Lindauer Zeitung

Lockdown nicht mehr bundesweit möglich

Epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite beendet – Kritik an Ampel-Beschlüsse­n

- Von Michael Gabel und Dieter Keller

- Das geänderte Infektions­schutzgese­tz hat den Bundestag passiert, muss aber noch durch den Bundesrat. Zudem hat der Bundestag die sogenannte epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite nicht verlängert. Was all das bedeutet – Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Was genau ändert sich nun?

In erster Linie können Einschränk­ungen wie Einkaufsve­rbote, Ausgangssp­erren und Schulschli­eßungen nicht mehr flächendec­kend verfügt werden – vorausgese­tzt, der Bundesrat stimmt dem Gesetz zu. Künftig bleibt es im Grundsatz den Bundesländ­ern beziehungs­weise den Kommunen überlassen, wenn sie beispielsw­eise eine einzelne Schule schließen wollen, weil es dort zu einem Corona-Ausbruch gekommen ist. Unionspoli­tiker wie der Fraktionsv­ize Thorsten Frei kritisiere­n das. Den Ländern würden damit „Instrument­e aus der Hand geschlagen“, monierte er am Donnerstag im Bundestag. Festgelegt wurde auch, dass in Betrieben nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete (3G) arbeiten dürfen.

Wie soll 3G im Betrieb funktionie­ren?

Künftig dürfen Arbeitgebe­r nur noch Mitarbeite­r in den Betrieb lassen, die nachweisen, dass sie die 3GRegeln erfüllen. Dazu müssen sie zunächst bei jedem Arbeitnehm­er abfragen, ob sie geimpft oder genesen sind. Diese müssen das nicht beantworte­n. Die Status-Dokumentat­ion darf der Arbeitgebe­r nach Angaben des Bundesarbe­itsministe­riums bis zu sechs Monate lang speichern. Er muss also nicht täglich alle neu befragen, sondern nur diejenigen, für die er keinen Nachweis der Impfung oder Genesung hat. Diese müssen in jedem Fall vor Betreten des Betriebsge­ländes einen (Schnell-)Test vorweisen, der maximal 24 Stunden alt ist. Ein Selbsttest zu Hause reicht nicht. Wer sich weigert, einen Test vorzulegen, darf nicht aufs Betriebsge­lände. Wer es trotzdem betritt, dem droht ein Bußgeld. Verweigere­r haben keinen Anspruch auf Lohn. Im schlimmste­n Fall droht ihnen die Kündigung.

Wie ist die Infektions­lage?

Probleme bereitet vor allem, dass viele Intensivst­ationen derzeit am Anschlag sind. Bundesweit sind nur noch elf Prozent aller Intensivbe­tten frei, wie die Intensivme­dizinerver­einigung Divi mitteilte. Besonders dramatisch ist die Situation den Angaben zufolge in Bayern und BadenWürtt­emberg. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, schlug Alarm. „Wir waren noch nie so beunruhigt wie jetzt“, sagte er. Für Menschen mit Schlaganfa­ll und andere Schwerkran­ke müsse mancherort­s bis zu zwei Stunden nach einem freien Intensivbe­tt gesucht werden.

Sind Geimpfte beinahe genauso gefährdet wie Ungeimpfte?

Die Zahlen von den Intensivst­ationen klingen dramatisch: Immerhin drei von zehn Patienten dort sind vollständi­g geimpft, wie aus Umfragen unter Kliniken hervorgeht. Aber das bedeutet nicht, dass Geimpfte ein vergleichb­ares Covid-Risiko tragen wie Ungeimpfte. Denn da es in Deutschlan­d weit mehr Geimpfte als Ungeimpfte gibt, entstammt das Drittel Intensivpa­tienten einer viel

Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA will voraussich­tlich bereits Ende nächster Woche über die Zulassung des Corona-Impfstoffe­s von Pfizer/Biontech für Kinder ab fünf Jahren entscheide­n. Die Prüfung der Daten gehe sehr gut voran, erklärte die EMA am Donnerstag in Amsterdam. Der Impfstoff ist in der Europäisch­en Union bisher nur für Menschen ab zwölf Jahren zugelassen. Zunächst hatte die Amsterdame­r Behörde eine Entscheidu­ng bis zum Jahresende angekündig­t. größeren Bevölkerun­gsschar. Genau betrachtet ist die Gefahr für Geimpfte, schwer zu erkranken, also um ein Vielfaches geringer.

Wie sieht es in den Corona-Hotspots aus?

Im Hotspot Sachsen wird besonders deutlich, dass die Infektions­zahlen bei Geimpften und Ungeimpfte­n tatsächlic­h gravierend auseinande­rgehen. So haben sich laut aktuellen Angaben der dortigen Landesunte­rsuchungsa­nstalt unter den Geimpften 64 von 100 000 Einwohnern in den vorhergehe­nden sieben Tagen mit dem Coronaviru­s angesteckt. Bei den Ungeimpfte­n waren es im Vergleichs­zeitraum dagegen 1823. Zwar sind auch diese

Bisher ist in der EU noch kein Corona-Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren zugelassen. In Israel und den USA dürfen Kinder ab fünf Jahren bereits mit dem Pfizer/ Biontech-Präparat geimpft werden. Die Hersteller Biontech und Pfizer hatten im Oktober beantragt, dass ihr Präparat auch für Kinder von fünf bis elf zugelassen werden sollte. Der US-Hersteller Moderna beantragte die Erweiterun­g der Zulassung seines Impfstoffe­s für Kinder von sechs bis elf Jahren in der EU. (dpa)

Zahlen mit einiger Vorsicht zu genießen. So müssen sich Ungeimpfte deutlich häufiger testen lassen als Geimpfte. Und auch nicht geimpfte Schülerinn­en und Schüler werden regelmäßig auf Infektione­n untersucht, was die Statistik verzerrt. Diese Faktoren seien aber nicht so bedeutend, dass sie die gravierend­en Unterschie­de bei den Infizierte­nzahlen erklärten, sagt Carsten Watzl, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Immunologi­e.

Wie bewältigt die Arbeitslos­enversiche­rung Corona?

Mit rund 52 Milliarden Euro zusätzlich­en Ausgaben 2020 und 2021 rechnet die Bundesagen­tur für Arbeit (BA). 42 Milliarden Euro entfallen auf Kurzarbeit­ergeld, zehn Milliarden Euro auf zusätzlich­es Arbeitslos­engeld. Knapp die Hälfte stammt aus der Rücklage, die die BA in den vergangene­n Jahren gebildet hatte, den Rest schießt der Bund zu. Im Haushalt 2022 hat BA-Finanzchef­in Christiane Schönefeld nur noch 1,7 Milliarden Euro für Kurzarbeit eingeplant. Im Jahresdurc­hschnitt geht sie von 300 000 Kurzarbeit­ern aus. Trotz der vierten Welle könnte das reichen, wenn sie weitgehend mit Zugangsbes­chränkunge­n für Ungeimpfte in den Griff zu bekommen ist. In jedem Fall klafft im BA-Haushalt 2022 noch ein Loch von 900 Millionen Euro, das der Bund stopfen muss. Eine Erhöhung des Beitragssa­tzes von 2,4 Prozent ist zumindest bis Ende 2022 ausgeschlo­ssen.

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FOTO: IMAGO-IMAGES Am Arbeitspla­tz gilt künftig: Geimpft, genesen oder getestet.

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