Lindauer Zeitung

Servus, Pfüate Rigoletto!

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Von Silja Meyer-Zurwelle

- Leise pfeifendes Einatmen, dunkel rollendes Ausatmen: Wer seit 2019 einmal in den Rängen vor der Bregenzer Seebühne Platz genommen hat, wird das Bild, das sich ihm zu Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“bot, so schnell nicht vergessen. Wie ein schlafende­r Riese präsentier­te sich der überdimens­ional große Kopf des Hofnarrs Rigoletto auf dem Wasser des Bodensees. Seit Ende August hat das spektakulä­re Bühnenbild von Regisseur Philipp Stölzl jedoch ausgedient und muss Platz machen für die nächste Inszenieru­ng, “Madame Butterfly“. Aber was passiert eigentlich mit dem tonnenschw­eren Aufbau?

„Natürlich gibt es immer wieder die Situation, dass Bauteile aus vergangene­n Produktion­en in der neuen Inszenieru­ng übernommen werden. In der Dimension, die ,Rigoletto’ hatte, ist dies jedoch nicht möglich“, sagt Wolfgang Urstadt. Seit 2015 hat er die Position des Technische­n Leiters bei der Kongressku­ltur Bregenz GmbH inne und ist damit für sämtliche technische Abläufe um die weltweit größte Seebühne verantwort­lich. 140 Tonnen hat die Gesamtkons­truktion von Rigoletto mit Kopf, Arm und Drehgelenk inklusive Ausgleichs­gewichten gewogen, allein 40 Tonnen davon hat der Clown-Kopf auf die imaginäre Waage gebracht. „Das schließt den Transport des Ganzen mehr oder weniger aus. Man kommt also nicht umhin, die Teile auseinande­rzunehmen“, erläutert der Technikche­f.

Es sei die traurige Wahrheit, dass viele Dinge, die auf der Bregenzer Bühne für die Spielzeite­n zum Leben erweckt werden, letztendli­ch wieder getrennt und recycelt würden, fügt Urstadt an. Nicht nur, dass in IndoorThea­tern gar nicht der nötige Platz für eine Weiterverw­endung wäre, auch müssen die Festspiele nach der Saison bei den Behörden nachweisen können, dass alles ordnungsge­mäß entsorgt wurde.

„Alles, was beispielsw­eise an Stahl verarbeite­t ist, hat natürlich einen Wert. Es wird also in einem komplizier­ten Trennungsv­erfahren eingeschmo­lzen und wieder als Stahl verwendet“, sagt Urstadt. Dabei ergebe sich für die Bregenzer Festspiele durchaus ein Vorteil. „Gerade ist der Alt-Stahlpreis so hoch, dass wir daran sogar gut verdienen.“Die Aufbauten werden vor Ort auf der Bühne abgerissen, dann auf ein Schiff nach Fussach verladen und in den dortigen Hafen transporti­ert. „In Fussach werden die Materialie­n, wie Holz, Putz, Styropor, Metall und Beton getrennt.“

Doch auch wenn der riesige Kopf des Rigoletto und seine beiden Hände, über die Gilda und Co. so viele Abende spazierten, sprangen und teilweise auch in den Seilen hingen, nun Geschichte sind, ein paar Dinge werden dennoch weiter existieren, verrät Urstadt. „Der Ballon, den Rigoletto in der Hand hielt und an dem Gilda in die Höhen stieg, wird mit Luft aufgeblase­n unter der Decke hängend weiter genutzt. Zwar nicht hier, aber dafür in England.“Das Interesse daran komme von der britischen Stuntfirma, die auch an der Bregenzer Produktion mitgewirkt hatte.

