Schnee von gestern
Nach einer verpatzten Saison will Skispringer Andreas Wellinger zurück in die Weltspitze
- Zwei Winter sind eine lange Zeit. Deshalb ist es auch für einen Olympiasieger sicher nicht verkehrt, wenn er sich wieder förmlich zurückmeldet. Andreas Wellinger hat dies bei der Einkleidung der deutschen Skispringer Mitte Oktober auf seine Art getan: „Ich bin der Neue im Team, ich wurde angewiesen, dass ich mich vorstelle. Andi Wellinger mein Name, gefühlt 17 Jahre alt, körperlich wahrscheinlich 44. Aber ansonsten habe ich Spaß in der Mannschaft. Der Bundestrainer nimmt mich mit und animiert mich ordentlich zu trainieren. Es macht Spaß mit den anderen Jungs unterwegs zu sein.“Damit hatte der 26-jährige Bayer wieder einmal die Lacher auf seiner Seite.
So wie schon in Phase eins seiner Karriere. „Der Typ ist einfach eine Marke“, hatte Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen über Wellinger gesagt, „er ist, wie er ist, frei Schnauze – das macht ihn aus.“Für Sven Hannawald, den ersten Athleten mit Siegen bei allen vier Sprüngen der Vierschanzentournee, ist „Andi authentisch, sympathisch, ein lockerer Typ. Er erfüllt alles, was die Leute sehen wollen.“Und Österreichs ExCheftrainer
Alexander Pointner urteilte schon vor vier Jahren: „Welli ist der Skispringer, auf den die Deutschen gewartet haben: Liebling aller Schwiegermütter, hat einen guten Schmäh, ein schelmisches Lächeln, und damit hat er das Potenzial zum Star.“
Dann kam der 5. Juni 2019. Obwohl er nicht stürzte, zog er sich beim Training in Hinzenbach einen Kreuzband-riss im rechten Knie zu. Gerade wiederhergestellt, brach er sich im März 2020 beim Surfen in Australien das Schlüsselbein. Wieder stand eine Reha an.
Entsprechend fiel die Rückkehr auf die Schanze aus. Er kämpfte gegen seine sportlichen Anlaufprobleme. „Die Ergebnisse waren sch... Punkt“, urteilt er knallhart. Seinen letzten Auftritt hatte er bei der Qualifikation zum Neujahrspringen in Garmisch-Partenkirchen, die er nicht bestand. Null Weltcup-Punkte hatte er deswegen am Saisonende auf seinem Konto.
Das ist Schnee des vergangenen Winters. „Andi ist auf einem guten Weg nach vorne, ich bin guter Dinge, dass er wieder dabei ist, in die Weltspitze zu springen“, erklärt Bundestrainer Stefan Horngacher. Klar will der Team-Olympiasieger da wieder hin, allerdings bleibt er zurückhaltend. „Ich muss erst mal kleine Brötchen backen“, sagt Wellinger. Denn er weiß um den Konkurrenzkampf im deutschen Team. Schließlich hat Coach Horngacher die Qual der Wahl. Um sechs Startplätze kämpfen acht Springer. Karl Geiger und Markus Eisenbichler sind gesetzt, Severin Freund, Martin Hamann, Stephan Leyhe, Pius Pasche und Constantin Schmid sind Wellingers Konkurrenten. „Mein Ziel ist erst einmal, in die Mannschaft zu kommen, mir über die Wettkämpfe Stabilität zu erarbeiten und dabei Weltcuppunkte zu sammeln“, sagt der Bayer. Dies kann er bei den ersten Wettbewerben in Nischni Tagil und Ruka.
Während bei Andreas Wellinger die Flügel gestutzt waren, setzten Karl Geiger und Markus Eisenbichler zu Höhenflügen an. Der Oberstdorfer Geiger sammelte bei der Skiflug-WM in Planica und bei seiner Heim-WM im Februar Titel und Medaillen. Der Siegsdorfer Eisenbichler beendete die vergangene Saison als Zweiter im Weltcup. Was sagt Wellinger dazu: „Das Einzige, was mir wehgetan hat, war der Umstand, dass ich nicht dabei war.“
Dabei hat er die Zeit, in der er nicht Skispringen konnte genutzt,
Dinge gemacht, „die ich im normalen Alltag nicht machen kann“. Für sein BWL-Studium hat er das Praxissemester absolviert, dazu gehörte aber auch eine Skitour mit Freunden in Norwegen. Oder der Besuch des Streif-Abfahrtsrennens in Kitzbühel. Und er hat mit dem Fliegen begonnen. Trotzdem bekennt er: „Ich habe jeden Tag daran gedacht: Verdammt, die Jungs sind irgendwo beim trainieren oder Wettkämpfe Springen und ich kann nicht dabei sein.“
Doch diese Phase ist vorüber. Andreas Wellinger gehört wieder mit dazu. Bei den Weltcupspringen und später bei der Vierschanzentournee. Auch bei den Olympischen Spielen in Peking? „Wenn ich mich für Olympia qualifizieren würde, wären das meine dritten Olympischen Spiele und zum dritten Mal in Asien“, sagt er. Nach einer kurzen Denkpause fügt er an: „In einem Land, in dem die Wintersporttradition überschaubar ist.“Nach Sotschi in Russland und Pyeongchang in Südkorea. Einen Ausweg sieht er allerdings nicht: „Als aktiver Sportler habe ich das Problem, dass ich, wenn ich bei den Olympischen Spielen mitmachen will, dahin fahren muss, wo Olympia ist.“Und Andreas Wellinger würde allzu gerne wieder bei Olympia mitmachen.