Lindauer Zeitung

Die Pandemiere­zepte der Ampel

Keine Ausgangssp­erren und pauschalen Schulschli­eßungen mehr – Länder können weiterhin harte Maßnahmen ergreifen

- Von Hajo Zenker

- Nach viel Kritik haben die Ampel-Koalitionä­re ihre Änderungen am Infektions­schutzgese­tz, die am Donnerstag im Bundestag und am Freitag im Bundesrat zur Abstimmung stehen, überarbeit­et. Was jetzt jeder wissen muss:

Was ändert sich in der Pandemiebe­kämpfung?

Ausgangssp­erren, Versammlun­gsverbote und pauschale Schulschli­eßungen sind endgültig vom Tisch. Offene Schulen, sagt die GrünenRech­tsexpertin Manuela Rottmann, hätten Priorität, die Erwachsene­n müssten nun einen größeren Teil der Last tragen. Einzelne Schulen dagegen, sagt die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der SPD, Sabine Dittmar, könnten nach einem Ausbruch noch immer geschlosse­n werden.

Die Länder können dem Gesetzentw­urf zufolge bei einer konkreten epidemisch­en Gefahr auch künftig Personenbe­schränkung­en für Betriebe, Einrichtun­gen oder Veranstalt­ungen erlassen. Auch Kontaktbes­chränkunge­n im privaten und öffentlich­en Raum sind möglich, Abstandsge­bot, Maskenpfli­cht, 2G (geimpft, genesen) und 3G (geimpft, genesen, getestet) sowieso. Die Gastronomi­e soll geöffnet bleiben können – etwa mit 2G oder 2G-plus (Geimpfte und Genesene mit aktuellem Test), sagt die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus. Gaststätte­n seien keine Treiber der Pandemie. Anders sehe es mit Bars und Clubs aus, die bei einer angespannt­en Pandemiela­ge geschlosse­n werden könnten.

Auch Freizeit- und Kulturvera­nstaltunge­n können im Einzelfall abgesagt werden, so Manuela Rottmann.

Wie werden Heimbewohn­er geschützt?

Um Ältere und besonders Gefährdete in Heimen, Kliniken, Einrichtun­gen für Rehabilita­tion sowie für Menschen mit Behinderun­g zu schützen, ist eine Testpflich­t für Beschäftig­te und Besucher vorgesehen. Besucher und ungeimpfte MitarbeiKo­ntakt“ ter brauchen einen tagesaktue­llen negativen Corona-Test. Geimpfte oder genesene Beschäftig­te können sich dagegen täglich ohne Überwachun­g selbst testen oder zweimal pro Woche einen PCR-Test vorlegen.

Über eine Impfpflich­t für alle Pflegekräf­te und andere Berufe wird in den drei Fraktionen aber noch diskutiert. Diese soll gegebenenf­alls in einem gesonderte­n Gesetz verankert werden.

Was gilt generell am Arbeitspla­tz?

Erneut soll, wo immer möglich, Homeoffice gelten. Diese Pflicht galt schon einmal bis Juni. „Büroarbeit­en oder vergleichb­are Tätigkeite­n“sollen daheim erledigt werden, es sei denn, betrieblic­he Gründe sprächen dagegen, etwa die Bearbeitun­g von Post oder Materialau­sgabe. Für alle anderen Mitarbeite­r gilt: An einen Arbeitspla­tz, bei dem „physischer

zu anderen möglich ist, soll man nur noch mit Impf- oder Genesenenn­achweis oder einem tagesaktue­llen Schnelltes­t (oder maximal 48 Stunden alten PCR-Test) kommen. Die Chefs sollen die Einhaltung von 3G täglich kontrollie­ren und dokumentie­ren.

Unternehme­n müssen zwei Tests pro Woche anbieten; einen kostenlose­n Bürgertest pro Woche gibt es außerhalb des Betriebs. Bei fünf Arbeitstag­en müssen Ungeimpfte also zwei Tests pro Woche auf eigene Kosten machen.

Wer sich als Arbeitnehm­er 3G verweigert und nicht etwa auf einen Arbeitspla­tz ohne Kontakte wechseln kann, bleibt laut Manuela Rottmann ohne Lohn.

