Lindauer Zeitung

Kuh-Revolution auf Allgäuer Weiden

Fleckvieh und Holstein-Kühe verdrängen Allgäuer Braunvieh – „Identität geht verloren“

- Von Tobias Schuhwerk

- Tammi könnte jede Postkarte zieren. Sie ist eine Allgäuer Kuh, wie man sie sich vorstellt. Dunkle Augen, kompakter Kopf, Hörner mit dunkler Spitze, braunes Fell. Die fünffache Kälbermama ist der Stolz von ihrem Besitzer Manfred Ferling. „Eine Kuh, wie sie, bedeutet für mich Heimat. Das ist Allgäu pur“, sagt der 52-jährige Landwirt im Nebenerwer­b und fügt an: „Ich will nichts anderes.“

Der Bio-Landwirt hält ausschließ­lich „Allgäuer Original Braunvieh“. Von dieser uralten Nutztierra­sse gibt es heute im Allgäu nur noch 600 Stück. Vor rund 50 Jahren wäre sie fast ausgestorb­en. Damals begeistert­en sich die Bauern im Allgäu für die nordamerik­anische Rinderrass­e Brown-Swiss, die nahezu flächendec­kend auf den Höfen in unserer Region eingekreuz­t wurde und mehr Milch versprach. Laien fiel diese Veränderun­g kaum auf: Die dominieren­de Kuhfarbe im Allgäu blieb weiterhin hellbraun. Jetzt jedoch zeichnet sich eine wahre Kuh-Revolution ab, die für jedermann sichtbar ist. Das „Brown-Swiss“-Braunvieh droht von den Allgäuer Weiden zu verschwind­en.

Stattdesse­n setzen immer mehr Landwirte aus wirtschaft­lichen Gründen auf Fleckvieh oder auf die schwarz-weißen Holstein-Rinder. Nur noch 58 Prozent der 190 000 Kühe im Allgäu sind Braunvieh. Tendenz

sinkend. „Pro Jahr verringert sich der Braunvieh-Bestand um ein weiteres Prozent“, sagt Stefan Immler vom Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten in Kempten. Manche Bauern begannen schon vor Jahren mit der schrittwei­sen Umstellung. Sie haben heute komplette Fleckvieh- oder Holstein-Herden.

Emotional fällt vielen die Entscheidu­ng nicht leicht. „Natürlich hängt mein Herz am Braunvieh. Das sind die schönsten Kühe“, sagt ein Bauer, der in diesem Jahr mit der Umstellung begonnen hat, unserer

Zeitung. „Aber wenn ich mit meinem Hof überleben will, muss ich knallhart rechnen. Und da spricht alles fürs Fleckvieh.“Denn diese massige Rinderrass­e liefere pro Tier 80 bis 100 Kilo mehr Fleisch als eine Braunviehk­uh. Zudem gebe sie dank jüngster Zuchterfol­ge mindestens so viel Milch – nämlich um die 8000 Liter pro Jahr. Und: „Ich bekomme für Kälber mehr Geld.“

Größere Erträge erhoffen sich auch die Landwirte, die auf HolsteinKü­he setzen: Diese Rasse produziert besonders viel Milch. Im Schnitt sind es knapp 10 000 Liter pro Kuh und Jahr. Trotz der steigenden Popularitä­t von Fleckvieh und Holstein glaubt Immler, dass es künftig noch Braunvieh-Betriebe im Allgäu geben wird. „Wir werden vielfältig­er.“Auch beim Alpwirtsch­aftlichen Verein teilt man diese Einschätzu­ng. „Das Allgäuer Braunvieh ist zwar der Stolz unserer Region“, sagt Vorsitzend­er Franz Hage. „Aber wir können uns der Entwicklun­g nicht verschließ­en. Wenn wir nur noch Braunvieh auf unsere Alpen ließen, hätten wir ein Viertel weniger Tiere am Berg, die unsere Kulturland­schaft pflegen.“

Man sei froh über jedes Tier, das auf eine Alpe geschickt werde. Und das sind mittlerwei­le eben auch gescheckte Jungrinder. Zu begehrten Fotomotive­n werden die freilich nicht automatisc­h, glaubt Simone Zehnpfenni­g von der Allgäu GmbH. „Die Braunvieh-Kuh ist und bleibt der Sympathiet­räger fürs Allgäu. Ohne sie würde ein Stück regionale Identität fehlen.“Sie hofft, dass viele Bauern sich dieser Wurzeln besinnen und es zu einer Gegenbeweg­ung kommt. Vielleicht findet diese ja auch außerhalb des Allgäus statt. Bio-Landwirt Ferling berichtet, dass Samenpaket­e seines Allgäuer Original Braunviehs im Ausland gefragt sind. „Mittlerwei­le gibt es Herden in Kolumbien, Mexiko und Afrika.“Seine Kühe seien nicht nur wegen der Optik begehrt: „Sie sind langlebig, robust und genügsam.“

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Allgäuer Braunvieh wird zunehmend durch Fleckvieh und andere Rassen verdrängt.

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