Ein Leben nach der Saison führen auch Rigolettos Zähne. Das Gebiss, das im Laufe jeder Vorstellun­g Stück für Stück entnommen wurde, habe neue Besitzer gefunden. Viele der Darsteller hätten einen Zahn als Andenken mitgenomme­n. Ähnlich sähe es bei Kostümen und Requisiten aus: „Wir betreiben immer einen Abverkauf nach der Saison, bei dem sich vor allem Karnevalsv­ereine gern mal ganze Kostümreih­en sichern. Außerdem nehmen sich auch die Darsteller gerne das Kleid oder die Hose, in dem sie die beiden Sommer über aufgetrete­n sind, mit nach Hause“, sagt Urstadt.

Er selbst hat übrigens auch einmal ein Erinnerung­sstück einer Inszenieru­ng erworben. „Die Terracotta-Krieger, die wir 2015 bei ,Turandot’ im Einsatz hatten, haben damals beim Abverkauf reißenden Absatz gefunden. Einer landete auch bei uns im Garten. Allerdings ist er mittlerwei­le verrottet“, erzählt er. Auch teils größere Stücke seien ab und an verkauft worden – so etwa der kupferne Elefant aus „Aida“an die Stahlbaufi­rma Rettich aus Bodman. Der Leuchtturm aus „Der fliegende Holländer“stehe nun auf der Donau-Insel in Wien.

Und dann sind da noch ganze Delegation­en von Kulturvera­nstaltern aus China, die Jahr für Jahr nach Bregenz reisen und Interesse für gesamte Bühnenbild­er äußern – so auch bei „Carmen“, „Turandot“und „Rigoletto“. „Die fragen meistens für Freizeitpa­rks und Ähnliches an. „Aber sobald die Verhandlun­gen ernst werden, wird es dann auch immer wieder ganz schnell still“, so Urstadt.

Technik und Hydraulik hingegen bleiben überwiegen­d fest vor Ort in Bregenz. Der Antrieb des Ballons aus „Rigoletto“kommt auch bei „Madame Butterfly“in diesem Sommer wieder zum Einsatz.

Apropos „Madame Butterfly“: Als Technische­r Leiter ist Wolfgang Urstadt einer der Ersten, die von dem neuen Bühnenbild erfahren. Kann er schon etwas verraten? „Da schwitzen wir auf jeden Fall an ganz anderer Stelle, als bei ,Rigoletto’. ,Madame Butterfly’ wird wieder ein großes Bühnenbild, bei dem uns eher die Feinheit der Oberfläche­n fordert. Bei ,Rigoletto’ ging es hingegen verstärkt um die vielen bewegliche­n Elemente und die Geschwindi­gkeiten, mit denen wir diese tonnenschw­eren Teile bewegen konnten.“

Gemeinsam mit 15 bis 20 weiteren Technikexp­erten aus seinem Team wird Wolfgang Urstadt den Bühnenbau auch für „Madame Butterfly“anleiten. Doch nun heißt es erst einmal „Servus, Pfüate Rigoletto“. „Für uns alle war das eine sehr, sehr besondere Produktion. Der Rigoletto-Kopf hatte eben mit seiner ganzen Mimik etwas so Menschlich­es, dass wir ihn hier schon vermissen werden.“

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 ?? FOTOS: TIM PUSNIK/BREGENZER FESTSPIELE ?? Die britische Stuntfrma, die bei „Rigoletto“mit von der Partie war, hat sich den Ballon gesichert. Er wird also weiterhin verwendet, wenn auch unter der Decke hängend. Der Rigoletto-Kopf hingegen wurde in seine Einzelteil­e zerlegt, die, nach Materialie­n getrennt, verschrott­et oder wiederverw­ertet werden.
FOTOS: TIM PUSNIK/BREGENZER FESTSPIELE Die britische Stuntfrma, die bei „Rigoletto“mit von der Partie war, hat sich den Ballon gesichert. Er wird also weiterhin verwendet, wenn auch unter der Decke hängend. Der Rigoletto-Kopf hingegen wurde in seine Einzelteil­e zerlegt, die, nach Materialie­n getrennt, verschrott­et oder wiederverw­ertet werden.
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