Mai im Wohnwagen durch Australien. Die Entscheidu­ng für den großen Sprung in die Freiheit hat die Familie nach einem Schicksals­schlag getroffen: Bei Sam wurde im Februar ALS diagnostiz­iert, eine schwere Erkrankung des motorische­n Nervensyst­ems, die zur vollständi­gen Lähmung und anschließe­nd zum Tod führt.

„Wir haben unser Haus verkauft, den Wohnwagen gekauft und sind einfach losgefahre­n“, erzählt Sarah. Einen Plan haben sie nicht, sie wollen so lange reisen, wie es Sam gesundheit­lich möglich ist. Noch kann er mit Krücken gehen, auch Auto fahren ist möglich. Die Familie hofft, so noch einige Jahre durch Australien touren zu können. „Der einfache Lebensstil tut uns gut, wir sind einfache Menschen“, sagt Sarah. „Wir wollen als Familie Momente erleben, an die wir uns immer erinnern können.“

 ?? FOTO: MENEKSE HUMPHREY/DPA ?? Australien, Ayers Rock: Menekse (li.) und James Humphrey sitzen neben ihrem Van und vor dem Uluru (Ayers Rock) im Outback Australien­s. Seit zwei Jahren ist er ihr Fahrzeug – und ihr Zuhause. Das deutsch-amerikanis­che Paar hat davor in Nürnberg gelebt, nun ist Australien die neue Heimat.
FOTO: MENEKSE HUMPHREY/DPA Australien, Ayers Rock: Menekse (li.) und James Humphrey sitzen neben ihrem Van und vor dem Uluru (Ayers Rock) im Outback Australien­s. Seit zwei Jahren ist er ihr Fahrzeug – und ihr Zuhause. Das deutsch-amerikanis­che Paar hat davor in Nürnberg gelebt, nun ist Australien die neue Heimat.

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