Heute sind sie erschüttert über den alten Pfarrer
20 Jahre lang lebte Otto Oehler im Ruhestand in Hochgreut. Davor soll er Kinder missbraucht haben
- Die Vorwürfe sind erschütternd: Ein Netzwerk an Kirchenleuten soll in den 1960er-Jahren rund um den Starnberger See Kinder sexuell missbraucht haben. Einer der Beschuldigten: Pfarrer Otto Oehler. Für seinen Ruhestand zog er nach Hochgreut, Betzigau. Wie erinnern sich die Menschen dort an ihn?
Im Beichtstuhl, in der Sakristei, in Gewölbekellern: Laut den Opfern geschahen die erniedrigenden Übergriffe an vielen Orten. Teils seien die Kinder nach Festgottesdiensten an Pfarrer verteilt worden, Nonnen brachten sie mit dem Auto. Die Kirche hat die Vorfälle bereits anerkannt, auch Traumaexperten schätzen die Schilderungen als glaubhaft ein.
Doch endeten die Übergriffe von Pfarrer Oehler 1968 mit seinem Umzug ins Oberallgäu? Ihn selbst kann man nicht mehr fragen. 1900 geboren, starb er 1991 in Hochgreut, liegt dort auf dem Friedhof begraben. So mancher aus dem Dorf, den wir auf ihn ansprechen, will sich nicht äußern. Die, die es tun, wollen nicht mit Namen zitiert werden. Das Bild, das sie zeichnen: Pfarrer Oehler war in Hochgreut ein sehr geschätzter Mann, die Vorwürfe kamen völlig überraschend.
Eine, die viel Zeit in Oehlers Haus verbrachte, ist die Nichte seiner Haushälterin. Sie verbrachte nach eigenen Angaben mehr als zehn Jahre lang jede Sommerferien drei Wochen bei ihrer Tante und dem Pfarrer – auch schon in Feldafing am Starnberger See. Sie habe er „nie angefasst“. Weder in Feldafing noch in Hochgreut habe sie von Übergriffen etwas mitbekommen. In Hochgreut habe Pfarrer Oehler häufig Neffen und Nichten zu Besuch gehabt, seine Geschwister lebten im Allgäu. Oehler hielt in Hochgreuth trotz seines Ruhestandes Gottesdienste, feierte Taufen und Hochzeiten.
Im Dorf zeigen sich Bewohner erschüttert von den Vorwürfen. „Er hat bei uns alles gegolten“, sagt einer, der sich als eng mit der Kirche verbunden bezeichnet. Sein eigener Nachwuchs habe bei Oehler ministriert. Eine andere Person sagt betroffen: „Wenn man denkt, dass das alles wahr sein könnte – das würde einen ordentlich aus der Bahn werfen.“
Oehler sei gerne in die Berge gegangen – deshalb wurde er wohl ins
Allgäu versetzt, habe man damals gedacht. Heute schwanke man bei den Mutmaßungen: Ob er aus Feldafing floh? Oder strafversetzt wurde? Gegen Lebensende sei Pfarrer Oehler gebrechlich geworden. Die Dorfbewohner, die ihn pflegten, hätten allerdings nie berichtet, dass er mit Erzählungen von Geschehnissen aus Feldafing sein Gewissen erleichtert habe. „Und die hätten das erzählt.“
Allein Pfarrer Oehlers „ernster, starrer Gesichtsausdruck“blieb negativ in Erinnerung. „Da hat man Angst gehabt, was Falsches zu sagen.“Damals habe man vermutet, dass das vom Alter komme. Heute könne man das anders deuten. Insgesamt sei Pfarrer Oehler „zurückhaltend, immer ein bisschen angespannt gewesen“. Wird neues Weihwasser geweiht, wurde das alte bislang über das Priestergrab gegeben. Seit die Vorwürfe aus Feldafing bekannt sind, erhält jedoch ein anderes Grab das Weihwasser.
1987 hatte die Gemeinde Betzigau Pfarrer Oehler die Bürgermedaille verliehen – warum, dazu habe er keine Unterlagen gefunden, sagt Bürgermeister Roland Helfrich, der Oehler nicht kannte. Er vermutet, dass die ehrenamtliche Leitung der Kirche in Hochgreut der Grund war. Nachdem die Vorwürfe bekannt wurden, wurde Oehler die Medaille nun aberkannt. Das beschloss der Gemeinderat nichtöffentlich – aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, immerhin sei Oehlers Schuld nicht rechtsstaatlich festgestellt, sagt Helfrich. Er habe großen Respekt vor den Opfern, die sich nun zu den Vorfällen äußerten. Aus Hochgreut allerdings seien ihm keine Fälle bekannt. Helfrich mahnt: Auch heute komme es noch zu Missbrauch, der Großteil der Fälle geschehe im familiären Umfeld. „Unsere Aufgabe ist es, das zu verhindern.“