Intensivpfleger verzweifelt gesucht
Baden-Württemberg fördert Welcome Center, um Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben – Pandemie verschärft Personalnot der Kliniken
- Die Intensivstation in der Sana-Klinik in Biberach ist seit Mittwochmorgen voll belegt: In fast einem Drittel der 16 Betten für intensivmedizinische Behandlungen liegen Corona-Patienten. Es gäbe zwar noch acht freie Betten, allerdings fehlt dafür das Personal, erzählt der ärztliche Leiter Ulrich Mohl. Das oberschwäbische Krankenhaus ist kein Einzelfall. Vielen Kliniken fehlen Fachkräfte. Kurzfristig wird sich an dem Engpass von Pflegefachkräften aber nichts ändern, denn auf dem Stellenmarkt sind keine geeigneten Kandidaten zu finden.
Eine Entlastung im Gesundheitsund Pflegebereich könnte allerdings durch Zuwanderung von Fachkräften möglich sein. Diese Auffassung vertritt auf alle Fälle das baden-württembergische Wirtschaftsministerium. Deshalb fördert es im kommenden Jahr das für die Gesundheitsbranche zuständige Welcome Center mit 172 000 Euro. Welcome Center beraten Unternehmen, wie sie Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen können, helfen bei Einreiseformalitäten und geben Tipps, wie die Integration
internationaler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelingt. Aktuell gibt es im Land neun regionale Welcome Center, die auch Unternehmen aus anderen Branchen unterstützen. Für die regionalen Einrichtungen sind bis 2023 rund 3,85 Millionen Euro Förderung geplant.
Sowohl die Unternehmen in der Sozialwirtschaft als auch die interessierten Fachkräfte aus dem Ausland hätten große Hürden zu überwinden, bis ein Beschäftigungsverhältnis und eine nachhaltige Integration zustande kommt, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) der „Schwäbischen Zeitung“. „Gerade im Pflege- und Gesundheitsbereich kommen wir ohne internationale Fachkräfte nicht aus. Darum ist es wichtig, dass die wertvolle Arbeit des Welcome Centers auch im nächsten Jahr weitergeführt werden kann“, erklärte die Ministerin.
Die Corona-Pandemie hat den Bedarf an Pflegekräften besonders deutlich gemacht: Wie in der SanaKlinik in Biberach gibt es viele Kliniken, in denen Betten ungenutzt bleiben, weil das Personal für die Betreuung der Patienten schlichtweg fehlt. Deshalb stehen diese Betten nicht zur Verfügung. „Schon vor der Corona-Pandemie gab es einen Personalmangel im Pflege- und Gesundheitsbereich. Weil die Belastung der Pflegekräfte weiter angestiegen ist, haben viele Kollegen ihre Arbeitszeit reduziert oder sind aus dem Beruf ganz ausgestiegen“, sagt Andrea Kiefer, Vorsitzende vom Regionalverband Südwest des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe.
Laut Kiefer fehlten bundesweit auf den Intensivstationen etwa 5000 Pflegefachpersonen, in der gesamten Branche sind es sogar rund 50 000 Fachkräfte. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt fände sich kaum qualifiziertes Personal, dessen Fehlen in der vierten Welle ein großes Problem darstellt: „Die Betten, Geräte und das Material hätten wir“, sagt Kiefer. Doch wegen der Pandemie sind Pflegekräfte im Ausland nicht weniger gefragt als in Deutschland.
Die Anwerbung von Fachkräften berühre deshalb auch eine ethische Frage, da die medizinische Lage in anderen Ländern häufig noch angespannter sei als hierzulande, sagt Kiefer. Hinzu komme, dass ausländische Fachkräfte zunächst sprachlich geschult und deren fachliche Leistungen anerkannt werden müssten.
„Es braucht rund ein Jahr, bis Fachkräfte aus dem Ausland im Sozialbereich sattelfest sind“, sagt Kiefer. Deshalb könnte die Anwerbung von Fachkräften die akute Personalnot auf den Intensivstationen kurzfristig kaum lindern, auch eine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten für Gesundheitsund Pflegeberufe mache sich frühestens in drei Jahren bemerkbar. „Wenn sich an den Arbeitsbedingungen in der Pflege nichts ändert, glaube ich, dass wir aus der Misere nicht rauskommen, denn ansonsten wird sich der Trend zur Abwanderung fortsetzen“, sagt Kiefer. Deshalb müsse die Politik entsprechende Rahmenbedingungen für den Gesundheitssektor schaffen. Das seien in erster Linie geregelte Arbeitszeiten, weniger Arbeitsbelastung für den Einzelnen und eine vernünftige Entlohnung.