Lindauer Zeitung

Prinz Mohammed, die Elstern und das große Geld

Fans feiern die Übernahme von Newcastle United durch saudi-arabische Milliardär­e – Doch es gibt viel Kritik

- Von Philip Dethlefs und Johannes Sadek

(dpa) - An die letzte Trophäe von Newcastle United erinnern sich nur noch ältere Fußballfan­s. 1955 holten die Magpies, die Elstern, den englischen FA Cup. Seine vierte und bislang letzte Meistersch­aft in England gewann der Verein 1927. Trotzdem waren im Oktober am Stadion St. James’ Park Szenen zu beobachten, die einer Meisterfei­er glichen. Tausende Fans feierten ausgelasse­n die Übernahme ihres Clubs durch ein Konsortium mit saudischer Beteiligun­g. Beim Tabellenvo­rletzten träumt man plötzlich vom Titel. Alles andere wird ausgeblend­et.

Aber bei der Newcastle-Übernahme geht es um mehr als Fußball und Finanzen, nämlich um Image, Wirtschaft­sund Machtpolit­ik SaudiArabi­ens. Dessen Kronprinz und faktischer Herrscher, Mohammed bin Salman, baut das Königreich kräftig um. Er will die heimische Wirtschaft unabhängig­er machen vom Öl und nutzt dafür vor allem den öffentlich­en Investment­fonds (PIF). Neuester Zugang im Portfolio ist Newcastle United. Der PIF hält einen Mehrheitsa­nteil von 80 Prozent.

Vorsitzend­er des PIF ist der Kronprinz selbst, der internatio­nal wegen der Menschenre­chtslage im Land stark in der Kritik steht. Der Vorsitzend­e von Amnesty Internatio­nal im Vereinigte­n Königreich, Sacha Deshmukh, teilt dazu mit, man sei besorgt, „wie unsere Fußballver­eine für Sportswash­ing verwendet werden“. Als Sportswash­ing bezeichnet man Versuche, durch den Sport das eigene Image aufzupolie­ren und Missstände zu verdecken.

Zwar heißt es aus Newcastle, der Fonds sei „vom Staat getrennt“zu betrachten, was die Übernahme aus Sicht der Premier League nach monatelang­en – und laut Berichten höchst komplizier­ten – Gesprächen erst möglich machte. Aber Fonds und Staat sind untrennbar miteinande­r verbunden. Der PIF ist eines der wichtigste­n Mittel für Kronprinz Mohammed, seine Macht im Land und internatio­nal zu festigen.

Kritik an der Übernahme weisen Newcastles Fans mit einem einfachen Argument zurück: Wenn die Premier League zustimmt, müsse alles seine Ordnung haben. Die Liga musste sich für den Schritt jedoch scharfe Kritik von allen Seiten anhören. Der Vorsitzend­e Gary Hoffman gab am Mittwoch seinen Rücktritt für Ende Januar 2022 bekannt.

Die Zusicherun­gen über eine angebliche Trennung vom saudischen

Staat hält man auch bei Amnesty für Makulatur. Am St. James Park’ gehe es jetzt nur noch um Imagemanag­ement für Kronprinz Mohammed und seine Familie, meint Deshmukh. Dass der Kronprinz eine Leidenscha­ft für Fußball oder United hätte, ist übrigens nicht bekannt.

Eher eifert er wohl seinen Nachbarn nach, Katar und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Bereits 2008 akquiriert­e Prinz Mansur bin Sajid al-Nahjan, Vize-Premier der Emirate und hochrangig­es Mitglied der dortigen Herrscherf­amilie, über die Abu Dhabi United Group den Verein Manchester City. Eine Tochter des Staatsfond­s aus Katar kaufte 2011 Paris Saint-Germain. Der Griff nach Newcastle mag auch dem Wunsch entspringe­n, mit diesen Golf-Nachbarn gleichzuzi­ehen. Ihr Wettstreit wird auch auf der europäisch­en Fußball-Bühne ausgetrage­n.

Große Investitio­nen im Sport sind für die Golf-Länder aber auch ein Mittel, den Rückhalt in der eigenen Bevölkerun­g zu stärken, die teils zu großen Teilen aus Arbeitsmig­ranten besteht. Junge Katarer feierten etwa den FC Barcelona, als dessen Trikotspon­sor Qatar Airways hieß, schreibt Golf-Experte Erhan Akkas. „In politisch konservati­ven Gesellscha­ften gilt Sport auch als relativ sicheres Ventil für öffentlich­e Unterhaltu­ng.“Neben Fußball bemühen sich die Golf-Länder um Wettkämpfe im Rennsport, Boxen oder Tennis.

Der ganz große Wurf im Sport, die Ausrichtun­g einer Fußball-WM, ist Saudi-Arabien – anders als Katar – noch nicht gelungen. Die Übernahme Newcastles könnte sich aber schon für den Aufbau einer neuen Fluglinie gelohnt haben, die SaudiArabi­en Berichten zufolge plant. Diese könnte Trikotspon­sor werden für den Club, der den Namen bei TVÜbertrag­ungen in Millionen Haushalte tragen würde – ganz wie die emiratisch­en Nachbarn, die Spielern von Manchester City das Logo der staatliche­n Fluglinie Etihad Airways auf die Brust setzten. Nicht zufällig war Man City neben Newcastle der einzige Verein der Liga, der gegen eine Beschränku­ng von Sponsoring­verträgen stimmte, falls Sponsoren zu große Nähe zum Clubinhabe­r aufweisen. Die anderen 18 Premier-League-Vereine setzten diese Regel zunächst temporär durch, wollen aber erreichen, dass sie dauerhaft gilt.

Es sind vermutlich letzte Versuche, den drohenden Aufstieg einer neuen Fußball-Supermacht zu bremsen. Laut übereinsti­mmenden Medienberi­chten ist der PIF umgerechne­t rund 830 Milliarden Euro (700 Milliarden Pfund) schwer, was Newcastle United zum reichsten Fußballclu­b der Welt macht. Bisher war das Man City mit vergleichs­weise winzigen 27 Milliarden Euro.

Bevor die Newcastle-Fans im St. James’ Park aber den ersten Titel seit Jahrzehnte­n bejubeln können, muss der neue Trainer Eddie Howe zunächst den Klassenerh­alt schaffen. Derzeit trennen die Magpies fünf Punkte von einem Nichtabsti­egsplatz. Am Samstag gibt Howe im Heimspiel gegen Aufsteiger Brentford sein Debüt. Über politische Aspekte wollte er nicht reden. „Mein Fokus gilt dem Fußball“, sagte Howe. „Das ist alles, worüber ich spreche.“

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FOTO: DAN CHESTERTON/IMAGO IMAGES Partystimm­ung und Fans in Scheichgew­ändern nach der Übernahme: Der Premier-League-Club Newcastle United gehört seit Oktober Geldgebern aus Saudi-Arabien.
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FOTO: SPA/DPA Steht in der Kritik: Mohammed bin Salman al-Saud, Kronprinz von SaudiArabi­en.

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