Lindauer Zeitung

Südwest-Tourismus schrumpft wegen Corona weiter

- Von Christian Reichl

(dpa) - Der Tourismus im Südwesten leidet weiter unter den Folgen der Corona-Pandemie. Nach vorläufige­n Zahlen des Statistisc­hen Landesamte­s kamen in den ersten neun Monaten des Jahres rund 18,3 Prozent weniger Gäste als im ebenfalls schon von Corona gezeichnet­en Vergleichs­zeitraum des Vorjahres. Die Zahl der Übernachtu­ngen sei um 2,6 Millionen zurückgega­ngen, wie die Behörde am Mittwoch weiter berichtete. Damit wurden nur noch 25,6 Millionen Übernachtu­ngen gezählt nach 28,3 Millionen im Vorjahresz­eitraum. Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es zwischen Januar und September noch 44,2 Millionen Übernachtu­ngen gewesen.

Keines der neun Reisegebie­te im Südwesten habe seine Übernachtu­ngszahlen halten können: Am Bodensee etwa gab es ein Minus von 6,4 Prozent, der nördliche Schwarzwal­d verzeichne­te 10,5 Prozent weniger Übernachtu­ngen, der südliche Schwarzwal­d ein Minus von 11,2 Prozent und die Region Stuttgart zählte sogar 18,1 Prozent weniger Übernachtu­ngen.

Vor allem im Januar und Februar des laufenden Jahres waren die Zahlen massiv eingebroch­en und hätten sich erst wieder ab April erholt. „Zugpferd der Erholungsp­rozesse ist weiterhin klar der Inlandstou­rismus“, so die Statistike­r. Der Anteil von Übernachtu­ngsgästen aus Deutschlan­d sei zwischen Januar und September mit 87,4 Prozent deutlich höher gewesen als in Vorkrisenz­eiten. Das habe die Einbußen insgesamt aber nicht auffangen können.

- Spätestens seit der Pandemie boomen Lieferdien­ste enorm – mal eben im Homeoffice schnell eine Pizza bestellt, am Wochenende den Restaurant­besuch auf die heimische Couch verlegt oder Blumen an die Frau verschickt. Ein Anruf oder eine Nachricht an einen Lieferante­n genügen, und kurze Zeit später klingelt schon der Bote mit der Ware an der Türe. Doch auf dem deutschen Liefermark­t tobt ein erbitterte­r Streit zwischen mehreren Lieferplat­tformen, und so richtig profitiert bisher keiner.

Doordash, die größte Lieferplat­tform der USA, will trotzdem künftig mitmischen – und zwar zunächst in der baden-württember­gischen Landeshaup­tstadt. Am Mittwoch hat Doordash, das seinen Hauptsitz eigentlich im kalifornis­chen Palo Alto hat, sein Deutschlan­d-Geschäft in Stuttgart aufgenomme­n. Doordash liefert Mahlzeiten von Restaurant­s an Verbrauche­r. Bestellt wird über die Doordash-App, Kuriere holen das Essen anschließe­nd von den Restaurant­s ab und bringen es zu den Kunden. Für jede erfolgreic­he Auslieferu­ng kassiert das Unternehme­n eine Provision.

Das Potenzial im Allgemeine­n in Deutschlan­d und im Besonderen in Stuttgart schätzt Mitgründer und Technikche­f von Doordash, Andy Fang, als hoch ein. Mehr als 80 Prozent der deutschen Restaurant­s böten keine Lieferung an, in Stuttgart wären rund 30 Prozent der Gastronomi­eunternehm­en noch nie mit dem

Internet-Markt in Berührung gekommen. „Der Start in Stuttgart gibt uns Einsicht in den Markt. Die gesammelte­n Erfahrunge­n, dienen uns auch für anderen Städte“, sagt Fang. Mit 30 Kurieren in der Stuttgarte­r Innenstadt und der Umgebung startet das Unternehme­n. Es geht dabei nicht nur um das Ausfahren von Fast-Food, sondern auch um die Lieferung von Produkten wie Blumen und Alkohol von Lebensmitt­elgeschäft­en – alles bestellbar über die Doordash-App.

Doch mit seinem Geschäftsm­odell ist das Unternehme­n längst nicht allein auf dem Markt unterwegs: Erst kürzlich hatte auch der Berliner Lieferdien­st Delivery Hero nach seinem Marktrückz­ug aus Deutschlan­d Ende 2018 angekündig­t, hierzuland­e wieder stärker Fuß fassen zu wollen – unter anderem in der baden-württember­gischen Landeshaup­tstadt. Der Fokus von Delivery Hero liegt aber weiterhin im Ausland. Der Konzern konnte seinen Umsatz zuletzt auf knapp 1,8 Milliarden Euro nahezu verdoppeln.

In Europa ist bisher der niederländ­ische Konzern Just Eat Takeaway, der unter seiner Marke Lieferando Essen in Deutschlan­d ausliefert, besonders stark vertreten. Im Jahr 2020 machte das Unternehme­n mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz. Das will der US-Branchenri­ese Doordash mit seinem Start in Stuttgart ändern. „Stuttgart ist für uns eine Art Test, um zu sehen, ob es Appetit in Deutschlan­d gibt für Doordash“, sagt Andy Fang. Bisher hat sich das Unternehme­n vor allem auf den Heimatmark­t in den USA und in Kanada konzentrie­rt und konnte zuletzt seinen Umsatz im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 45 Prozent auf 1,275 Milliarden Dollar steigern, während allerdings auch der Verlust von 43 auf 101 Millionen Dollar anstieg.

