Die Gefahr der Baby-Boomer-Lücke
Institut der deutschen Wirtschaft warnt vor einem sich verschärfenden Facharbeitermangel – Notwendig seien Investitionen in die Bildung
- Zwischen 2025 und 2035 gehen die geburtenreichen Jahrgänge der Nachkriegszeit, die „BabyBoomer“, in Rente. Das könnte den Wohlstand der Bevölkerung erheblich schmälern, wenn die Politik jetzt nicht handele, mahnt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
2035 gebe es etwa fünf Millionen weniger Menschen im Alter zwischen 18 und 67 Jahren, heißt es in einer aktuelle Studie des Instituts. Die Zuwanderung nach Deutschland werde die Entwicklung nicht aufhalten können. Die Folgen: Schon bestehende Fachkräfteengpässe würden sich verschärfen. Die demografische Entwicklung schaffe zusätzliche Belastungen in den sozialen Sicherungssystemen und bei der Finanzierung des Staatshaushalts, warnt IWPräsident Michael Hüther. Deshalb dürfe die Bundesregierung nicht passiv bleiben. Mit einer innovationsund investitionsfreundlichen Politik könne der Lebensstandard im Jahr 2035 jedoch um etwa 3000 Euro je Einwohner höher ausfallen als bei einem „Weiter-so“, heißt es der Studie, die gemeinsam mit Step-Stone, New
Work SE und Kienbaum Consultants International entstanden ist.
Das ist das positive Szenario. Die Wissenschaftler haben zwei weitere simuliert. Im Basis-Szenario rechnen sie mit einem schrumpfenden Arbeitsvolumen von 2025 an. Das bremst das Wirtschaftswachstum, gleichzeitig aber steigt der Kapitaleinsatz. Es kommen also mehr Maschinen und Werkzeuge zum Einsatz. Doch weil Fachkräfte fehlen, gibt es weniger Innovationen. Das ProKopf-Einkommen steigt wegen der geringeren Zahl an Arbeitnehmern nur noch um ein Prozent pro Jahr: „Würde es in den kommenden Jahren genauso stark wachsen wie in den vergangenen drei Dekaden, dann läge der Lebensstandard im Jahr 2035 um gut 1600 Euro je Einwohner höher.“
Im schlechtesten Fall, wenn die deutsche Wirtschaftspolitik nicht handelt, wird das Wachstum durch ein schlechteres Investitionsklima und investitionshemmende Entscheidungen
gebremst. Die strukturelle Arbeitslosigkeit werde steigen, die Industriebasis erodieren. „All dies kostet Wohlstand“, sorgt sich Hüther und rechnet vor, dass es dann zu einem Wohlstandsverlust von 4000 Euro je Einwohner im Jahr 2035 kommen könnte. Zwischen dem positiven und negativen Szenario liege also ein Unterschied von 7000 Euro beim Niveau des Pro-Kopf-Einkommens.
Was also tun? Die Ökonomen raten, Kindertagesstätten und Schulen weiter auszubauen, denn dann könnten viele Eltern Vollzeit statt Teilzeit arbeiten. Zuwanderer könnten die Lücke bei den Fachkräften schließen helfen. Lebenslanges Lernen und gezielte Weiterbildungen würden älteren Beschäftigten helfen, längerfristig für ihre Arbeit fit zu bleiben. Und schließlich brauche es optimale Bedingungen für private Investitionen, eine bessere öffentliche Infrastruktur und gute Marktzugangschancen für Unternehmen, die Innovationen
anbieten, heißt es in der Studie: „Die künftige Bundesregierung ist gefordert, auf die Schrumpfung der Bevölkerung zu reagieren. Erst dann können auch die Unternehmen ihre Hausaufgaben erledigen“, glaubt IW-Direktor Michael Hüther. „Ein Weiter-so kostet uns alle Wohlstand und kann nicht im Interesse der Politik sein.“
Damit das gelinge, müssten sich aber auch die Unternehmen vorbereiten, sagt Petra von Strombeck, Chefin von New Work: „Wir brauchen nicht weniger als eine Unternehmenskulturrevolution am Arbeitsmarkt.“Denn Unternehmen, die sich nicht veränderten, hätten in Zukunft keine Mitarbeiter mehr: „Beschäftigte suchen sich heute den Arbeitgeber, der kulturell zu ihnen passt“, meint sie. Diese Tendenz habe sich durch Corona noch verstärkt. Doch seien diese Konsequenzen einer alternden Gesellschaft bei vielen Unternehmen noch nicht angekommen.