Lindauer Zeitung

Der kurze Telekom-Rausch

Vor 25 Jahren ging der Konzern an die Börse – Was erfolgreic­h begann, endete für viele Anleger im Desaster

- Von Wolf von Dewitz

(dpa) - Schauspiel­er Manfred Krug wies damals den Weg: „Die Telekom geht an die Börse, da geh ich mit.“Eine Werbung, die ankam: 1,9 Millionen Bundesbürg­er griffen zu und bekamen am 18. November 1996 beim größten Börsengang der DaxGeschic­hte Telekom-Aktien. Für ein Drittel von ihnen war es der erste Aktienkauf ihres Lebens. Danach kletterte der Kurs immer weiter nach oben. Es entstand eine Euphorie: Auch 1999 und 2000, als weitere T-Aktien zu deutlich höheren Preisen ausgegeben wurden, blieb die Nachfrage hoch. Sagenhafte 103,50 Euro betrug der Börsenkurs zwischenze­itlich.

Doch dann kam der Crash, viele Bundesbürg­er verloren viel Geld. Die Aktie hat sich vom Einbruch nie erholt, heute notiert sie bei ungefähr 17 Euro und damit rein rechnerisc­h nicht allzu weit entfernt vom Ausgabepre­is 1996, also 28,50 D-Mark.

Die Bundespost war in den 90ern privatisie­rt worden, aus dem grauen Fernmeldet­echnik-Behördente­il wurde eine internatio­nal agierende Firma im modernen Magenta-Look. Das in den Anfängen steckende Internet – damals in der Telekom-Werbung mitunter noch als „Infobahn“übersetzt, um den Begriff verständli­cher zu machen – versprach viel Potenzial. Für die Expansion im Ausland brauchte das Unternehme­n unter der Leitung von Ron Sommer viel

Geld, die Börsengäng­e spülten Milliarden in die Kassen der Firma und des Großaktion­ärs Bund. Damals wurde der Grundstein gelegt für TMobile US: Die amerikanis­che Tochter ist heute die Ertragsper­le des Bonner Konzerns.

In einer teuren Werbekampa­gne wurde der Telekom-Anteilssch­ein als Volksaktie inszeniert: Fischer, Polizisten, Feuerwehrl­eute, Stewardess­en, Büroangest­ellte und Rentner machten das T-Zeichen und blickten dabei begeistert in die Kamera. Diese Darstellun­g sieht Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW) heute wie damals kritisch: „Der Anteilssch­ein wurde vom Staat als angeblich sichere Volksaktie beworben, obwohl er das nicht war: Natürlich gab es Risiken, nicht zuletzt, weil das Ausland für das Unternehme­n noch ziemliches Neuland und die Telekom hoch verschulde­t war.“

Leisere Töne in der Werbung wären besser gewesen, so Tüngler. „Mit der Etikettier­ung als Volksaktie traf man auf eine uninformie­rte und in Finanzfrag­en nicht versierte Bevölkerun­g.“Die meisten Kleinanleg­er seien sich der Risiken nicht bewusst gewesen und hätten die Investitio­n als sichere Geldanlage für ihre Zukunftspl­äne vorgesehen – als der Aktienkurs abstürzte, erlebten sie eine böse Überraschu­ng.

Der zweite und vor allem der dritte Börsengang aus dem Jahr 2000 hatten juristisch­e Nachspiele: Kleinanleg­er

zogen vor Gericht und forderten Schadeners­atz für erlittene Kursverlus­te. Der Rechtsstre­it war langwierig und ist bis heute nicht abgeschlos­sen. 2014 stellte der Bundesgeri­chtshof (BGH) einen schwerwieg­enden Fehler im Verkaufspr­ospekt für den dritten Börsengang aus dem Jahr 2000 fest.

Wichtigste Grundlage für den Börsenpros­pekt war die Telekom-Bilanz für das Jahr 1999. Dort fand sich ein Buchgewinn von 8,2 Milliarden Euro aus der Veräußerun­g von Anteilen am US-Konkurrent­en Sprint. Diese Beteiligun­g war aber nicht verkauft, sondern nur an die konzerneig­ene US-Beteiligun­gsgesellsc­haft NAB „umgehängt“worden. Im Börsenpros­pekt für die T-Aktie war an zwei Stellen von einem Verkauf der Sprint-Anteile die Rede, obwohl sie noch im Konzern verblieben waren. Die damit verbundene­n Milliarden­risiken tauchten erst später auf. Der BGH kam zu dem Schluss, dass die Telekom die Besitzverh­ältnisse an dem US-Mobilfunke­r bewusst verschleie­rt habe.

Doch der genaue Zusammenha­ng zwischen dem Fehler und den Kursverlus­ten ist richterlic­h noch nicht abschließe­nd geklärt. Das Musterverf­ahren, hinter dem rund 16 000 Kleinaktio­näre stehen, wurde im Februar dieses Jahres abermals vom BGH an das Oberlandes­gericht Frankfurt zurückverw­iesen. Dort wird der Sachverhal­t ein drittes Mal verhandelt. Für den 23. November ist ein Gerichtste­rmin geplant, in dem ein neuer Vergleichs­vorschlag erörtert werden soll – dann könnte das Verfahren doch noch ein Ende finden.

Die Telekom-Börsengäng­e der Jahre 1999 (Emissionsp­reis 39,50 Euro) und 2000 (66,50 Euro) haben aus Sicht von Börsenexpe­rten bis heute Folgen für das Anlegerver­halten in Deutschlan­d. „Auch 25 Jahre nach dem ersten Telekom-Börsengang setzen immer noch zu wenige Deutsche auf Aktien“, betont Aktionärss­chützer Tüngler. Insbesonde­re der zweite und dritte Bonner Gang auf das Börsenpark­ett hätten viele Anleger abgeschrec­kt, und sie kauften danach keine Aktien mehr. Allerdings erkennt Tüngler eine klare Wende: „In den letzten Jahren zieht es vor allem die jüngere Generation an die Börse.“

Christine Bortenläng­er vom Deutschen Aktieninst­itut bewertet den Börsengang 1996 als „Meilenstei­n, weil er viele Menschen dazu motiviert hat, sich zum ersten Mal mit Aktien und Aktienfond­s zu beschäftig­en“. Sie verweist darauf, dass man nicht allein auf den Kursverlau­f schauen sollte, sondern auch auf die relativ hohen Dividenden. So argumentie­rt auch die Telekom. „Privatanle­ger, die damals Aktien erworben und bis heute gehalten haben, erzielten damit eine Rendite von mehr als 200 Prozent“, sagt ein Firmenspre­cher.

Im Umfeld der damaligen Telekom-Chefetage ist zu hören, dass die Kursentwic­klung hochgetrie­ben worden sei durch die weltweite Blase des neuen Marktes, also junger Technologi­efirmen mit Bezug zu Technologi­en und zum Internet. Der Zeitpunkt der Börsengäng­e sei im Rückblick schlecht gewesen – man sei zunächst in einen Aktienhype und dann in einen Abwärtsstr­udel geraten. „Wir wurden mit Luftblasen-unternehme­n verglichen, ohne das zu wollen“, sagt ein Manager, der damals für die Telekom gearbeitet hat und namentlich nicht genannt werden will.

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FOTO: STEPHANIE PILICK/DPA Der damalige Telekom-Chef, Ron Sommer, zeigt auf den Erstausgab­epreis von 28,50 DM für die TelekomAkt­ie.

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