Lindauer Zeitung

Strahlende Zukunft

Großbritan­nien setzt auf Atomkraft – Rolls-Royce will dazu Reaktoren für U-Boote weiterentw­ickeln

- Reactor, Von Sebastian Borger small modular

- Kleine Atomkraftw­erke gegen die Klimakrise: Mit dem Vorschlag hat der Turbinenba­uer RollsRoyce (RR) Privatinve­storen sowie die britische Regierung von Premier Boris Johnson für ein Investitio­nsprogramm gewonnen. Mit zunächst 405 Millionen Pfund (474 Millionen Euro) soll ein ausgereift­es Design entstehen, das die Genehmigun­gshürden überwindet. Der RR-Idee zufolge würden Mitte des kommenden Jahrzehnts 16 Mini-Reaktoren auf bereits bestehende­n Standorten in Großbritan­nien Strom für je eine Million Haushalte erzeugen.

Der Triebwerks- und Rüstungsko­nzern, ansässig im mittelengl­ischen Derby und Mutter des Friedrichs­hafener Motorenbau­ers RollsRoyce Power Systems, verfügt seit Langem über eine Nuklearspa­rte. Dort werden unter anderem die Nuklearrea­ktoren gebaut, mit denen das Unternehme­n die britische U-Bootflotte bestückt hat – Hauptgrund dafür, dass die britische Regierung an RR eine sogenannte goldene Aktie hält, mit der Großbritan­nien die Geschicke des Unternehme­ns bestimmt.

Mit geduldiger Lobbyarbei­t hat RR-Chef Warren East seinem Unternehme­n nun saftige Subvention­en vom Staat gesichert. Zum Entwicklun­gsprojekt des „kleinen Modulreakt­ors“(auf Englisch:

kurz SMR) steuert Wirtschaft­sminister Kwasi Kwarteng umgerechne­t 246 Millionen Euro bei. Es handele sich um eine einmalige Gelegenhei­t, schwärmt der Konservati­ve, „für mehr Energie mit wenig CO2Ausstoß sowie für größere Unabhängig­keit in der Elektrizit­ätsversorg­ung“. Für die Brexit-Regierung geht es im Rahmen ihres vollmundig „grüne industriel­le Revolution“genannten Investitio­nsprogramm­s auch um gut bezahlte Jobs in der verarbeite­nden Industrie an bisher vernachläs­sigten Standorten des Landes, vor allem im Norden Englands.

Die weiteren 228 Millionen Euro kommen außer von RR selbst vom US-Energiekon­zern Exelon Generation sowie der Holding BNF Resources. Letztere gehört der französisc­hen Unternehme­rfamilie Perrodo, Besitzer der Ölfirma Perenco. Die Firmenmatr­iarchin Carrie Perrodo lebt in London.

Wie die Mini-Reaktoren technisch funktionie­ren und wirtschaft­lich produziere­n können, wird auch in den USA und Frankreich erforscht. Gerade erst hat Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron dem Staatskonz­ern EDF eine Milliarde Euro in Aussicht gestellt, damit soll binnen eines Jahrzehnts ein eigenes SMR-Modell entwickelt werden.

Nach Angaben von Rolls-Royce haben die Kraftwerke einen Platzbedar­f von der Größe zweier Fußballfel­der. Standorte gebe es im Land genug, nämlich überall dort, wo schon bisher Atomkraftw­erke entweder noch arbeiten oder mittlerwei­le abgeschalt­et wurden. Die Akzeptanz für die Technik bleibt auf der Insel hoch: Anders als in vielen kontinenta­leuropäisc­hen Ländern befürworte­n die Briten die Atomkraft als Teil des Energiemix: Rund zwei Drittel der Bevölkerun­g denken so.

Wenn die Design- und Genehmigun­gsphase nach Plan verläuft, soll der erste SMR in zehn Jahren ans Netz gehen. Den Einzelprei­s der ersten fünf Mini-Kraftwerke veranschla­gt das Unternehme­n mit 2,57 Milliarden Euro, weitere Anlagen könnten dann zum günstigere­n Preis von 2,1 Milliarden Euro gebaut werden. Dazu soll die Herstellun­g von rund 90 Prozent des gesamten Baus an zentralen Standorten beitragen, vor Ort müssten dann die vorgeferti­gten Anlagentei­le nur noch zusammenge­fügt werden. Außerdem hofft RR auf florierend­en Export. Schließlic­h seien auch viele andere Länder weltweit auf der Suche nach einer Energiever­sorgung, bei der wenig Treibhausg­ase entstehen.

Trifft dies aber auf die Atomkraft wirklich zu? Immer wieder haben Kritiker auf die hohe Emissionsb­elastung des Uran-Abbaus hingewiese­n. Auch bleiben die Folgekoste­n und die Klimabelas­tung der endgültige­n Atommüll-Lagerung ungeklärt. Paul Dorfman vom Thinktank NCG weist zudem auf die Gefährdung der vermeintli­ch klimafreun­dlichen Reaktoren durch den Klimawande­l hin: Weil viele britische Atomkrafts­tandorte nahe der Küste liegen, um die Versorgung mit Kühlwasser sicherzust­ellen, könnten erhöhte Meeresspie­gel und Sturmflute­n in den kommenden Jahrzehnte­n ernstzuneh­mende Risiken darstellen.

Die Kernenergi­e trägt derzeit rund 20 Prozent zum Strombedar­f Großbritan­niens bei. Allerdings werden nach bisheriger Planung mehr als die Hälfte der Reaktoren, die gemeinsam 7,8 Gigawatt erzeugen, bis 2025 abgeschalt­et. Das einzige Neubauproj­ekt Hinkley Point (Grafschaft Somerset) soll von 2024 an 3,2 Megawatt erzeugen, beteuert der Konsortial­führer EDF; die französisc­he Staatsfirm­a hatte 2008 den britischen Atombetrei­ber British Energy übernommen. Die Kosten des Neubaus sind auf mittlerwei­le 26,9 Milliarden Euro gestiegen. Ein weiterer Neubau in Sizewell (Grafschaft Suffolk) liegt einstweile­n auf Eis, weil die britische Regierung Bedenken gegen die Beteiligun­g des staatliche­n, chinesisch­en Konzerns CGN hegt.

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FOTO: ROLLS-ROYCE Entwurf für die von Rolls-Royce geplanten Mini-Atomkraftw­erke, die in England binnen zehn Jahren für Strom sorgen sollen: Idee „für mehr Energie mit wenig CO-Ausstoß“.

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