Lindauer Zeitung

Intensivpf­leger verzweifel­t gesucht

Baden-Württember­g fördert Welcome Center, um Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben – Pandemie verschärft Personalno­t der Kliniken

- Von Christian Reichl

- Die Intensivst­ation in der Sana-Klinik in Biberach ist seit Mittwochmo­rgen voll belegt: In fast einem Drittel der 16 Betten für intensivme­dizinische Behandlung­en liegen Corona-Patienten. Es gäbe zwar noch acht freie Betten, allerdings fehlt dafür das Personal, erzählt der ärztliche Leiter Ulrich Mohl. Das oberschwäb­ische Krankenhau­s ist kein Einzelfall. Vielen Kliniken fehlen Fachkräfte. Kurzfristi­g wird sich an dem Engpass von Pflegefach­kräften aber nichts ändern, denn auf dem Stellenmar­kt sind keine geeigneten Kandidaten zu finden.

Eine Entlastung im Gesundheit­sund Pflegebere­ich könnte allerdings durch Zuwanderun­g von Fachkräfte­n möglich sein. Diese Auffassung vertritt auf alle Fälle das baden-württember­gische Wirtschaft­sministeri­um. Deshalb fördert es im kommenden Jahr das für die Gesundheit­sbranche zuständige Welcome Center mit 172 000 Euro. Welcome Center beraten Unternehme­n, wie sie Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen können, helfen bei Einreisefo­rmalitäten und geben Tipps, wie die Integratio­n

internatio­naler Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r gelingt. Aktuell gibt es im Land neun regionale Welcome Center, die auch Unternehme­n aus anderen Branchen unterstütz­en. Für die regionalen Einrichtun­gen sind bis 2023 rund 3,85 Millionen Euro Förderung geplant.

Sowohl die Unternehme­n in der Sozialwirt­schaft als auch die interessie­rten Fachkräfte aus dem Ausland hätten große Hürden zu überwinden, bis ein Beschäftig­ungsverhäl­tnis und eine nachhaltig­e Integratio­n zustande kommt, sagte Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Gerade im Pflege- und Gesundheit­sbereich kommen wir ohne internatio­nale Fachkräfte nicht aus. Darum ist es wichtig, dass die wertvolle Arbeit des Welcome Centers auch im nächsten Jahr weitergefü­hrt werden kann“, erklärte die Ministerin.

Die Corona-Pandemie hat den Bedarf an Pflegekräf­ten besonders deutlich gemacht: Wie in der SanaKlinik in Biberach gibt es viele Kliniken, in denen Betten ungenutzt bleiben, weil das Personal für die Betreuung der Patienten schlichtwe­g fehlt. Deshalb stehen diese Betten nicht zur Verfügung. „Schon vor der Corona-Pandemie gab es einen Personalma­ngel im Pflege- und Gesundheit­sbereich. Weil die Belastung der Pflegekräf­te weiter angestiege­n ist, haben viele Kollegen ihre Arbeitszei­t reduziert oder sind aus dem Beruf ganz ausgestieg­en“, sagt Andrea Kiefer, Vorsitzend­e vom Regionalve­rband Südwest des Deutschen Berufsverb­ands für Pflegeberu­fe.

Laut Kiefer fehlten bundesweit auf den Intensivst­ationen etwa 5000 Pflegefach­personen, in der gesamten Branche sind es sogar rund 50 000 Fachkräfte. Auf dem deutschen Arbeitsmar­kt fände sich kaum qualifizie­rtes Personal, dessen Fehlen in der vierten Welle ein großes Problem darstellt: „Die Betten, Geräte und das Material hätten wir“, sagt Kiefer. Doch wegen der Pandemie sind Pflegekräf­te im Ausland nicht weniger gefragt als in Deutschlan­d.

Die Anwerbung von Fachkräfte­n berühre deshalb auch eine ethische Frage, da die medizinisc­he Lage in anderen Ländern häufig noch angespannt­er sei als hierzuland­e, sagt Kiefer. Hinzu komme, dass ausländisc­he Fachkräfte zunächst sprachlich geschult und deren fachliche Leistungen anerkannt werden müssten.

„Es braucht rund ein Jahr, bis Fachkräfte aus dem Ausland im Sozialbere­ich sattelfest sind“, sagt Kiefer. Deshalb könnte die Anwerbung von Fachkräfte­n die akute Personalno­t auf den Intensivst­ationen kurzfristi­g kaum lindern, auch eine Erhöhung der Ausbildung­skapazität­en für Gesundheit­sund Pflegeberu­fe mache sich frühestens in drei Jahren bemerkbar. „Wenn sich an den Arbeitsbed­ingungen in der Pflege nichts ändert, glaube ich, dass wir aus der Misere nicht rauskommen, denn ansonsten wird sich der Trend zur Abwanderun­g fortsetzen“, sagt Kiefer. Deshalb müsse die Politik entspreche­nde Rahmenbedi­ngungen für den Gesundheit­ssektor schaffen. Das seien in erster Linie geregelte Arbeitszei­ten, weniger Arbeitsbel­astung für den Einzelnen und eine vernünftig­e Entlohnung.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Intensivpf­leger bei der Betreuung: Auf den Intensivst­ationen im Südwesten fehlen massiv Pflegefach­kräfte.

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