Bundesregierung wirft Belarus „Schleusertum“vor
Zahl der Migranten an EU-Außengrenze steigt weiter – Kanzlerin Merkel bittet Putin um Hilfe
- Angesichts steigender Migrantenzahlen an der östlichen EU-Außengrenze bereiten die EUStaaten den Boden für Sanktionen gegen beteiligte Fluggesellschaften. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki warf der belarussischen Führung in Minsk am Mittwoch Staatsterrorismus mit dem Ziel einer Destabilisierung der EU vor.
Die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bat den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Telefonat darum, Einfluss auf die belarussische Regierung zu nehmen. Außerem forderte sie den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zum Handeln auf. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Was da von der Regierung in Minsk, dem Regime in Minsk veranstaltet wird, ist natürlich staatliches Schleuser- und Schleppertum.“Die gestrandeten Menschen müssten Hilfslieferungen erhalten.
Die angespannte Lage an der EUAußengrenze mit Belarus könnte in einen militärischen Konflikt umschlagen, warnte am Mittwoch Estlands Verteidigungsminister Kalle Laanet. Kollegen aus anderen europäischen Ländern teilen diese Sorge. Derzeit harren Tausende Migranten bei eisigen Temperaturen im Niemandsland aus. Sie wurden unter falschen Versprechungen von Belarus’ Diktator Alexanderr Lukaschenko ins Land gelockt und mit Bussen an die EU-Grenze transportiert.
Bei einer Pressekonferenz mit EU-Ratspräsident Charles Michel in Warschau sagte Polens Premier Mateusz Morawiecki am Mittwoch: „Das ist keine Flüchtlingskrise, das ist eine politische Krise, die zu dem Zweck erzeugt wurde, die Situation in der EU zu destabilisieren. Wir müssen ganz klar sagen, dass wir es hier mit einem Fall von Staatsterrorismus zu tun haben.“Dies sei Lukaschenkos Rache dafür, dass Polen die Demokratiebewegung in Belarus unterstützt habe. Michel nannte Lukaschenkos Vorgehen „eine hybride, gewalttätige und unwürdige Attacke.“Er sei schockiert gewesen von den Bildern, „die zeigen, wie ein autoritäres System mit einem unglaublichen Zynismus Familien, Frauen, Kinder in eine erniedrigende, absolut inakzeptable Situation bringt“.
Damit derartige Bilder nicht mehr entstehen können, hat Polens Regierung Journalisten und Hilfsorganisationen den Zugang zum Grenzgebiet verwehrt. Auch an der litauischen Grenze zu Belarus dürfen sich nur noch Staatsbeamte den Flüchtlingen nähern. Morawiecki begründete die Entscheidung so: „Das Problem ist, dass die Anwesenheit von Medien die Provokationen verstärkt. Die Anwesenheit von Kameras ermutigt gewisse Leute, den Konflikt weiter anzuheizen. Jetzt ist die Lage so angespannt, dass es für Journalisten sogar gefährlich sein könnte, sich dort aufzuhalten.“Man werde aber demnächst ein Pressezentrum in Grenznähe einrichten.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Entscheidung und werfen der polnischen Regierung vor, Flüchtlinge nach Belarus zurückzuschieben und ihr Recht auf Asyl nicht zu respektieren.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte zuletzt, dass trotz entsprechender polnischer Bitten Grenzanlagen und Stacheldraht nicht aus EU-Mitteln finanziert würden. Ratspräsident Michel hingegen deutete in Warschau an, dass in dieser Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. „Der Rat muss sich darüber klarwerden, ob er die Länder, die in erster Reihe die Außengrenzen der EU verteidigen, beim Aufbau ihrer Grenzinfrastruktur unterstützen will“, so Michel. Nach jetziger Rechtslage sei es durchaus möglich, den Bau von Grenzanlagen finanziell zu fördern. Die EU-Kommission müsse lediglich einen entsprechenden Vorschlag machen. Betroffen sei nicht nur Polen. Auch Litauen habe eine 600 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Belarus.
Die EU-Staaten überlegen derzeit intensiv, wie sie weitere Sanktionen so ausgestalten können, dass Lukaschenko zum Einlenken bewegt wird. Der für Migration zuständige EUKommissar Margaritis Schinas wird in den kommenden Tagen in diejenigen Länder des Nahen Ostens fliegen, aus denen Flüchtlingsflüge nach Minsk organisiert wurden.
Es steht die Drohung im Raum, den europäischen Luftraum für sämtliche Unternehmen zu sperren, die sich an Lukaschenkos Machenschaften beteiligen.
Für Polen eröffnet die Krise die Möglichkeit, sich als östliches Bollwerk der Nato und der EU unentbehrlich zu machen.
Morawiecki betonte am Mittwoch mehrfach, dass es darum gehe, das europäische Rechtssystem gegen hybride Angriffe zu verteidigen. Er dürfe hoffen, dass angesichts der großen Bedrohung von außen die innereuropäischen Konflikte um Polens Justizsystem und Medienfreiheit in den Hintergrund treten.