Strahlende Zukunft
Großbritannien setzt auf Atomkraft – Rolls-Royce will dazu Reaktoren für U-Boote weiterentwickeln
- Kleine Atomkraftwerke gegen die Klimakrise: Mit dem Vorschlag hat der Turbinenbauer RollsRoyce (RR) Privatinvestoren sowie die britische Regierung von Premier Boris Johnson für ein Investitionsprogramm gewonnen. Mit zunächst 405 Millionen Pfund (474 Millionen Euro) soll ein ausgereiftes Design entstehen, das die Genehmigungshürden überwindet. Der RR-Idee zufolge würden Mitte des kommenden Jahrzehnts 16 Mini-Reaktoren auf bereits bestehenden Standorten in Großbritannien Strom für je eine Million Haushalte erzeugen.
Der Triebwerks- und Rüstungskonzern, ansässig im mittelenglischen Derby und Mutter des Friedrichshafener Motorenbauers RollsRoyce Power Systems, verfügt seit Langem über eine Nuklearsparte. Dort werden unter anderem die Nuklearreaktoren gebaut, mit denen das Unternehmen die britische U-Bootflotte bestückt hat – Hauptgrund dafür, dass die britische Regierung an RR eine sogenannte goldene Aktie hält, mit der Großbritannien die Geschicke des Unternehmens bestimmt.
Mit geduldiger Lobbyarbeit hat RR-Chef Warren East seinem Unternehmen nun saftige Subventionen vom Staat gesichert. Zum Entwicklungsprojekt des „kleinen Modulreaktors“(auf Englisch:
kurz SMR) steuert Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng umgerechnet 246 Millionen Euro bei. Es handele sich um eine einmalige Gelegenheit, schwärmt der Konservative, „für mehr Energie mit wenig CO2Ausstoß sowie für größere Unabhängigkeit in der Elektrizitätsversorgung“. Für die Brexit-Regierung geht es im Rahmen ihres vollmundig „grüne industrielle Revolution“genannten Investitionsprogramms auch um gut bezahlte Jobs in der verarbeitenden Industrie an bisher vernachlässigten Standorten des Landes, vor allem im Norden Englands.
Die weiteren 228 Millionen Euro kommen außer von RR selbst vom US-Energiekonzern Exelon Generation sowie der Holding BNF Resources. Letztere gehört der französischen Unternehmerfamilie Perrodo, Besitzer der Ölfirma Perenco. Die Firmenmatriarchin Carrie Perrodo lebt in London.
Wie die Mini-Reaktoren technisch funktionieren und wirtschaftlich produzieren können, wird auch in den USA und Frankreich erforscht. Gerade erst hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Staatskonzern EDF eine Milliarde Euro in Aussicht gestellt, damit soll binnen eines Jahrzehnts ein eigenes SMR-Modell entwickelt werden.
Nach Angaben von Rolls-Royce haben die Kraftwerke einen Platzbedarf von der Größe zweier Fußballfelder. Standorte gebe es im Land genug, nämlich überall dort, wo schon bisher Atomkraftwerke entweder noch arbeiten oder mittlerweile abgeschaltet wurden. Die Akzeptanz für die Technik bleibt auf der Insel hoch: Anders als in vielen kontinentaleuropäischen Ländern befürworten die Briten die Atomkraft als Teil des Energiemix: Rund zwei Drittel der Bevölkerung denken so.
Wenn die Design- und Genehmigungsphase nach Plan verläuft, soll der erste SMR in zehn Jahren ans Netz gehen. Den Einzelpreis der ersten fünf Mini-Kraftwerke veranschlagt das Unternehmen mit 2,57 Milliarden Euro, weitere Anlagen könnten dann zum günstigeren Preis von 2,1 Milliarden Euro gebaut werden. Dazu soll die Herstellung von rund 90 Prozent des gesamten Baus an zentralen Standorten beitragen, vor Ort müssten dann die vorgefertigten Anlagenteile nur noch zusammengefügt werden. Außerdem hofft RR auf florierenden Export. Schließlich seien auch viele andere Länder weltweit auf der Suche nach einer Energieversorgung, bei der wenig Treibhausgase entstehen.
Trifft dies aber auf die Atomkraft wirklich zu? Immer wieder haben Kritiker auf die hohe Emissionsbelastung des Uran-Abbaus hingewiesen. Auch bleiben die Folgekosten und die Klimabelastung der endgültigen Atommüll-Lagerung ungeklärt. Paul Dorfman vom Thinktank NCG weist zudem auf die Gefährdung der vermeintlich klimafreundlichen Reaktoren durch den Klimawandel hin: Weil viele britische Atomkraftstandorte nahe der Küste liegen, um die Versorgung mit Kühlwasser sicherzustellen, könnten erhöhte Meeresspiegel und Sturmfluten in den kommenden Jahrzehnten ernstzunehmende Risiken darstellen.
Die Kernenergie trägt derzeit rund 20 Prozent zum Strombedarf Großbritanniens bei. Allerdings werden nach bisheriger Planung mehr als die Hälfte der Reaktoren, die gemeinsam 7,8 Gigawatt erzeugen, bis 2025 abgeschaltet. Das einzige Neubauprojekt Hinkley Point (Grafschaft Somerset) soll von 2024 an 3,2 Megawatt erzeugen, beteuert der Konsortialführer EDF; die französische Staatsfirma hatte 2008 den britischen Atombetreiber British Energy übernommen. Die Kosten des Neubaus sind auf mittlerweile 26,9 Milliarden Euro gestiegen. Ein weiterer Neubau in Sizewell (Grafschaft Suffolk) liegt einstweilen auf Eis, weil die britische Regierung Bedenken gegen die Beteiligung des staatlichen, chinesischen Konzerns CGN hegt.