Ein Knoten in der Brust ändert das Leben
Marie Nett berichtet auf Instagram von der Krebstherapie in Scheidegg
- „Am liebsten würde ich die Berge einpacken“, sagt Marie Nett. Sie sitzt auf einer der roten Bänke am Scheidegger Höhenweg, vor ihr zeichnen sich silhouettenartig die Berge am Horizont ab. Drei Wochen hat die 39-Jährige aus Köln in der Paracelsus-Klinik in Scheidegg verbracht. Ihre kurzen blonden Haare leuchten in der Sonne. Sie lacht viel, wenn sie spricht. Auf den ersten Blick sind ihr die vergangenen Monate nicht anzumerken. Dass sie heute positiv in die Zukunft blickt, hat auch mit den Bergen zu tun.
Es war ein Schock für die junge Mutter: Ein kleiner schmerzhafter Knoten in der Brust entpuppte sich als aggressiver Brustkrebs. „Ich pass’ nicht in die Statistik. Ich mach’ viel Sport und ernähre mich gesund“, sagt Nett, die unter anderem Triathlon gemacht hat.
Nach einem Termin beim Frauenarzt geht alles ganz schnell: Marie Nett wird ins Brustkrebszentrum überwiesen, und kurz darauf folgen Chemotherapie, Bestrahlung, Operation. Es gibt Tage, an denen die sonst so aktive Frau kaum das Bett verlassen kann. Dann, nach der Behandlung, zeigt eine Biopsie, dass keine Krebszellen mehr vorhanden sind. Die Ärzte empfahlen der 39-Jährigen eine Reha beziehungsweise Anschlussheilbehandlung, wie es in der Fachsprache heißt. „Ich war mir zuerst unsicher, ob das das Richtige für mich ist“, sagt Nett.
Von der anfänglichen Skepsis kurz vor Ende der Behandlung bei Marie Nett ist nichts mehr übrig: Die Therapien, die Behandlungen, das leckere Essen und die Zeit für sich selbst haben ihr geholfen, wieder zu sich selbst zu finden. Zum ersten Mal hat sie hier im Westallgäu Pilates, Yoga und Qigong ausprobiert. Doch vor allem eines hat sie hier in Scheidegg wieder aufgebaut: „Die Berge haben mich am meisten geheilt.“Jede freie Minute hat sie draußen verbracht, fast täglich war sie rund um die Marktgemeinde unterwegs und hat das Bergpanorama genossen, und am Wochenende hat sie Touren etwa auf die Mittagsspitze unternommen. „Ich habe das Gefühl, die Krankheit liegt hinter mir.“
Am meisten freut sie sich darauf, ihre drei Kinder wieder in die Arme schließen zu können. Ihr ältester Sohn ist knapp sechs, die Zwillinge sind drei Jahre alt. „Ich kann es kaum erwarten, aber ich habe auch Respekt vor dem Alltag“, sagt Nett. Möglichst vieles von dem, was sie in den vergangenen drei Wochen in Scheidegg gelernt hat, will sie auch im Alltag beibehalten. Eines ist dabei ganz wichtig: „Ich will mir mehr Zeit für mich nehmen.“
Weil Familie und Freunde täglich nachgefragt haben, wie es ihr denn geht, hat Nett den Instagram-Account krebsundhummer_ angelegt und aus ihrem Alltag berichtet. „Es hat mir geholfen, offen damit umzugehen“, sagt sie. Anfangs habe es ihr sehr gut getan, sich mit Menschen auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation stecken. „Ich habe von der großen Community profitiert.“
Inzwischen bekommt sie regelmäßig Nachrichten von anderen Brustkrebspatientinnen, die ihr Fragen stellen oder sich für Netts Beiträge bedanken. Die 39-Jährige will auch weiterhin aus ihrem Alltag berichten. Sie will anderen Betroffenen Mut machen, und sie will aufrütteln:
Die Paracelsus-Klinik zählt normalerweise circa 3100 Patientinnen und Patienten im Jahr. Aufgrund der Pandemie und Sanierungsarbeiten sind es derzeit rund ein Viertel weniger, sagt Swenja Gruhn, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei der ParacelsusKlinik Scheidegg.
200 beziehungsweise 150 Zimmer stehen für Patientinnen zur Verfügung. Etwa 70 Prozent der
„Geht zur Vorsorge. Tastet eure Brust ab. Wenn man den Krebs sehr früh entdeckt, reicht bei manchen Tumorarten eine Operation, und man braucht keine Chemo oder Bestrahlung.“
Auch nach ihrem Aufenthalt in Scheidegg wird der Krebs ein Teil ihres Lebens bleiben: „Nach dem Krebs ist vor dem Krebs“, sagt Marie Nett. Denn auch, wenn bei der Biopsie keine Krebszellen mehr gefunden wurden, kann die Krankheit wiederkommen. „Manchmal wache ich nachts auf und habe einfach nur Angst“, sagt sie. Regelmäßige Untersuchungen gehören zu ihrem Alltag nun dazu, vor allem die nächsten drei bis fünf Jahre sind entscheidend. „Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit rapide ab, dass der Krebs wiederkommt.“
Betroffenen werden aufgrund einer Brustkrebserkrankung behandelt – eine von ihnen ist Marie Nett.
Die anderen Patientinnen und Patienten leiden an gynäkologischen sowie gastrointestinalen
(sie betreffen das Verdauungssystem) Tumoren.
„Die Frauen und Männer sind zwischen 20 und 90 Jahre alt, der Schnitt liegt bei 57 Jahren“, sagt Gruhn. (feß)