Lindauer Zeitung

Högschder Respekt

Joachim Löw wird vom DFB offiziell verabschie­det – Die Bühne ist klein, die Gesten sind groß

- Von Patrick Strasser

- Wenn ein Herzensköl­ner wie Lukas Podolski freiwillig den 11.11. in seiner Lieblingss­tadt sausen lässt, der Karnevalsb­eginn in Köln also ohne „Prinz Poldi“stattfinde­t, muss etwas Großes, ganz Besonderes anstehen. So ist es. Die interne und die öffentlich­e Abschiedsf­eier für Joachim Löw, den ehemaligen Bundestrai­ner, den Weltmeiste­rcoach von 2014, im Kreise seiner Familie namens Nationalel­f. Im Grunde wichtiger – und sowieso viel emotionale­r – als das tabellaris­ch unbedeuten­de WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Underdog Liechtenst­ein (20.45 Uhr/RTL). 17 Jahre lang war Löw beim DFB, 15 Jahre davon als Cheftraine­r. Ab 2004 hatte er für zwei Jahre dem Emotionsbe­auftragten Jürgen Klinsmann beim Projekt Sommermärc­hen-WM assistiert. So die offizielle Jobbeschre­ibung – tatsächlic­h war Löw der Trainings- und Taktikbeau­ftragte, legte die immergleic­hen Hemden fürs Trainertea­m raus und hatte die Hosen an. Einer mit 130 Länderspie­len wie Podolski (36) hat Löw eine Menge zu verdanken.

Mit Weltmeiste­r-Kapitän Philipp Lahm sowie Per Mertesacke­r, Sami Khedira und vielen anderen wird Podolski

bei der Ehrung im Wolfsburge­r Stadion, das zur Erleichter­ung aller Verantwort­lichen mit 26 000 Zuschauern ausverkauf­t ist, für Löw Spalier stehen. Kurz vor den Nationalhy­mnen darf sich der 61-Jährige auf Ovationen der Fans und ein Überraschu­ngsgeschen­k des DFB freuen. Abgesehen von der Abfindung von mehr als einer Million Euro, die er trotz seines Rücktritts als Bundestrai­ner bekommen haben soll. Durch seine Ankündigun­g vor der EM 2020, sich im Anschluss an das Turnier (im Sommer 2021 scheiterte die DFB-Elf im Achtelfina­le mit 0:2 an England) zurückzuzi­ehen, hatte er auf eine höhere Abfindung verzichtet. Was Löw wichtig war: Denn damit sollten seine Assistente­n wie der frühere Bundestorw­art-Trainer Andreas Köpke eine höhere Entlohnung erhalten. Neben Köpke werden in Wolfsburg auch Löws Ex-Assistent Thomas Schneider, Chefscout sowie Taktik-Einflüster­er Urs Siegenthal­er und DFB-Arzt Sepp Schmitt für ihre Verdienste geehrt.

„Wir freuen uns, dass wir ihm einen gebührende­n Abschied bereiten können. Es ist wichtig, dass wir ihm diesen Rahmen geben“, betonte DFBDirekto­r Oliver Bierhoff, der mit Löw 2004 beim DFB angeheuert hatte. Die internen Feierlichk­eiten für Löw im DFB-Quartier, dem Ritz-Carlton-Hotel in Wolfsburg, wurden von einem seiner Weltmeiste­rspieler organisier­t – von Benedikt Höwedes (33), der das Teammanage­ment der Nationalma­nnschaft aktuell im Rahmen eines Trainee-Programms unterstütz­t. Warum aber erst jetzt? Und – bei allem Respekt – in Wolfsburg gegen Liechtenst­ein? „Jogi selbst wollte sich zu Beginn des Neubeginns unter seinem Nachfolger Hansi Flick nicht in den Mittelpunk­t stellen, sondern das neue Trainertea­m erst einmal in Ruhe arbeiten lassen.“Für alle Gäste der Feier gilt übrigens die 2G-Regel (geimpft oder genesen) – heißt: der ungeimpfte Joshua Kimmich hätte ohnehin nicht teilnehmen können. Nun kann er das Länderspie­l nach dem positiven Corona-Fall von Bayern-Kollege Niklas Süle nur aus der häuslichen Quarantäne am TV verfolgen.

Aber es soll ja um Löw und dessen Verdienste gehen. Franz Beckenbaue­r, Teamchef der Nationalel­f von 1984 bis 1990, und Vorgänger als Weltmeiste­rtrainer, lobte ihn beim Redaktions­Netzwerk Deutschlan­d: „Der Jogi hat sehr viel erreicht. Er hat die Mannschaft wieder in frühere Höhen geführt und geht sicher als einer der erfolgreic­hsten Trainer in die Geschichte des DFB ein. Er hat den schönen Fußball repräsenti­ert.“So klingt: högschder Respekt.

Auch Thomas Müller, neben Kapitän Manuel Neuer der einzig verblieben­e Weltmeiste­r von 2014 im aktuellen Kader (Matthias Ginter kam damals in Brasilien nicht zum Einsatz), meinte: „Ich freue mich auf das Wiedersehe­n mit Jogi. Uns verbindet unabhängig von den sportliche­n Ereignisse­n einiges. Das Zwischenme­nschliche bleibt. Ich bin gespannt, ob Jogi weiter als Trainer arbeitet und hoffe, dass er etwas findet, das ihn erfüllt.“Bisher hat Löw sämtliche Angebote von Clubs oder Verbänden abgelehnt, pausiert ein Jahr. Offen, ob er wirklich noch mal eine Herausford­erung annimmt oder in seiner geliebten Heimat Freiburg in Trainerren­te geht.

Am späten Donnerstag­abend will er mit seinem früheren Assistente­n Flick („Der Anruf von ihm hat mein Leben verändert. Er ist als Mensch außergewöh­nlich, ich habe mir viel abschauen können“) eine Flasche Rotwein öffnen und anstoßen. Auf seine Ära und Flicks sechsten Erfolg im sechsten Länderspie­l, der damit den Startrekor­d seines Vorgängers übertreffe­n würde. Prost!

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA 17 Jahre beim DFB, 15 davon als Cheftraine­r: Joachim Löw hat viel bewirkt für den deutschen Fußball.

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