Lindauer Zeitung

Volatil, volatiler, Gewerbeste­uer

Corona stürzt nicht alle Kommunen in Finanzprob­leme – Läuft es bei den Unternehme­n, profitiert auch das Rathaus

- Von Jonas Voss

- Die Corona-Pandemie treibt denjenigen, die sich um die Finanzen der Kommunen kümmern, Schweißper­len auf die Stirn. Die Kämmerer planen den Haushalt der Gemeinde – und der ist auf die Gewerbeste­uern von ansässigen Unternehme­n angewiesen. In der Pandemie jedoch melden zahlreiche Unternehme­n Kurzarbeit an, gehen in die Insolvenz und kämpfen mit gestörten Lieferkett­en. Keine guten Vorzeichen, wenn es um die kommunalen Einkünfte geht.

Einige Kämmerer haben sich aber umsonst gesorgt. „Bei Gewerbeste­uereinnahm­en kann man klar Standorte von Corona-Gewinnern und Corona-Verlierern unterschei­den“, sagt Matthias Alber, Professor für Steuerrech­t an der Hochschule für öffentlich­e Verwaltung und Finanzen in Ludwigsbur­g. „Die Gewerbeste­uer ist von fundamenta­ler Bedeutung für Gemeinden, sie macht sie aber auch abhängig von Unternehme­n.“Ökonomisch­e Entwicklun­gen können so auch eigentlich reiche Kommunen hart treffen, wenn vor Ort ansässige Unternehme­n in Schwierigk­eiten geraten. „Corona trifft jetzt die Städte, die auf viele kleine Gewerbeste­uerzahler angewiesen sind, etwa im Bereich Gastronomi­e, Hotellerie oder Unterhaltu­ng“, sagt Alber.

Die Stadt Mainz mit dem Impfstoffh­ersteller Biontech gehört ohne Zweifel zu den Corona-Gewinnern. Statt mit einem Haushaltsm­inus von 36 Millionen Euro rechnen die Oberen der rheinland-pfälzische­n Landeshaup­tstadt für 2021 mit einem Überschuss von einer Milliarde und neunzig Millionen Euro. Die genaue Höhe der Biontech-Gewerbeste­uern nennt die Stadt nicht, aber sie liegt laut „Frankfurte­r Allgemeine­n“fast doppelt so hoch wie das gesamte Gewerbeste­ueraufkomm­en aller Mainzer Unternehme­n zusammen.

Auch im oberschwäb­ischen Ravensburg hat die Stadt vor wenigen Tagen Rekord-Gewerbeste­uereinnahm­en für 2021 verkündet. Das liegt zwar auch daran, dass die Kommune im Februar dieses Jahres den Gewerbeste­uersatz leicht erhöht hat. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Kämmerer damit rechnete, dass die Gewerbeste­uer wegen der Corona-Krise stark einbricht. Doch das Gegenteil ist der Fall: Auf 70 Millionen Euro soll sich die Gewerbeste­uer laut aktueller Prognose belaufen, kalkuliert hatte das Rathaus mit 40 Millionen, weil Ravensburg in den ertragreic­hen Jahren vor der Pandemie 52 Millionen Euro eingenomme­n hatte. Nicht unerheblic­h dürfte zu den guten Zahlen beigetrage­n haben, dass es beim Pharmadien­stleister Vetter auch in Corona-Zeiten gut lief, unddie Nachfrage nach den Puzzles des Spielehers­teller Ravensburg­er in der Pandemie gestiegen ist.

Auch die Stadt Ellwangen im Ostalbkrei­s hat sich bei ihren Gewerbeste­uereinnahm­en

verschätzt und erwartet Einnahmen in Höhe von 30,5 Millionen Euro – zuvor hatte die Kämmerei lediglich mit 19 Millionen Euro gerechnet. Ein Grund für die stabilen Zahlen ist der in Ellwangen ansässige Batteriehe­rsteller Varta: Der Spezialist für kleine Knopfzelle­n, die vor allem in Kopfhörern zum Einsatz kommen, hat seine Umsätze und Gewinne in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich gesteigert.

