„Urmels“Schöpfer Max Kruse wäre jetzt 100 Jahre alt
Der kleine, lispelnde Dinosaurier ist eine der bekanntesten Kinderbuchfiguren – Die Bücher des Autors sind so aktuell wie einst
(dpa) - Dinosaurier hat man sich sicher immer anders vorgestellt. Größer natürlich, viel größer, wilder auch und, na ja, auch nicht wirklich mit diesen niedlichen Öhrchen. Außerdem zerbersten keine Hochhäuser unter den kleinen Pfoten dieses Dinosauriers, der sich da auf den Buchseiten als „Urmel“weniger „aus dem Eis“als vielmehr „aus dem Ei“schält. Sein Brüllen lässt keine Bäume wie Streichhölzer knicken. Nein, das Urmel ist frech, liebenswert, es lispelt und ist pfiffig.
Ende der 1960er-Jahre schlüpfte es auf der Kinderbuch-Insel Titiwu aus seinem Fantasie-Ei, seither treibt es nicht nur in zwölf Büchern von seinem Schöpfer Max Kruse seine Streiche, sondern auch in einem Musical, einem Trickfilm, zwei Kinostreifen und mit eigenen Marionetten in der „Augsburger Puppenkiste“. Kruse bleibt auch an seinem 100. Geburtstag und sechs Jahre nach seinem Tod unvergessen.
Puppen haben Max Kruse ein Leben lang begleitet. Am 19. November 1921 in Bad Kösen an der Saale geboren, arbeitete der Sohn eines Bildhauers und der berühmten Puppenschöpferin Käthe Kruse zunächst als Kaufmann und baute die Werkstätten seiner Mutter in Bad Pyrmont wieder neu auf. Das Unternehmen übergab er 1958 an seine Schwester. „Ich wollte schreiben, und ich musste mich endlich von meiner Familie freimachen“, erklärte er später im Gespräch. Auch den Schreibwunsch trug er bereits seit Langem mit sich herum. „Ich war viel krank, ich las viel. Bücher waren mein Tor zur Welt. Daher wollte ich schon als Kind Bücher schreiben, Schriftsteller werden.“
Zunächst war er erfolgreich mit „Don Blech“und der Kinderbuchreihe „Der Löwe ist los“, seinem „unmittelbarsten Werk“, wie er später meinte. Von 1969 an widmete sich Kruse vor allem den Abenteuern von Urmel und Seele-Fant, dem zerstreuten Professor Habakuk Tibatong und der Schweinedame Wutz. „Das sind Menschenkinder im Kostüm der Tiere, jedes hat seinen eigenen Charakter und seine eigene Sprache“, erklärte Kruse den Erfolg seiner kleinen Figuren.
Aber gibt der Dino von damals den Kindern von heute immer noch etwas? „Auf jeden Fall“, da ist Kirsten Göbner vom Käthe-Kruse-Museum in Donauwörth überzeugt. „Es geht in den Urmel-Geschichten um Toleranz, weil die Tiere auf der Insel zusammenleben, obwohl sie so verschieden sind. Das ist zeitlos.“Nach wie vor besuchen viele Kinder die Ausstellung, die sich noch bis Ende Januar unter dem Titel „Vom KruseHaus nach Titiwu – Max Kruse zum 100. Geburtstag“dem Leben und den Figuren des Autors widmet.
Kruses Tochter Sylvia Milford erinnert sich an ihren Vater als stillen, besonnenen Menschen, dem das Miteinander in Frieden und mit Toleranz am Herzen lag. „Mein Vater hat uns, wie ich finde, viele wertvolle Weisheiten in seinen Werken weitergegeben, die auch heute noch Gültigkeit haben“, sagt sie der dpa. Seine Geschichten seien heute noch aktuell. „Wir leben in einer Welt, in der Menschen von allen Kontinenten in Kontakt sind und ihre Ideen, Meinungen und Ideologien äußern“, sagt Milford. „Und immer noch nicht haben wir gelernt, einander zu respektieren.“Anders sei das auf Urmels Insel und in früheren Geschichten Kruses.
Auch Günther Jakobs, der zum Jubiläum den ersten Band „Urmel aus dem Eis“neu illustriert hat, besitzt eine besondere Beziehung zum lispelnden Dino: „Meine Kindheitserinnerungen an das „Urmel“sind wie bei so vielen besonders durch die Inszenierung der „Augsburger Puppenkiste“geprägt“, erzählt er dem Stuttgarter Thienemann Verlag. „Dabei habe ich besonders die Sprachfehler der Tiere geliebt, vielleicht auch weil ich damals selbst etwas gestottert habe.“
Den Namen Urmel kombinierte Kruse aus „Ur“wie Urzeit und einer Zärtlichkeitsform. „Ur-chen, das gefiel mir nicht“, sagte er, „Urli auch nicht. Aber Urmel, das passte.“Nach dem ersten Rummel um Kruses quäkendes, lispelndes Dinogeschöpf mit Nilpferdschnauze, langem Schweif und kleinen Flügeln geriet das freche Urmel zunächst ein wenig in Vergessenheit. 1995 übernahm Thienemann die Rechte an den originalen UrmelBüchern.
Kruse, ausgezeichnet unter anderem mit dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, hat mehr als 50 Kinderund Jugendbücher geschrieben. Die Auflage seiner Werke liegt bei insgesamt über 3,3 Millionen Exemplaren, von „Urmel“wurden nach Thienemann-Angaben mehr als eine Million Bücher verkauft, weltweit und in 14 Sprachen. Zuletzt lebte Kruse zurückgezogen in dem kleinen bayerischen Untermaxkron bei Penzberg. Er starb am 4. September 2015 im Alter von 93 Jahren.