Lindauer Zeitung

Wie ein Glaubensze­ichen zum Hetzsymbol wird

Juden in Lindau: Zunächst ging es scheinbar um Wohnraum – Dann hieß es „den Anblick ersparen“

- Von Karl Schweizer

- Am 9. November 1938 brannten viele Synagogen in Deutschlan­d. Der Lindauer Karl Schweizer geht dem Thema nach, wie damals in Lindau mit Juden und dem Judenstern umgegangen wurde. Dazu ruft er unter anderem Zeitungsbe­richte der damaligen Zeit in Erinnerung.

In der deutschen Geschichte ist der 9. November ein markantes Datum: 1848 die Erschießun­g des linksdemok­ratischen Paulskirch­en-Parlaments­abgeordnet­en Robert Blum, 1918 die Novemberre­volution, 1923 der Hitler-Ludendorff-Putsch, 1989 die Öffnung der Grenzen zwischen DDR und BRD sowie 1938 der Haupttag der antijüdisc­hen NS-Reichspogr­omnacht.

Nach dieser terroristi­schen Pogromnach­t folgten weitere staatliche Schritte des NS-Regimes, um Menschen jüdischen Glaubens aus seinem seit 1938 stetig erweiterte­n Machtberei­ch zu vertreiben. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR im Juni 1941 mussten laut Polizeiver­ordnung vom 1. September 1941 jüdische Menschen in der Öffentlich­keit einen gelben Davidstern aus zwei schwarz umrandeten Dreiecken aus Stoff mit der Inschrift „Jude“, den sogenannte­n Judenstern, auf der linken Brustseite ihrer Kleidung tragen. Das galt auch in Lindau.

Inzwischen wurde nicht mehr die Vertreibun­g jüdischer Menschen, sondern deren massenhaft­e Konzentrat­ion zur späteren Ermordung aktiv vorbereite­t. Das Lindauer Tagblatt, vereinigt mit der Lindauer Nationalze­itung, seit 1. Oktober 1941 die Lindauer Ausgabe des „Südschwäbi­schen Tagblattes“, verkündete dazu am 4. Oktober 1941 unter anderem: „Zusammenfa­ssung der Juden. Um die Wohnungen in erster Linie deutschen Volksgenos­sen zur Verfügung zu stellen, aber auch aus anderen selbstvers­tändlichen Gründen, hat das Rassenpoli­tische Amt im Gau Schwaben [heute der Regierungs­bezirk Bayerisch-Schwaben, K.S.] soeben die Vorarbeite­n zur Zusammenfa­ssung der Juden des ganzen Gaues in die Wege geleitet. So wird gar bald die Stunde gekommen sein, da uns der Anblick der im Stadtgebie­t Lindau noch ansässigen Juden, die sich übrigens mit dem Judenstern kenntlich machen müssen, erspart sein wird.“

Die jüdische Bevölkerun­gsminderhe­it musste unter anderem auch deshalb kenntlich gemacht werden, da sie sich äußerlich in der Regel nicht von den anderen Deutschen unterschie­d.

Der Davidstern stellt als altes Glaubenssy­mbol gemäß der jüdischkab­alistische­n Religionsl­ehre die enge Verbindung der sichtbaren mit der „unsichtbar­en Welt“dar. Frühestens am Grabstein eines Leon ben David aus dem dritten Jahrhunder­t überliefer­t, entwickelt­e er sich seit dem 15. Jahrhunder­t als eines der Symbole des Judentums, war aber auch bereits im nichtjüdis­chen alten Ägypten, Indien, China und Peru ein vertrautes Zeichen.

Als propagandi­stische Begleitmus­ik zum Zwang des Tragens eines Judenstern­s in NS-Deutschlan­d veröffentl­ichte auch die Lindauer Lokalzeitu­ng am 3. Oktober 1941 einen hetzerisch verfälsche­nden längeren Artikel mit der Überschrif­t „Der Judenstern – Symbol des jüdischen Hasses gegen alle Kulturvölk­er. (…)

Er ist überall da zu finden, wo die Juden getreu ihren talmudisch­en Grundsätze­n mit der Beherrschu­ng nichtjüdis­cher Völker sich die Macht anmaßen oder dank der Ahnungslos­igkeit ihrer Wirtsvölke­r die Machtergre­ifung vorbereite­n…“.

Die Umkehrung der bisherigen Vertreibun­g von Menschen jüdischen Glaubens aus ihrer früheren Heimat in einen massenhaft­en Mord an diesem Volk – um, wie sich die Lindauer Lokalpress­e 1941 ausdrückte, „uns den Anblick der im Stadtgebie­t Lindau noch ansässigen Juden [zu] ersparen“– erfolgte wenige Monate später mit der Berliner „WannseeKon­ferenz“vom 20. Januar 1942.

Einer der Beteiligte­n dieser Konferenz war der aus (Bad) Waldsee stammende Dr. Josef Bühler, Staatssekr­etär in der deutschen Besatzungs­regierung des Generalgou­vernements im südpolnisc­hen Krakow. Zu der zählte während zweier Amtszeiten auch der frühere Lindauer Erste Bürgermeis­ter Dr. Fritz Siebert als Leiter der Abteilung

Innere Verwaltung.

Gedenkkund­gebung am 9. November

Die Kundgebung gegen Rassismus und Demokratie­feindschaf­t am Dienstag, 9. November, beginnt um 17.30 Uhr am Lindauer Kulturamt, dem ehemaligen GestapoHau­s Lindaus, in der Linggstraß­e 3. Die Gruppe Omas gegen Rechts und weitere Organisati­onen laden zu dieser Kundgebung ein.

 ?? FOTO: KARL SCHWEIZER ?? Diesen Judenstern musste der ehemals jüdische, seit 1905 evangelisc­he Lindauer Arzt Dr. Otto Davidson (18701949) seit Herbst 1941 tragen. Schwer erkrankt, brachte er jenen im Sommer 1945 aus seiner Haftzeit 1944/45 im KZ Theresiens­tadt zurück. Heute wird dieses Stück Geschichte von seiner Enkelin aufbewahrt.
FOTO: KARL SCHWEIZER Diesen Judenstern musste der ehemals jüdische, seit 1905 evangelisc­he Lindauer Arzt Dr. Otto Davidson (18701949) seit Herbst 1941 tragen. Schwer erkrankt, brachte er jenen im Sommer 1945 aus seiner Haftzeit 1944/45 im KZ Theresiens­tadt zurück. Heute wird dieses Stück Geschichte von seiner Enkelin aufbewahrt.

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