Verstaubte Mythen
Die Chronik „The Beatles: Get Back“wirft ein neues Licht auf das Ende der Band
Yeah! Yeah! Yeah! 51 Jahre nach dem finalen Album „Let It Be“sind die „Fab Four“aus Liverpool zurück! Zumindest feiern die Beatles in Form des Buchs „The Beatles: Get Back“ein imposantes Comeback in Text und Bild. Darüber hinaus durfte der Oscar-prämierte „Herr der Ringe“-Regisseur Peter Jackson, als erster seit 50 Jahren, die privaten Filmarchive von Apple Corps durchforsten. Aus mehr als 60 Stunden unveröffentlichtem Filmmaterial, das im Januar 1969 von Michael LindsayHogg gedreht wurde, sowie 150 Stunden Originaltonmaterial entstanden drei, jeweils zweistündige Doku-Episoden, die vom 25. bis 27. November auf dem Streamingservice Disney+ verfügbar sein werden.
Bis dahin lässt sich prächtig im 240-seitigen, reich bebilderten Beatles-Buch schmökern, das uns – wie in einer Zeitmaschine – zurück ins Jahr 1969 beamt. Hautnah sind wir im Studio dabei und sehen die jungen John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr gemeinsam jammen, experimentieren und komponieren. Ton um Ton, Takt für Takt entstehen neue Songs. Die Atmosphäre ist angespannt, wenn die vier Freunde die
ANZEIGE erste Liveshow seit über zwei Jahren planen und als Highlight der Sessions ein Rooftop-Konzert auf der Londoner Savile Row spielen – ihr letzter Band-Auftritt. Im Studio flachsen sie, diskutieren über Yoko Ono, die an Lennon zu kleben scheint. Alle spüren: Die Band ist am Ende. McCartney ist fast schon weg, auch Lennon hat keine Lust mehr. Harrison fühlt sich als Songwriter vernachlässigt und verlässt die Sessions, als McCartney sein Gitarrenspiel kritisiert. Lennon bezeichnet die Proben als „Hölle“. Die Band ist derangiert und zerstritten, der Beatles-Stern am Verglühen.
„Get Back“ist seit 20 Jahren das erste offizielle Beatles-Buch. Eine authentische, schillernde Chronik über die Entstehung des am 8. Mai 1970 erschienenen Albums „Let It Be“, das ursprünglich „Get Back“heißen sollte. Mit bislang unveröffentlichten Fotos von Ethan A. Russell und Linda McCartney, Transkripten von Bandgesprächen und Standbildern aus dem restaurierten Filmmaterial kommen wir den Beatles so nah wie noch nie.
Das Buch protokolliert die letzten Beatles-Tage in den drei Akten „Twickenham Filmstudios“, „Apple Studios“und „Auf dem Dach“. Jeder Akt ist ein Füllhorn an Smalltalks und
Schnappschüssen, Gedanken und Gefühlen. Die Statements zeigen die Pop-Heroen unverstellt und ungeschminkt, wenn Harrison zum Beispiel erzählt: „Oh, ich bin sehr spät ins Bett. Ich hab nämlich einen super Song geschrieben … (begeistert) einen fröhlichen, und rocken tut er auch.“Oder John Lennon flachst (mit vornehmem Akzent): „Heute Nachmittag wollen wir darüber sprechen, was Religion für einen Popstar bedeutet. Und der Popstar unserer Wahl ist Ringo McCartney. Sagen Sie mir, McCartney, was bedeutet Ihnen Religion gegenwärtig, bei allen Trends und den schwingenden Miniröcken ringsum?“Am beeindruckendsten sind die intimen Fotografien, die Harrison vertieft in die Zeitungslektüre zeigen oder Lennon, der samt Gitarre im Schoß von Yoko Ono verweilt.
Der schönste Aspekt des „Get Back“-Buchs ist aber, dass es ein neues Licht auf das komplexe Bandgefüge wirft. Der 79-jährige McCartney verriet in einem Interview mit „The New Yorker“gerade, dass er dank Jacksons Film-Doku zum ersten Mal Lennon in riesigen Nahaufnahmen studieren konnte – und nicht links oder rechts von ihm stand. In einem BBC-Interview, aus dem Teile vorab veröffentlicht wurden, stellte McCartney klar, dass nicht er, sondern Lennon die Beatles-Trennung angeschoben habe. Der Mythos, dass „Let It Be“das Ende der Beatles-Ära markierte, scheint nach der Lektüre von „Get Back“mehr als verstaubt. Die Bandmitglieder hatten sich schon längst vorher auseinandergelebt und bündelten ein letztes Mal ihre Kreativität und Kongenialität für ein Beatles-Album, um danach auf der „long and winding Road“getrennte Wege zu gehen.
Peter Jackson, Hanif Kureishi, Beatles: The Beatles: Get Back (Deutsche Ausgabe), herausgegeben von John Harris, übersetzt von Conny Lösch, Droemer Verlag, 240 Seiten, 44 Euro.
Die von Starregisseur Peter Jackson entwickelte Beatles-Dokumentation „The Beatles: Get Back“ist zwischen dem 25. und 27. November auf der SreamingPlattform Disney+ verfügbar.