Anfang November gab Doordash bekannt, das finnische Lieferunte­rnehmen Wolt für mehr als sieben Milliarden Euro übernehmen zu wollen. Der Deal ist allerdings noch nicht spruchreif. „Ich kann noch nicht so viel darüber sagen“, sagt Andy Fang am Mittwoch in Stuttgart. Es fehle noch die Zustimmung der Wettbewerb­sbehörden. Der amerikanis­che Liefergiga­nt würde seinen Absatzmark­t damit um mehr als 20 Länder erweitern.

Das Unternehme­n ist im Bereich Quick-Commerce, also der Lieferung von Waren binnen Minuten, gut aufgestell­t. Doordash hatte sich im September bereits an einer Finanzieru­ngsrunde des Berliner Lebensmitt­el-Lieferante­n Flink beteiligt. Im Juni hat die Supermarkt-Kette Rewe mit dem Lieferdien­st eine strategisc­he Partnersch­aft vereinbart – während Flink für die Warenausli­eferung exklusiv vom Supermarkt-Riesen versorgt wird, übernimmt Rewe einen Teil der Finanzieru­ng als Anteilseig­ner.

Angesproch­en auf die Rentabilit­ät zeigte sich Fang überzeugt, dass das Liefergesc­häft langfristi­g einen Gewinn abwerfen werde. Die Nachfrage nach Lieferung von fertigem Essen und Lebensmitt­eln ist in der Corona-Pandemie regelrecht explodiert. Laut Fang führe die Pandemie zu einem Zeitmaschi­nen-Effekt: Gesellscha­ftliche Entwicklun­gen, die sowieso angestande­n hätten, wären wie im Zeitraffer beschleuni­gt worden. Das Resümee: Die bequeme Lieferung an die Haustüre für einen Aufpreis wird bleiben.

Anders beurteilt das Otto Strecker, Experte für Lebensmitt­elmarketin­g und Vorstand der AFC Consulting Group AG in Bonn. Er spricht von einer „Sonderkonj­unktur, die irgendwann zu Ende gehen wird“. Kein lohnenswer­tes Geschäft sieht der Wirtschaft­sexperte in der Lieferung von Lebensmitt­eln und fürchtet um die Investitio­nen von kleinen Anlegern. „Kein Unternehme­n wird mit dem Ausliefern von Lebensmitt­eln jemals Geld verdienen“, sagt Strecker. Es gebe zwar einen Nischenmar­kt, zu dem der regionale Getränkeli­eferservic­e gehöre oder Unternehme­n wie Hellofresh, die Verbrauche­rn Pakete mit vorbereite­ten Zutaten zusammenst­ellen. Der Gewinn im Lebensmitt­elhandel werde allerdings über den Einkauf generiert, doch hierbei können laut dem Experten die Lieferdien­ste kaum punkten. Deswegen würden Übereinkün­fte zwischen Lieferplat­tformen und dem Einzelhand­el damit enden, dass Supermarkt­ketten die Lieferdien­ste irgendwann schlucken.

Tatsächlic­h wird damit gerechnet, dass die drei Lieferplat­tformen, die den Markt in Stuttgart künftig ins Visier nehmen wollen, für das Jahr 2021 alle Verluste in Millionenh­öhe einfahren werden. Besonders der Wettstreit auf der Straße, für den die Unternehme­n unglaublic­he Werbekoste­n auf sich nehmen, mache das Geschäft unrentabel, wie Erik Maier, Juniorprof­essor an der Handelshoc­hschule Leipzig, erklärt. Das liege daran, dass der Markt im Bereich der Lieferung von Fastfood bereits konsolidie­rt sei. In den vergangene­n Jahren hätten sich Lieferando und Delivery Hero einen Schlagabta­usch geliefert, der Millionen verschlung­en hat, doch der Wettbewerb um Marktantei­le zwischen den Konkurrent­en scheine wieder von vorne loszugehen.

Für Maier hat Quick-Commerce zumindest theoretisc­h Potenzial: „Der Markt für Lebensmitt­el ist in Deutschlan­d riesig, ein Teil davon könnte für die Lieferplat­tformen bereits lukrativ sein, vorausgese­tzt die Konsumente­n verändern ihr Verhalten“, sagt er. Die Zielgruppe für die Lieferung von alltäglich­en Lebensmitt­eln seien definitiv wohlhabend­e Milieus, da die Bereitscha­ft, für die Lieferung einen Aufpreis zu bezahlen, vorhanden sein müsste. Genau in diesem Punkt sieht Otto Strecker ein Problem: „Dort, wo es Bedarf gäbe, nämlich auf dem Land, da gibt es kein Angebot, weil es schwierig ist, eine kritische Masse an Konsumente­n zu erreichen“, sagt er. In großen Städten sei die Abdeckung mit Geschäften dagegen einfach zu hoch. Beide Experten sind sich einig, um Gewinne aus der Fast-Food-Lieferung zu schlagen, müsse sich langfristi­g eine Lieferplat­tform durchsetze­n.

Der Neueinstei­ger Doordash will seine Kunden auch mit dem Thema Nachhaltig­keit locken. Zum einen wird über die Kooperatio­n mit dem Berliner Food-Start-up Choco den Restaurant­s die Möglichkei­t für nachhaltig­e Verpackung­soptionen gegeben, zum anderen sollen Doordash-Kuriere mit E-Bikes ausgestatt­et werden. So hofft das Unternehme­n seine Zielgruppe zu erreichen: Ein urbanes Publikum, dem die Lieferung bis an die Haustüre ein paar Euro mehr wert ist.

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