Das Drama der Singles
Alleinsein kann Freiheit bedeuten, aber auch Einsamkeit – Was die Corona-Krise verändert hat
(dpa) - Ausgehen? Fehlanzeige. Flirten mit Maske und Abstand? Schwierig. Die Corona-Pandemie hat Singles in Deutschland vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Und die werden das Singleleben aus Sicht von Experten auch dauerhaft verändern.
„Singles haben deutlich gespürt, dass es den Freundinnen und Freunden in einer Partnerschaft besser ging, obgleich auch dort Probleme auftraten. Insofern haben sie die Probleme des Singledaseins deutlicher gespürt und die Sehnsucht nach Liebe ist gestiegen“, sagt der Psychotherapeut und Autor Wolfgang Krüger, der sich mit dem Single-Phänomen befasst und jetzt das Buch „Bindungsängste heilen“veröffentlicht hat, zum Welt-Singletag an diesem Donnerstag. Er spricht gar von einem „Drama der Singles“. Denn: „Vor allem die jungen Singles spüren eine große Sehnsucht nach Liebe und haben gleichzeitig eine Angst vor Nähe. Sie leiden unter Bindungsängsten.“
Der 11.11. wurde wegen der vielen Einsen im Datum zunächst in China zum Singletag erklärt, inzwischen ist er das weltweit. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden galten 2020 knapp 18,1 Millionen Menschen in Deutschland als alleinstehend, knapp 16,5 Millionen von ihnen lebten auch alleine. Dabei gab es jeweils rund eine Million mehr alleinstehende und alleinlebende Frauen als Männer.
„Es gibt immer mehr ältere Singles, weil viele Liebesbeziehungen scheitern. Vor allem Ältere bleiben dann oft allein“, sagt Krüger. Die größte Gruppe der Singles finde sich aber in der Generation zwischen 30 und 40. Krüger nennt sie „Übergangssingles“: „Sie kommen gerade aus einer Partnerschaft, die sie verarbeiten müssen oder bereiten sich innerlich auf eine neue Beziehung vor.“
Vor allem in Großstädten wie Berlin, München und Hamburg sei es Singles vor Corona nicht schlecht gegangen. „Sie waren viel unterwegs, waren oft verabredet, gelegentlich freuten sie sich über ein erotisches Erlebnis. Diese gesamten sozialen Aktivitäten waren schön, aber oft anstrengend und es fehlte jene Sicherheit, die man in einer Partnerschaft erlebt“, sagt Krüger. „Doch durch Corona fiel dann auch das soziale Leben weitgehend fort, insofern waren die Singles sehr auf sich zurückgeworfen und vor allem die jungen Singles litten sehr unter Corona. Es war eine Zwangsbremsung, die schlecht auszuhalten war.“
In Lockdown-Zeiten boomten Onlinedating-Plattformen darum noch mehr als zuvor. „Laut einer BitkomStudie waren gerade 2020 viele Nutzer erstmalig bereit, Geld für Onlinedating auszugeben. Corona war ein
Booster, und durch Corona haben Onlinedating-Portale einen Boom erfahren“, sagt die Psychologin Wera Aretz, die zum Thema Onlinedating forscht und Anfang des Jahres eine Studie dazu veröffentlichte.
Und das wird aus ihrer Sicht auch nach der Corona-Pandemie so bleiben. „Die Zahl der Neuanmeldungen ist auch 2021 deutlich gestiegen – bei der Match-Gruppe, zu der beispielsweise Tinder und OKCupid gehören, hat dies gegenüber dem Vorjahr zu einer Umsatzsteigerung von rund 17 Prozent geführt“, sagt sie. „Dass Onlinedating ein fester Bestandteil im Leben vor allem vieler Singles geworden ist, das wird bleiben.“
Doch auch inhaltlich habe sich etwas getan: „In Statistiken kann man gut nachlesen, dass beispielsweise bei Tinder die Anzahl der Matches gestiegen ist. (...) Auf der anderen Seite berichten die Portale aber auch, dass nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Kommunikation sich geändert hat, dass die Stimmung in Zeiten von Corona im Lockdown eine andere war und dass die Leute wieder nachdenklicher geworden sind“, sagt Aretz. „Smalltalk-Themen sind etwas von tiefgründigeren Themen abgelöst worden.“Psychologe Krüger beobachtet Ähnliches – auch wenn die Flirtenden sich dann in der realen Welt treffen: „Der Klassiker sind lange Spaziergänge, bei denen man sich kennenlernt.“