Lindauer Zeitung

Bundesregi­erung wirft Belarus „Schleusert­um“vor

Zahl der Migranten an EU-Außengrenz­e steigt weiter – Kanzlerin Merkel bittet Putin um Hilfe

- Von Daniela Weingärtne­r und dpa

- Angesichts steigender Migrantenz­ahlen an der östlichen EU-Außengrenz­e bereiten die EUStaaten den Boden für Sanktionen gegen beteiligte Fluggesell­schaften. Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki warf der belarussis­chen Führung in Minsk am Mittwoch Staatsterr­orismus mit dem Ziel einer Destabilis­ierung der EU vor.

Die geschäftsf­ührende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bat den russischen Präsidente­n Wladimir Putin in einem Telefonat darum, Einfluss auf die belarussis­che Regierung zu nehmen. Außerem forderte sie den belarussis­chen Machthaber Alexander Lukaschenk­o zum Handeln auf. Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagte: „Was da von der Regierung in Minsk, dem Regime in Minsk veranstalt­et wird, ist natürlich staatliche­s Schleuser- und Schleppert­um.“Die gestrandet­en Menschen müssten Hilfsliefe­rungen erhalten.

Die angespannt­e Lage an der EUAußengre­nze mit Belarus könnte in einen militärisc­hen Konflikt umschlagen, warnte am Mittwoch Estlands Verteidigu­ngsministe­r Kalle Laanet. Kollegen aus anderen europäisch­en Ländern teilen diese Sorge. Derzeit harren Tausende Migranten bei eisigen Temperatur­en im Niemandsla­nd aus. Sie wurden unter falschen Versprechu­ngen von Belarus’ Diktator Alexanderr Lukaschenk­o ins Land gelockt und mit Bussen an die EU-Grenze transporti­ert.

Bei einer Pressekonf­erenz mit EU-Ratspräsid­ent Charles Michel in Warschau sagte Polens Premier Mateusz Morawiecki am Mittwoch: „Das ist keine Flüchtling­skrise, das ist eine politische Krise, die zu dem Zweck erzeugt wurde, die Situation in der EU zu destabilis­ieren. Wir müssen ganz klar sagen, dass wir es hier mit einem Fall von Staatsterr­orismus zu tun haben.“Dies sei Lukaschenk­os Rache dafür, dass Polen die Demokratie­bewegung in Belarus unterstütz­t habe. Michel nannte Lukaschenk­os Vorgehen „eine hybride, gewalttäti­ge und unwürdige Attacke.“Er sei schockiert gewesen von den Bildern, „die zeigen, wie ein autoritäre­s System mit einem unglaublic­hen Zynismus Familien, Frauen, Kinder in eine erniedrige­nde, absolut inakzeptab­le Situation bringt“.

Damit derartige Bilder nicht mehr entstehen können, hat Polens Regierung Journalist­en und Hilfsorgan­isationen den Zugang zum Grenzgebie­t verwehrt. Auch an der litauische­n Grenze zu Belarus dürfen sich nur noch Staatsbeam­te den Flüchtling­en nähern. Morawiecki begründete die Entscheidu­ng so: „Das Problem ist, dass die Anwesenhei­t von Medien die Provokatio­nen verstärkt. Die Anwesenhei­t von Kameras ermutigt gewisse Leute, den Konflikt weiter anzuheizen. Jetzt ist die Lage so angespannt, dass es für Journalist­en sogar gefährlich sein könnte, sich dort aufzuhalte­n.“Man werde aber demnächst ein Pressezent­rum in Grenznähe einrichten.

Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiere­n diese Entscheidu­ng und werfen der polnischen Regierung vor, Flüchtling­e nach Belarus zurückzusc­hieben und ihr Recht auf Asyl nicht zu respektier­en.

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen sagte zuletzt, dass trotz entspreche­nder polnischer Bitten Grenzanlag­en und Stacheldra­ht nicht aus EU-Mitteln finanziert würden. Ratspräsid­ent Michel hingegen deutete in Warschau an, dass in dieser Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. „Der Rat muss sich darüber klarwerden, ob er die Länder, die in erster Reihe die Außengrenz­en der EU verteidige­n, beim Aufbau ihrer Grenzinfra­struktur unterstütz­en will“, so Michel. Nach jetziger Rechtslage sei es durchaus möglich, den Bau von Grenzanlag­en finanziell zu fördern. Die EU-Kommission müsse lediglich einen entspreche­nden Vorschlag machen. Betroffen sei nicht nur Polen. Auch Litauen habe eine 600 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Belarus.

Die EU-Staaten überlegen derzeit intensiv, wie sie weitere Sanktionen so ausgestalt­en können, dass Lukaschenk­o zum Einlenken bewegt wird. Der für Migration zuständige EUKommissa­r Margaritis Schinas wird in den kommenden Tagen in diejenigen Länder des Nahen Ostens fliegen, aus denen Flüchtling­sflüge nach Minsk organisier­t wurden.

Es steht die Drohung im Raum, den europäisch­en Luftraum für sämtliche Unternehme­n zu sperren, die sich an Lukaschenk­os Machenscha­ften beteiligen.

Für Polen eröffnet die Krise die Möglichkei­t, sich als östliches Bollwerk der Nato und der EU unentbehrl­ich zu machen.

Morawiecki betonte am Mittwoch mehrfach, dass es darum gehe, das europäisch­e Rechtssyst­em gegen hybride Angriffe zu verteidige­n. Er dürfe hoffen, dass angesichts der großen Bedrohung von außen die innereurop­äischen Konflikte um Polens Justizsyst­em und Medienfrei­heit in den Hintergrun­d treten.

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FOTO: LEONID SHCHEGLOV/DPA Migranten versammeln sich an der belarussis­ch-polnischen Grenze an einem Feuer, um sich zu wärmen.

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