Elektrobetrieb auf der Südbahn soll einfach beginnen
Am 13. Dezember ist entlang der Strecke kein großer Jubel geplant – Ganz anders war das bei der Inbetriebnahme 1850
(wb/gp) - Paukenschlag 2021 im „Europäischen Jahr der Schiene“: Auf der Südbahn zwischen Lindau, Friedrichshafen, Ravensurg, Biberach und Ulm wird mit dem Fahrplanwechsel am 13. Dezember endlich, nach 40 Jahren Diskussionen, Planungen und auch gebrochenen Politiker-Versprechen, der elektrische Betrieb aufgenommen. Züge fahren auf der Strecke künftig schneller, leiser, umweltfreundlicher und hoffentlich auch pünktlicher.
Die über 40 Jahre alten Diesel-Arbeitspferde der Serie 218, die jahrzehntelang das Rückgrat des Schienenverkehrs auf dieser Strecke bildeten, zuverlässig, aber laut dröhnend und nicht gerade umweltfreundlich, haben damit ausgedient. So manchem Lokführer und Eisenbahnfan sind sie ans Herz gewachsen, die unverwüstlichen „Zweihundertachtzehner“. Doch nun kommen saubere Elektrozüge.
In Anbetracht dieses Meilensteins in der 171-jährigen Geschichte der Südbahn, ist es kein Wunder, dass der Blutdruck aller Eisenbahnfans entlang der Strecke steigt, je näher der große Tag im Dezember rückt und je öfter Elektroloks im Probebetrieb auftauchen. Da liegt die Frage nahe, was denn Deutsche Bahn AG, Regionalverband und die Kreise, Städte, Gemeinden und Modellbahn-Vereine entlang des Schienenstrangs an Feierlichkeiten planen? Sollten sie sich ein Beispiel an den Vorfahren nehmen, so wären sie jedenfalls kolossal gefordert. Schließlich hatten die Altvorderen die Eröffnung der Südbahn Mitte des 19. Jahrhunderts, zunächst nur eingleisig mit Dampfbetrieb, ganz gewaltig gefeiert.
So berichtete die „Schwäbische Chronik“, damals eine führende Zeitung im Ländle, dass am 7. Juli 1850 in Friedrichshafen ein großes Fest gefeiert worden ist. Ein Zug mit Festgästen hatte sich frühmorgens um 3.30 Uhr in Stuttgart in Richtung Bodensee in Bewegung gesetzt und traf erst am Abend dieses denkwürdigen Tages um 22 Uhr in der Landeshauptstadt wieder ein. Unterwegs hatten die Fahrgäste eine „ununterbrochene Abfolge von Begrüßungen, Empfängen,
Festkommitees, Festzügen, Musik, Reden, Ehrungen, Böllern und Festessen“über sich ergehen lassen müssen. Eine Zeitung in Ulm berichtete, bei der Eröffnungsfeier in der Donaustadt am 29. Juni 1850 habe die schwarz-rot-goldene Fahne, Symbol der 1849 niedergeschlagenen Revolution, von der Lokomotive geweht.
171 Jahre später, am 13. Dezember 2021, gäbe es zwar etwas zu feiern entlang der Strecke Lindau, Friedrichshafen und Ulm. Doch eine Umfrage der „Schwäbischen Zeitung“unter Städten und Gemeinden entlang der
Südbahn führte zu einer ernüchternden Erkenntnis: Wegen Corona plant offenbar niemand etwas.
Also keine festlich gestimmten Empfangskommitees wie dereinst, niemand an den „Haltstationen“wird das Lied von d'r Schwäb'schen Eisebahne anstimmen, kein Bäuerle, kein Ziegenbock, kein gestrenger Kondukteur werden aufkreuzen zum Gaudium insbesondere der Kinder. Ob wenigstens die eine oder andere Sonderfahrt mit zischenden und fauchenden Oldtimern der Schiene angeboten wird, bleibt abzuwarten. Sang- und klanglos soll der elektrische Betrieb auf der Südbahn allem Anschein nach aufgenommen werden.
Immerhin war von Marlies Gildehaus, der Pressesprecherin der Stadt Ulm, zu erfahren, vonseiten der Donaustadt und der Region sei zwar nichts geplant, aber: „Nach unserem Kenntnisstand plant aber die Deutsche Bahn AG Anfang Dezember 2021 in Friedrichshafen eine offizielle Inbetriebnahmefeier für geladene Gäste und Ehrengäste.“Was da genau abgeht, womöglich hinter verschlossenen Türen, das war von der Pressestelle der Stadt Friedrichshafen jedoch nicht zu erfahren.
Die Fahrgäste auf der Südbahn dürfte ohnehin mehr interessieren, was denn mit dem elektrischen Zugbetrieb ab 13. Dezember besser wird auf der Südbahn. Gelangen sie künftig schneller nach Stuttgart? Nein, noch nicht, ist einer Presseverlautbarung des Ministeriums für Verkehr BadenWürttemberg zu entnehmen.
Danach wird erst ein Jahr später, der Fahrplanwechsel im Dezember 2022, wenn die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm in Betrieb genommen wird, der längere Aufenthalt der Regionalexpresszüge in Ulm wegfallen, sodass der Zug die Landeshauptstadt knapp eine Viertelstunde schneller erreicht. Was den Fernverkehr auf der Südbahn betrifft, so hat das Regionalbüro Stuttgart inzwischen bahnamtlich bestätigt, dass der österreichische Vorzeigezug RailJet, von Wien und Innsbruck über den Arlberg kommend, ab 13. Dezember nicht mehr wie bisher in Bregenz kehrtmacht, sondern täglich nach LindauReutin
weiterfährt und über die neu elektrifizierte eingleisige Strecke am Bodensee entlang bis Friedrichshafen, dann über Ravensburg, Biberach, Ulm, Stuttgart und Heidelberg bis Frankfurt am Main, ab Friedrichshafen 18.02 Uhr, Ankunft Frankfurt 21.52 Uhr. In der Gegenrichtung verkehrt der RailJet ab Frankfurt um 5.55 Uhr, Ankunft in Friedrichshafen 10.02 Uhr und weiter bis nach Wien. Fahrgäste gelange also ohne Umsteigen nach Frankfurt und Wien.
Noch unklar ist, was aus dem Fernzugpaar IC 118/119 wird, das bisher zwischen Innsbruck und Dortmund über die Südbahn pendelte, mit bequemen österreichischen Schnellzugwagen, gezogen auf der noch nicht elektrisierten Strecke jeweils von zwei Diesel-Zweihundertachtzehnern. Und unklar ist auch, ob irgendwann sogar ICEZüge auf der Südbahn verkehren werden. Auf eine diesbezügliche kleine Anfrage der FDPFraktion im Bundestag hatte die Bundesregierung vor einem Jahr geantwortet, dazu könne nach Auskunft der Deutschen Bahn AG noch keine Aussage getroffen werden. Aber vielleicht rollt am 13. Dezember Prominenz in einem ICE an. Übrigens werden die Bahnfahrgäste, die eine schnelle direkte Zugverbindung zwischen Ulm, Friedrichshafen, Überlingen und Basel wollen, eine Kröte schlucken müssen. Der elektrische Betrieb auf der Südbahn bedingt ein Umsteigen in Friedrichshafen. Das dürfte sich erst ändern, wenn auch die westliche Bodensee-Gürtelbahn elektrifiziert ist. Das aber kann dauern – hoffentlich nicht weitere 40 Jahre!