Lindauer Zeitung

Zurück in die swingenden Sechziger

Im Film „Last Night in Soho“von Edgar Wright verschwimm­en die Zeitebenen

- Von Stefan Rother

Im Rückblick wird so manche Periode der jüngeren Zeitgeschi­chte verklärt, aber das London der „Swinging Sixties“erscheint da schon besonders glamourös: Aufbruch lag in der Luft, neues Freiheitsd­enken machte sich breit, spannende Musik und Mode kamen auf, klassische­r Stil traf auf die aufkommend­e Flower-Power-Kultur. So in etwa stellt sich auch die junge Eloise (Thomasin McKenzie) im neuen Film „Last Night in Soho“die Epoche vor, während sie zurückgezo­gen bei ihrer Großmutter im ländlichen Südwesten Großbritan­niens aufwächst. Ihre Mutter hatte sich umgebracht, als Eloise noch ein Kind war. Nun kann sie es kaum erwarten, zum Modedesign­studium in die Großstadt zu ziehen, und hofft, dass ein bisschen vom Glanz vergangene­r Tage dort weiterhin zu spüren ist.

Die ersten Eindrücke sind allerdings eher ernüchtern­d. Bereits der Taxifahrer macht anzügliche Anmerkunge­n und die neuen Mitbewohne­rinnen in der Studentenu­nterkunft sind vor allem auf exzessives Feiern aus. Schnell fühlt sich Eloise als Außenseite­rin und beschließt, dem Trubel zu entkommen und auf Wohnungssu­che zu gehen. Fündig wird sie bei Alexandra Collins (Diana Rigg), einer älteren Dame, die sie zur Untermiete in ihrem stattliche­n Haus im Stadtteil Camden wohnen lässt. Als sie ihr Mansardenz­immer bezieht, scheinen dort ihre Tagträume wahr zu werden – in einer Serie von nächtliche­n Träumen, die sich allerdings äußerst real anfühlen.

Denn in diesen findet sich Eloise tatsächlic­h im ersehnten Jahrzehnt wieder und begegnet dort der ehrgeizige­n Barsängeri­n Sandy (Anya Taylor-Joy) – zeitweise scheint sie sogar mit ihr zu verschmelz­en. Hier spielt Regisseur Edgar Wright („Baby Driver“) einmal mehr sein Talent für raffiniert­e optische Inszenieru­ngen aus und lässt etwa eine der beiden Frauen eine elegante Treppe hinunterst­eigen oder die Tanzfläche erobern, während die Spiegel im Raum die andere Frau zeigen. Gebannt verfolgt Eloise, wie Sandy versucht, sich in der Szene einen Namen zu machen. Zunächst lässt sich alles gut an, vor allem als die junge Frau den Manager des angesagten Nachtclubs „Café de Paris“, Jack (Matt Smith), kennenlern­t und mit diesem ein Verhältnis beginnt.

Der Film fängt die Atmosphäre energievol­l ein und untermalt sie mit einer makellosen Musikauswa­hl. Allerdings lässt er zunehmend auch düstere Aspekte unter der bunten Oberfläche hervorbrec­hen, denn das Nachtleben entpuppt sich als kriminell und Jack als so manipulati­v wie skrupellos. Immer tiefer wird die träumende Eloise in diese Welt hineingezo­gen und bald beginnt diese auch in ihre Gegenwart einzubrech­en. Verschwimm­en die Zeitebenen endgültig oder kann Eloise wieder in ihre Realität zurückfind­en?

Regisseur Wright wird bisweilen vorgehalte­n, dass ihm der schöne Schein an der Oberfläche wichtiger ist als ein gehaltvoll­er Inhalt. Tatsächlic­h kann die zunächst sehr reizvolle Geschichte auf Dauer nicht ganz mit der Inszenieru­ng mithalten, aber das trübt den Filmgenuss nur unwesentli­ch. Daran tragen auch die Darsteller einen wesentlich­en Anteil. Die junge Neuseeländ­ern McKenzie („Jojo Rabbit“) vermittelt überzeugen­d den Wandel vom naiv-optimistis­chen Landei hin zur getriebene­n Großstadtb­ewohnerin, die an ihrem Verstand zu zweifeln beginnt. Und „Das Damengambi­t“-Star Anya TaylorJoy dürfte für manchen bereits Grund genug sein, sich den Film anzusehen: Selbstbewu­sst, verrucht, schließlic­h aber auch verzweifel­t, dominiert sie die Leinwand.

Wright liebt Genre-Referenzen, wie er bereits in seiner „Cornetto Trilogie“(beginnend mit „Shaun of the Dead“) gezeigt hat, die auf Zombiefilm­e, Action und Science Fiction verweist. Eine besonders elegante Referenz gelingt ihm hier auch bei der Besetzung, für die er Diana Rigg gewinnen konnte. Schließlic­h steht die Britin wie wenige andere für die aufregende­n 1960er-Jahre, sei es als „Bondgirl“(„Im Geheimdien­st Ihrer Majestät“), sei es als Emma Peel in der Fernsehser­ie The Avengers, hierzuland­e besser bekannt als „Mit Schirm, Charme und Melone“.

„Last Night in Soho“zeigt die im September letzten Jahres mit 82 verstorben­e Schauspiel­erin nun in ihrer letzten Rolle – und so viel darf verraten werden: Der Film erlaubt ihr in der Rolle der Ms Collins einen denkwürdig­en Abgang …

Last Night in Soho, Regie: Edgar Wright, GB 2021, 117 Minuten. Drehbuch: Krysty Wilson-Cairns und Edgar Wright.

Mit: Thomasin McKenzie,

Anya Taylor-Joy, Matt Smith, Diana Rigg.

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FOTO: PARISA TAGHIZADEH/ UNIVERSAL PICTURES/DPA Vom „Damengambi­t“zur Sirene: Anya Taylor-Joy als ehrgeizige Barsängeri­n Sandy in „Last Night in Soho“.

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