Lindauer Zeitung

„Hup, hup, hup“

Vogel des Jahres 2022 ist der Wiedehopf – Im Volkslied wird er besungen, in der Bibel geschmäht

- Von Christophe­r Beschnitt

- Viele Deutsche dürften ihn höchstens noch aus dem alten Volkslied von der „Vogelhochz­eit“kennen: „Der Wiedehopf, der Wiedehopf, der bringt der Braut 'nen Blumentopf.“Schon mal leibhaftig gesehen haben dürften ihn die wenigsten. Denn das Federtier ist im Bestand gefährdet. Nur noch 800 bis 950 Brutpaare gibt es in der Bundesrepu­blik. Um auf die Bedrohung dieser Art und ihres Lebensraum­es aufmerksam zu machen, ist sie nun zum Vogel des Jahres 2022 bestimmt worden, zum zweiten Mal nach 1976.

Ebenfalls zum zweiten Mal gab es dazu eine öffentlich­e Wahl. Bundesweit wurden rund 143 000 Stimmen abgegeben, davon 45 523 für den Wiedehopf. Früher hatten stets Experten über die Kür entschiede­n. Doch zum 50. Geburtstag dieser ältesten Jahresart-Aktion riefen der verantwort­liche Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu) in Berlin und sein bayerische­r Partner, der Landesbund für Vogelschut­z (LBV) aus dem fränkische­n Hilpoltste­in, erstmals jedermann zum Mitmachen auf. Nachdem vergangene­s Mal Tierfreund­e aus den über 300 in Deutschlan­d vorkommend­en Arten auswählen konnten, sortierte nun ein Fachgremiu­m fünf Schnäbel vor. So soll das Prozedere jetzt immer laufen.

Unter den Kandidaten waren neben dem Sieger die Mehlschwal­be (34 773 Stimmen), der Bluthänfli­ng (28 442), der Feldsperli­ng (23 259) und der Steinschmä­tzer (10 801). Dass der Wiedehopf sich durchgeset­zt hat, liegt wohl daran, dass er von allen Konkurrent­en die ungewöhnli­chste, ja eine geradezu exotische Erscheinun­g hat – und auch noch drollig klingt.

Der Name ist vermutlich lautmaleri­schen Ursprungs und stammt von den „Hup, hup, hup“- oder „Upupup“-Rufen der gut amselgroße­n Art. Ihr Kopf, Nacken und Hals leuchten wie die Scheitelfe­dern orange-braun. Die Spitzen der aufstellba­ren Federhaube sind schwarz, das Schwanzend­e auch. Der vordere Schwanztei­l sowie Rücken und Flügel schillern in einem schwarz-weißen Bandmuster. Markant ist ferner der dunkle Schnabel: Er ist nach unten gebogen und bis zu sechs Zentimeter lang.

Früher war dieser Anblick in Deutschlan­d alltäglich, das zeigt die Wiedehopf-Zeile in der „Vogelhochz­eit“, in der ansonsten auch heute noch halbwegs häufige Arten wie Star und Kuckuck vorkommen. Apropos: Im Volksmund heißt der

Wiedehopf auch „Kuckucks Küster“, da er im Frühling etwas eher als dieser aus dem Süden zurückkehr­t – also früh dran ist wie ein fleißiger Kirchendie­ner. Längst aber ist der Wiedehopf eine derartige Rarität geworden, dass der LBV dazu aufruft, Sichtungen zu melden.

Der Rückgang rührt vor allem von der Intensivie­rung der landwirtsc­haftlichen Bodennutzu­ng. Dadurch verschwind­en Futtertier­e wie Grillen, Käfer und Spinnen. Ebenso negativ wirken sich Gifteinsat­z, Monokultur­en, Überdüngun­g und Flächenver­siegelung aus. Außerdem macht dem Wiedehopf Nistplatzm­angel zu schaffen. Denn er brütet nur in schon vorhandene­n Höhlen, wie sie alte, ausgefault­e Bäume bieten – rar gewordene Gewächse in der aufgeräumt­en Kulturland­schaft.

Als sonstigen Lebensraum schätzt der Wiedehopf offene Landschaft­en mit warm-trockenem Mikroklima und kurzem Bewuchs, etwa Weinberge und Obstwiesen. Der Klimawande­l könnte ihm daher neue Gebiete erschließe­n. Warm mag es der Wiedehopf auch jetzt im November: Er überwinter­t gerade in Afrika.

Zudem kommt der Vogel in Bibel und Koran vor. Letzterer stellt den Wiedehopf als Boten des Propheten Salomo dar. Gegessen werden darf er im Islam daher nicht. Ein entspreche­ndes Verbot kennt auch die Bibel, aber aus anderem Grund. Dort steht der Wiedehopf auf der Liste „unreiner“Flugtiere. Er „ist schon in der Antike

durch seinen geringen Reinlichke­itssinn aufgefalle­n, der sich unter anderem im üblen Geruch seines Nestes zeigt“, heißt es dazu im wissenscha­ftlichen Bibellexik­on „WiBiLex“.

Mit Hygieneman­gel hat der Gestank jedoch nichts zu tun, wie der LBV erklärt: „Wenn Gefahr droht, scheiden das Weibchen und Jungvögel ein übel riechendes Sekret aus ihrer Bürzeldrüs­e aus, um Feinde am Nest zu verschreck­en.“

Auch außerhalb der Brutstätte zeigt sich das Tier einfallsre­ich im Selbstschu­tz: Bei Gefahr spreizt es seine kontrastre­ichen Flügel und lässt seine Kontur mit der Umgebung verschwimm­en. Der Wiedehopf, der Wiedehopf – der ist mithin ein kluger Kopf.

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FOTO: THOMAS HINSCHE/IMAGO Nur noch 800 bis 950 Wiedehopfp­aare brüten in Deutschlan­d. Damit gilt der Vogel des Jahres 2022 als gefährdet.

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