Was droht Impfpassfä­lschern? Wer Corona-Tests oder Impfnachwe­ise fälscht, kann im Fall der gewerbsode­r bandenmäßi­gen Impfpassfä­lschung mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Die Nutzer gefälschte­r Impfpässe können bis zu einem Jahr Haft oder eine Geldstrafe erhalten. Damit, sagt Christine Aschenberg-Dugnus, habe man eine Gesetzeslü­cke geschlosse­n.

Wie lange bleibt man als Geimpfter geschützt?

Kürzer als zunächst erwartet. Deshalb müsse man bei der Definition, wer geimpft sei, bald „nachsteuer­n“, sagt Manuela Rottmann. Hintergrun­d ist die Tatsache, dass die Wirkung der Vakzine nachlässt.

So hat eine neue Studie aus Schweden, die fast 1,7 Millionen Menschen neun Monate lang begleitete, ergeben, dass von dem zunächst bestehende­n Schutz vor einer symptomati­schen Covid-19-Erkrankung von rund 90 Prozent bei Astrazenec­a nach gerade einmal vier Monaten nichts mehr vorhanden war. Bei Biontech waren nach sechs Monaten gerade noch 23 Prozent übrig. Moderna kam nach einem halben Jahr immerhin noch auf knapp 60 Prozent.

Mit Blick auf schwere Verläufe – also Klinikeinw­eisungen und Todesfälle – sinkt die Effektivit­ät über alle Impfstoffe hinweg von 89 auf 42 Prozent nach sechs Monaten. Der Effekt sei insbesonde­re bei alten, gebrechlic­hen Menschen und Vorerkrank­ten zu beobachten. Für Christine Aschenberg-Dugnus ist deshalb boostern „sehr, sehr wichtig“. Durchaus möglich, dass auf absehbare Zeit nur noch als vollständi­g geimpft gilt, wer drei Dosen bekommen hat – dazu muss allerdings die Booster-Impfkampag­ne deutlich an Fahrt aufnehmen.

Sabine Dittmar wünscht sich 1,5 Millionen Impfungen am Tag – bisher sind seit Anfang September laut Robert-Koch-Institut insgesamt nur 4,4 Millionen Auffrischu­ngsimpfung­en verabreich­t worden.

Die Unionsfrak­tion will die

Pläne der Ampel-Fraktionen von SPD, Grünen und FDP an diesem Donnerstag im Bundestag mehrheitli­ch ablehnen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am Mittwoch aus Teilnehmer­kreisen der Beratungen der CDU/CSU-Abgeordnet­en in Berlin. Da die Ampel-Fraktionen aber über 40 Stimmen mehr als die notwendige Mehrheit im Bundestag haben, dürfte der Antrag von SPD, Grünen und

FDP dennoch vom Parlament beschlosse­n werden.

An diesem Freitag soll dann der Bundesrat in einer Sondersitz­ung über die geplanten Änderungen am Infektions­schutzgese­tz beraten.

Die Union wolle außerdem einen Entschließ­ungsantrag zur Verlängeru­ng des Sonderstat­us der epidemisch­en Lage über den 25. November hinaus einbringen, hieß es aus Teilnehmer­kreisen weiter. Dafür habe es eine überwältig­ende Mehrheit gegeben. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt hatte in der Sitzung der Unionsfrak­tion nach Informatio­nen der dpa aus Teilnehmer­kreisen vorgeschla­gen, die Ampel-Pläne zum Kampf gegen die vierte Welle der Corona-Pandemie an diesem Donnerstag im Bundestag abzulehnen.

Der Vorschlag sei von den Abgeordnet­en von CDU und CSU mit zustimmend­em Geklopfe auf den Tischen aufgenomme­n worden.

Zuvor hatte sich Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) bereits öffentlich skeptisch zu einer Zustimmung der Unionsfrak­tion zu den Plänen der Ampel-Fraktionen geäußert. Die Union sei der Meinung, dass die Fortschrei­bung der am 25. November auslaufend­en epidemisch­en Lage von nationaler Tragweite das bessere Mittel im Kampf gegen die dramatisch­e aktuelle Lage sei. (dpa)

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Mit klarer Ansage in die Ministerpr­äsidentenk­onferenz

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