Der Staat als Feind
Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Lebensqualität hoch – und doch ist ausgerechnet in Baden-Württemberg, wo vieles so viel besser läuft als anderswo, die Zahl der Staatsfeinde und „Querdenker“besonders hoch. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung liefert nun erste belastbare Hinweise dazu, wer die Menschen sind, die dem Staat den Rücken kehren und ihre individuelle Freiheit zuvorderst stellen und warum es im Südwesten überdurchschnittlich viele davon gibt.
Der naheliegende Schluss ist der Falsche. Es stimmt zwar, dass die Protestkultur im Südwesten nicht erst seit Stuttgart 21 besonders groß ist. Doch die These „Die BadenWürttemberger sind eben gern dagegen“greift viel zu kurz. Mit den sogenannten Wutbürgern, die seit rund zehn Jahren gegen das Bahnprojekt demonstrieren, haben die „Querdenker“kaum Überschneidungen. Anders als im Osten Deutschlands, speist sich die Bewegung im Südwesten nicht aus AfD-Wählern, sondern vor allem aus Menschen aus dem alternativen oder antroposophischen Milieu – Menschen also, die früher eher links oder grün wählten. Im Vergleich zum Osten ist der Anteil von ursprünglichen Grünen- und LinkeWählern unter den „Querdenkern“in Baden-Württemberg sogar doppelt so hoch.
Dass sich viele der Menschen, die nun gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, vor allem bei den Grünen nicht mehr wiederfinden, liegt an deren Entwicklung. Im Südwesten gehören die Grünen spätestens seit 2011 zum Establishment. Wer den Staat im Grundsatz ablehnt, findet sich dort nicht mehr wieder.
Wie alle anderen Volksparteien haben nun auch die Grünen an den Rändern verloren. Das muss vor allem deshalb bedenklich stimmen, weil sich ein neues Milieu bildet. Es treffen sich Lager von ganz links und ganz rechts, die einst als unversöhnlich galten. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Staatsfeindlichkeit, sie reicht bis in die Mitte der Gesellschaft. Nach der Corona-Pandemie wird diese Gefahr bestehen bleiben. Gegen sie zu immunisieren, braucht es mehr als drei Spritzen.