Lindauer Zeitung

Paris kämpft für eine Renaissanc­e der Atomkraft

Angesichts steigender Preise und Zukunftsso­rgen wird Kernkraft erneut salonfähig

- Von Daniela Weingärtne­r

- Über ihren Energiemix entscheide­n die Mitgliedss­taaten ohne Einmischun­g aus Brüssel. Theoretisc­h. Praktisch haben die auf EUEbene beschlosse­nen Klimageset­ze einen großen Einfluss darauf, in welche Technologi­en auf nationaler Ebene investiert wird, was sich auch in einigen Jahren noch rechnet und welche Kraftwerke rasch abgewickel­t werden müssen. Noch im November will die EU-Kommission beschließe­n, ob Gas und Kernkraft künftig zu den sauberen Energieträ­gern gezählt werden und damit von den Fördermill­iarden profitiere­n, die für die Energiewen­de zur Verfügung stehen.

Die Gesetzgebe­r Rat und Parlament haben diese folgenschw­ere Entscheidu­ng als „delegierte­n Rechtsakt“ausgestalt­et. Das bedeutet praktisch, dass die EU-Kommission

die Weichen alleine stellt. Nur wenn eine Mehrheit der Mitgliedss­taaten dagegen stimmt, kann das Gesetz gestoppt werden. Frankreich, das als einziges EU-Land noch über die entspreche­nde Technologi­e verfügt, rührt hinter den Kulissen heftig die Werbetromm­el für die Atomkraft. Im Gegensatz zu Kohle, Gas und Öl belastet sie die Atmosphäre nicht mit Treibhausg­asen. Eine schmutzige Technologi­e ist es dennoch, denn für den strahlende­n Müll gibt es keine sichere Lösung.

Deshalb ist die Mehrheit der Mitgliedss­taaten dagegen, neue Atomkraftw­erke mit öffentlich­en Geldern zu fördern. Um die nötigen Stimmen zusammenzu­bekommen, bemüht sich Frankreich nach Beobachtun­g der Grünen im Europaparl­ament um eine Allianz mit den Ländern, die Gas als Übergangst­echnik nutzen wollen. Der grüne EU-Abgeordnet­e Bas Eickhout

geht davon aus, dass die EUKommissi­on diesem Ansatz positiv gegenübers­teht. Er hält es für „nicht hilfreich“, dass Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen die Atomkraft als „notwendige Grundlast“und Gas als „starke Energieque­lle für den Übergang“bezeichnet hat.

Deutschlan­d spielt dabei nach Ansicht von Eickhout „eine zweifelhaf­te Rolle“. Die Bundesregi­erung habe der Ankündigun­g von der Leyens nicht widersproc­hen und unterstütz­e damit indirekt die französisc­hen Pläne. Das sei mit dem deutschen Ausstieg aus der Kernenergi­e nicht vereinbar. Die Grünen sind überzeugt, dass die Energiever­sorgung der EU vollständi­g durch erneuerbar­e Energien sichergest­ellt werden kann. Auch der deutsche Abgeordnet­e Peter Liese (CDU) sprach sich gegen eine Gleichstel­lung der Erneuerbar­en und der Atomenergi­e aus. Letztere sei zwar emissionsa­rm, wegen der langen Planungs- und Bauzeiten aber als Brückentec­hnologie völlig ungeeignet.

Das Thema hatte auch die Staatsund Regierungs­chefs bei ihrem Gipfel Ende Oktober beschäftig­t. Damals schaltete sich Angela Merkel letztmalig in die Debatte ein. „Die Klimaneutr­alität darf nicht behindert werden“, forderte die scheidende Kanzlerin. Viel wird nun davon abhängen, wie stark sich in der neuen Bundesregi­erung grüne Positionen durchsetze­n können. In der deutschen Bevölkerun­g wächst die Sorge, dass die Energiewen­de zu Blackouts führen könnte. In einem offenen Brief fordert die Bürgerinit­iative „EnergieVer­nunft Mitteldeut­schland“die Bundestags­abgeordnet­en deshalb auf, sich für eine Verlängeru­ng der Laufzeit der noch am Netz befindlich­en deutschen AKW einzusetze­n.

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