Kleinkinder als Druckmittel
Belarus und Russland haben einen vielschichtigen Nervenkrieg gegen den Westen begonnen – Im Hintergrund marschieren Truppen auf
- Elf Tage nach dem Auftauchen mehrerer Tausend, meist erwachsener und männlicher Migranten aus dem Irak und Syrien im polnisch-belarussischen Grenzgebiet ist die Schlacht um die EU-Außengrenze weiter im vollen Gange.
In der Nacht auf Donnerstag meldeten polnische Behörden über 500 Versuche widerrechtlicher Grenzübergänge, darunter mehrere Massenanstürme von mehr als hundert Migranten.
Wer aber die belarussischen und russischen Staatsagenturen Belta und Sputnik verfolgt, gewinnt den Eindruck, vor den Stacheldrahtrollen an der polnischen Grenze seien vor allem Kinder gelandet, großäugige, hilflose Kinder. Und eine Lukaschenko-Sprecherin versicherte, Belarus werde 5000 Migranten die Rückreise in ihre Heimatländer erleichtern, wenn die EU einen „humanitären Korridor“für die 2000 Menschen an der Grenze öffne.
In Propaganda-Kriegen geraten Frauen und Kinder oft in die ersten Reihe. Schon im März 2014, während des verdeckten russischen Einmarsches auf die Krim, warnte Wladimir Putin die ukrainischen Streitkräfte, auf eigene Zivilisten zu schießen, hinter denen sich russische Soldaten aufstellen würden. „Sollen sie doch versuchen, auf Frauen und Kinder zu schießen.“
Auch der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko beteuert angesichts der aktuellen Lage, man müsse auf die schwangeren Frauen und Kinder achten. „Sehr viele Frauen sind im achten oder neunten Monat schwanger“, behauptet er. „Auch die Kinder dürfen wir nicht im Stich lassen, besonders die Kinder.“
Jetzt herrscht auch zwischen Russland und der Ukraine wieder Hochspannung. Anfang der Woche beschwerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg über eine „ungewöhnlich hohe Konzentration russischer Truppen“an der ukrainischen Grenze. Nach ukrainischen Angaben haben sich dort 115 000 Mann versammelt.
Und der britische Generalstabschef Nick Carter äußerte gegenüber der BBC die Besorgnis, Russland könne die Krise an der polnischweißrussischen Grenze als klassisches Beispiel eines Ablenkungsmanövers
für eine Militäraktion gegen die Ukraine nutzen. Russlands Außenamtssprecherin Maria Sacharowa
wiederum macht vor allem die „kolossale“Beteiligung der Briten an einstigen kriegerischen Interventionen
im Irak, Afghanistan und den Ereignissen in Syrien für den neuen Flüchtlingsstrom durch Belarus verantwortlich.
Auch das Rote Kreuz hat eindringlich Hilfe für die Migranten an der belarussischen Grenze zu Polen und Litauen angemahnt. Dort spiele sich eine „humanitäre Tragödie“ab, erklärten die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) am Donnerstag in Genf. Mindestens zehn Menschen seien gestorben, darunter ein 14jähriger Junge an Unterkühlung. Die Lage werde sich verschlechtern. Für die kommenden Tage sind Regen und Nachttemperaturen knapp über null vorausgesagt. (AFP/KNA) Es sind vielstimmige, vielschichtige Angriffe, die zwischen Baltikum und Schwarzem Meer gegen unterschiedliche Gegner gefahren werden.
Propagandistisch, psychologisch, auch wirtschaftlich. Belarus hat Polen Rohöl für drei Tage gesperrt und der Ukraine die Lieferung von Elektroenergie auf unbestimmte Zeit, droht ganz Europa, die Pipeline für Gas aus Russland abzudrehen. Moskau gibt sich unbeteiligt.
Viele Ukrainer glauben nicht, dass Russland ausgerechnet zu Winterbeginn gegen sie in den Krieg ziehen will.
„Für eine verdeckte Aggression aus dem Donbass ist der Zustand der Rebellentruppen zu trostlos“, sagt der ostukrainische Journalist Dmitri Durnjew. Aber westliche Militärs diskutieren, ob russische Truppen aus der Krim nach Norden stoßen könnten.
Deutsche streiten untereinander, wie unbarmherzig man gegenüber leidenden Migranten sein darf. Polens früherer Außenminister Witold Waszczykowski schimpft über die Telefonate der deutschen Kanzlerin mit dem weißrussischen Autokraten: „Merkel tritt die europäische Solidarität mit Füßen.“
Und alle rätseln, welche Ziele Lukaschenko und Putin verfolgen. Offenbar müht sich der wirtschaftlich bankrotte Lukaschenko verzweifelt, die EU-Sanktionen einzudämmen, außerdem, dem reichen Putin zu Willen zu sein.
Und Putin? Er will die Gaspipeline Nord Stream 2 endlich starten, ganz offenbar auch die Ukraine wieder unter Kontrolle bringen. Der britische „Telegraph“vermutet gar, es sei sein geheimes Endziel, Nato, EU und die westliche Demokratie überhaupt zu stürzen, so wie vor 30 Jahren Sowjetkommunismus und Warschauer Pakt fielen.
Auf jeden Fall hat das ungleiche Gespann Putin-Lukaschenko mit dem Wirrwarr aus Flüchtlingskindern, Kleinembargos und klammheimlichen Truppenbewegungen schon ein Ziel erreicht: Im westlichen Lager herrschen dadurch Unsicherheit und Zwietracht über die beiden Regierungschefs und ihre wahren Motive.