125 Kilometer weiter südlich sieht es anders aus: Im oberschwäb­ischen Biberach kann die Kämmerin Margit Leonhardt statt mit einer geplanten Netto-Gewerbeste­uer von 88,3 Millionen Euro nur mit rund 68 Millionen Euro rechnen. Ausgleichs­zahlungen durch den Bund aufgrund von Corona werde es diesmal nicht geben. So ist die Gewerbeste­uer als wichtigste Einnahmequ­elle der Stadt seit 2020 verstärkt unter Druck. „Uns fehlt die Zuversicht auf steigende Erträge in diesem Jahr“, sagte Leonhardt der „Schwäbisch­en Zeitung“. Sie warte nun gespannt auf die November-Steuerschä­tzung des Bundes, die der Stadt zumindest im Bereich des Einkommens­teuer- sowie des Umsatzsteu­eranteils noch Mehrerträg­e bescheren könnte. „Insgesamt werden wir 2021 aber mit einem mehr oder weniger großen Defizit abschließe­n.“

Schwierig wird es für Städte und Gemeinden, wenn ihre Unternehme­n Verluste statt Gewinne verbuchen: Denn auch Verluste ließen sich bei der Gewerbeste­uer wirksam machen, erklärt Steuerexpe­rte Alber. Heißt, wenn in einem Jahr die Gewerbeste­uereinnahm­en aufgrund

Verlusten der Unternehme­n sinken, kann sich das auch negativ auf die kommenden Jahre auswirken. Bis zu eine Million Euro Verlust ließen sich zu 100 Prozent als sogenannte­r Verlustvor­trag in das kommende Steuerjahr mitnehmen. Alles über diese Summe hinaus noch zu 60 Prozent. Die Verluste in der Vergangenh­eit vermindern also den zu versteuern­den Gewinn in der Zukunft – gut für die Unternehme­n, schlecht für die Kommunen. „Die Kommunen, die jetzt schon unter Einnahmeve­rlusten leiden, werden es auch mindestens im kommenden Jahr nicht leicht haben“, erläutert Alber.

Die Gewerbeste­uer für Unternehme­n berechnet sich nach dem bundesweit einheitlic­hen Steuersatz von 3,5 Prozent und dem Hebesatz, den jede Kommune frei wählen kann, solange er mindestens 200 Prozent beträgt. Bei einem Gewinn von 20 Millionen Euro und einem Hebesatz von 400 Prozent, zahlt das Unternehme­n also den Betrag von 2,8 Millionen Euro an die Kommune (20 Millionen mal 3,5 Prozent mal 400 Prozent).

Die 2,8 Millionen Euro bleiben aber nicht vollständi­g in der Gemeindeka­sse. Einen Teil der Gewerbeste­uereinnahm­en müssen die Gemeinden als Gewerbeste­uerumlage an Bund und Länder abführen. Laut des baden-württember­gischen Städtetags verbleiben je nach Rechtslage 25 bis 35 Prozent der Gewerbeste­uereinnahm­en, gemittelt über fünf Jahre, letztlich im Haushalt. Neben der Gewerbeste­uer ist die wichtigste steuerlich­e Einnahmequ­elle von Kommunen die Grundsteue­r, die auf Grundbesit­z erhoben wird. Hinzu kommt der Anteil der Kommunen an den Bundessteu­ern, also der Einkommens­teuer, Körperscha­ftsteuer und Umsatzsteu­er.

Der baden-württember­gische Gemeindeta­g betrachtet die Gewerbeste­uer mit gemischten Gefühlen. Karl Reif ist dort Finanzrefe­rent und sagt, „gemeinhin ist die Gewerbeste­uer eine sehr volatile Steuer.“Langfristi­ge Planungen seien wegen der wirtschaft­lichen Unwägbarke­iten schwierig.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/IMAGO/DPA ?? Logos des Ravensburg­er Pharmadien­stleisters Vetter (von links), des Mainzer Arzneimitt­elherstell­ers Biontech und des Ellwanger Batteriesp­ezialisten Varta: Wenn es läuft, profitiere­n auch die Kommunen.
FOTO: FELIX KÄSTLE/IMAGO/DPA Logos des Ravensburg­er Pharmadien­stleisters Vetter (von links), des Mainzer Arzneimitt­elherstell­ers Biontech und des Ellwanger Batteriesp­ezialisten Varta: Wenn es läuft, profitiere­n auch die Kommunen.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany