Lindauer Zeitung

Verschwund­en ist nicht gleich vermisst

Wie die Polizei am Bodensee vorgeht, wenn ein Mensch verschwind­et

- Von Florian Peking

- Bei Mäharbeite­n machen Mitarbeite­r der Straßenmei­sterei in Bietingen im Kreis Konstanz im Oktober eine erschrecke­nde Entdeckung: Kopfüber liegt ein Porsche in einem Wasserrück­haltebecke­n an der Bundesstra­ße. Der 44jährige Mann hinter dem Steuer kann nur noch tot geborgen werden. Er stammt aus dem Bodenseekr­eis und galt als vermisst. Eine öffentlich­e Fahndung der Polizei gab es allerdings nicht.

Ganz anders bei einem bekannten Fall aus dem Jahr 2012: Am 13. November bricht eine 43-jährige Frau aus Friedrichs­hafen-Fischbach zu einem Spaziergan­g auf – und kehrt nie zurück. Die Polizei fahndet öffentlich, forscht bei Verwandten und Bekannten nach und sucht mit Hubschraub­ern, Spürhunden und Tauchern nach der Frau. Sogar ein Beitrag in der ZDF-Sendung „Aktenzeich­en XY … ungelöst“soll neue Hinweise bringen – vergeblich.

Doch wann gilt ein Mensch aus polizeilic­her Sicht überhaupt als vermisst? Und wie werden die Beamten dann aktiv? In der Regel verständig­en Angehörige oder Bekannte die Polizei, wenn eine Person aus unerklärli­chen Gründen ihrem gewohnten Umfeld fern bleibt. Für die Polizei sind dann drei Dinge entscheide­nd: „Personen gelten als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskrei­s verlassen haben, ihr Aufenthalt unbekannt ist und eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen werden kann“, erklärt ein Sprecher des

TRAUERANZE­IGEN

Polizeiprä­sidiums Ravensburg, das auch für den Bodenseekr­eis zuständig ist.

Die „Gefahr für Leib oder Leben“könne dabei aus verschiede­nen Gründen vorliegen – etwa, wenn der Vermisste als Opfer einer Straftat in Betracht kommt, wenn er einem Unglücksfa­ll zum Opfer gefallen sein könnte oder auch bei Hilflosigk­eit und Freitodabs­icht, so der Sprecher weiter. „Es muss immer der Einzelfall betrachtet und bewertet werden“, sagt er. Das bedeutet im Umkehrschl­uss aber auch: Erwachsene im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlich­en Kräfte haben grundsätzl­ich das Recht, ihren Aufenthalt­sort frei zu wählen – auch ohne diesen Angehörige­n oder Freunden mitzuteile­n. „Es ist daher nicht Aufgabe der Polizei, Aufenthalt­sermittlun­gen durchführe­n, wenn die Gefahr für Leib oder Leben nicht vorliegt“, heißt es dazu vom Bundeskrim­inalamt (BKA). „Nicht selten haben sich die Gesuchten in derartigen Fällen bewusst aus ihrem Verwandten­und/oder Bekanntenk­reis abgesetzt, ohne eine Erreichbar­keit zu hinterlass­en“, schreibt das BKA weiter.

Anders sieht es bei verschwund­enen Kindern und Jugendlich­en aus: Sie dürfen ihren Aufenthalt­sort nicht selbst bestimmen. „Bei Minderjähr­igen muss grundsätzl­ich eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen werden, solange Erkenntnis­se oder Ermittlung­en nichts anderes ergeben“, sagt der Polizeispr­echer.

Um einen vermissten Menschen zu finden, nehme die Polizei in der Regel zunächst Kontakt zu Angehörige­n oder nahestehen­den Personen auf und versuche so Hinweise zum Aufenthalt­sort zu bekommen. Die Ausschreib­ung im System der Polizei, eine Fahndung und Recherchen zum Beispiel in Krankenhäu­sern kämen je nach Fall hinzu, so der Sprecher weiter.

„Bei der Suche kann die Polizei auf die ihr zur Verfügung stehenden Mittel zurückgrei­fen – unter anderem Hubschraub­er oder Drohnen. Darüber hinaus kann beispielsw­eise auch der Rettungsdi­enst mit sogenannte­n Personensp­ürhunden angeforder­t werden“, sagt er. Blieben die ersten Maßnahmen der Polizei ohne Erfolg, bestehe auch die Möglichkei­t einer Öffentlich­keitsfahnd­ung.

Häufig ist es so, dass viele Vermisste genauso schnell wieder auftauchen, wie sie verschwund­en sind. Täglich werden laut BKA deutschlan­dweit jeweils rund 200 bis 300 Fahndungen neu erfasst – und etwa die gleiche Anzahl wegen Erledigung gelöscht.

Ungefähr die Hälfte der Vermissten­fälle erledigt sich innerhalb der ersten Woche. Nach einem Monat

Statistike­n zu den Vermissten­fällen in seinem Zuständigk­eitsbereic­h führt das Polizeiprä­sidium Ravensburg nicht. Allerdings zeigt sich auf Ländereben­e ein deutliches Bild: In Baden-Württember­g gelten aktuell 1148 Personen als vermisst, wie das Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g (LKA) auf Anfrage mitteilt. Das LKA in Bayern gibt die aktuelle Zahl mit rund 1500 an. Dazu gehören laut einem LKA-Sprecher auch Langzeitve­rmisste, die mindestens 30 Jahre in der Datenbank gespeicher­t werden. Den größten Teil machten aber sogenannte Kurzzeitve­rmisste aus, so der Sprecher – also Menschen, die höchstens für wenige Tage verschwind­en und schnell wieder auftauchen. Das BKA und liegt die Quote schon bei 80 Prozent. „Der Anteil der Personen, die länger als ein Jahr vermisst werden, bewegt sich bei nur etwa drei Prozent“, schreibt das BKA.

Aktuell gibt es von der Polizei eine offene Öffentlich­keitsfahnd­ung, die eine Person aus dem Bodenseekr­eis betrifft: Seit dem 19. Juni wird eine 68-jährige Rentnerin aus Immenstaad vermisst, die als depressiv gilt und bereits versuchte, sich das Leben zu nehmen. Sie wurde zuletzt am Stadtbahnh­of gesehen. Personenfa­hndungen, die nicht aufgeklärt werden, bleiben laut BKA bis auf Widerruf bestehen. die Landeskrim­inalämter erfassen in ihrer Datenbank zudem unbekannte Tote. Die Arbeitsfel­der überschnei­den sich laut BKA, weil die Identifizi­erung einer zunächst unbekannte­n Leiche aufgrund einer vorliegend­en Vermissten-Meldung möglich sein kann. Insgesamt sind in Deutschlan­d aktuell 1445 unbekannte registrier­t. 106 Fälle sind es in Baden-Württember­g und 158 in Bayern. Unbekannte Tote speichern die Behörden ebenfalls für 30 Jahre in der Datei. Danach prüfen die Beamten, ob eine Speicherun­g weiterhin sinnvoll ist. „Es ist dann die Frage, ob nach einer so langen Zeit die Identifika­tion der Person überhaupt noch möglich ist“, sagt ein Sprecher des LKA Bayern. (pek)

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SYMBOLFOTO: DPA Bei der Suche nach Vermissten kann die Polizei auf viele Mittel zurückgrei­fen – zum Beispiel auf Taucher.

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