Paris kämpft für eine Renaissance der Atomkraft
Angesichts steigender Preise und Zukunftssorgen wird Kernkraft erneut salonfähig
- Über ihren Energiemix entscheiden die Mitgliedsstaaten ohne Einmischung aus Brüssel. Theoretisch. Praktisch haben die auf EUEbene beschlossenen Klimagesetze einen großen Einfluss darauf, in welche Technologien auf nationaler Ebene investiert wird, was sich auch in einigen Jahren noch rechnet und welche Kraftwerke rasch abgewickelt werden müssen. Noch im November will die EU-Kommission beschließen, ob Gas und Kernkraft künftig zu den sauberen Energieträgern gezählt werden und damit von den Fördermilliarden profitieren, die für die Energiewende zur Verfügung stehen.
Die Gesetzgeber Rat und Parlament haben diese folgenschwere Entscheidung als „delegierten Rechtsakt“ausgestaltet. Das bedeutet praktisch, dass die EU-Kommission
die Weichen alleine stellt. Nur wenn eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten dagegen stimmt, kann das Gesetz gestoppt werden. Frankreich, das als einziges EU-Land noch über die entsprechende Technologie verfügt, rührt hinter den Kulissen heftig die Werbetrommel für die Atomkraft. Im Gegensatz zu Kohle, Gas und Öl belastet sie die Atmosphäre nicht mit Treibhausgasen. Eine schmutzige Technologie ist es dennoch, denn für den strahlenden Müll gibt es keine sichere Lösung.
Deshalb ist die Mehrheit der Mitgliedsstaaten dagegen, neue Atomkraftwerke mit öffentlichen Geldern zu fördern. Um die nötigen Stimmen zusammenzubekommen, bemüht sich Frankreich nach Beobachtung der Grünen im Europaparlament um eine Allianz mit den Ländern, die Gas als Übergangstechnik nutzen wollen. Der grüne EU-Abgeordnete Bas Eickhout
geht davon aus, dass die EUKommission diesem Ansatz positiv gegenübersteht. Er hält es für „nicht hilfreich“, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Atomkraft als „notwendige Grundlast“und Gas als „starke Energiequelle für den Übergang“bezeichnet hat.
Deutschland spielt dabei nach Ansicht von Eickhout „eine zweifelhafte Rolle“. Die Bundesregierung habe der Ankündigung von der Leyens nicht widersprochen und unterstütze damit indirekt die französischen Pläne. Das sei mit dem deutschen Ausstieg aus der Kernenergie nicht vereinbar. Die Grünen sind überzeugt, dass die Energieversorgung der EU vollständig durch erneuerbare Energien sichergestellt werden kann. Auch der deutsche Abgeordnete Peter Liese (CDU) sprach sich gegen eine Gleichstellung der Erneuerbaren und der Atomenergie aus. Letztere sei zwar emissionsarm, wegen der langen Planungs- und Bauzeiten aber als Brückentechnologie völlig ungeeignet.
Das Thema hatte auch die Staatsund Regierungschefs bei ihrem Gipfel Ende Oktober beschäftigt. Damals schaltete sich Angela Merkel letztmalig in die Debatte ein. „Die Klimaneutralität darf nicht behindert werden“, forderte die scheidende Kanzlerin. Viel wird nun davon abhängen, wie stark sich in der neuen Bundesregierung grüne Positionen durchsetzen können. In der deutschen Bevölkerung wächst die Sorge, dass die Energiewende zu Blackouts führen könnte. In einem offenen Brief fordert die Bürgerinitiative „EnergieVernunft Mitteldeutschland“die Bundestagsabgeordneten deshalb auf, sich für eine Verlängerung der Laufzeit der noch am Netz befindlichen deutschen AKW einzusetzen.