Lindauer Zeitung

Der Staat als Feind

- Von Theresa● Gnann t.gnann@schwaebisc­he.de

Die Arbeitslos­igkeit ist niedrig, die Lebensqual­ität hoch – und doch ist ausgerechn­et in Baden-Württember­g, wo vieles so viel besser läuft als anderswo, die Zahl der Staatsfein­de und „Querdenker“besonders hoch. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung liefert nun erste belastbare Hinweise dazu, wer die Menschen sind, die dem Staat den Rücken kehren und ihre individuel­le Freiheit zuvorderst stellen und warum es im Südwesten überdurchs­chnittlich viele davon gibt.

Der naheliegen­de Schluss ist der Falsche. Es stimmt zwar, dass die Protestkul­tur im Südwesten nicht erst seit Stuttgart 21 besonders groß ist. Doch die These „Die BadenWürtt­emberger sind eben gern dagegen“greift viel zu kurz. Mit den sogenannte­n Wutbürgern, die seit rund zehn Jahren gegen das Bahnprojek­t demonstrie­ren, haben die „Querdenker“kaum Überschnei­dungen. Anders als im Osten Deutschlan­ds, speist sich die Bewegung im Südwesten nicht aus AfD-Wählern, sondern vor allem aus Menschen aus dem alternativ­en oder antroposop­hischen Milieu – Menschen also, die früher eher links oder grün wählten. Im Vergleich zum Osten ist der Anteil von ursprüngli­chen Grünen- und LinkeWähle­rn unter den „Querdenker­n“in Baden-Württember­g sogar doppelt so hoch.

Dass sich viele der Menschen, die nun gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, vor allem bei den Grünen nicht mehr wiederfind­en, liegt an deren Entwicklun­g. Im Südwesten gehören die Grünen spätestens seit 2011 zum Establishm­ent. Wer den Staat im Grundsatz ablehnt, findet sich dort nicht mehr wieder.

Wie alle anderen Volksparte­ien haben nun auch die Grünen an den Rändern verloren. Das muss vor allem deshalb bedenklich stimmen, weil sich ein neues Milieu bildet. Es treffen sich Lager von ganz links und ganz rechts, die einst als unversöhnl­ich galten. Ihr gemeinsame­r Nenner ist die Staatsfein­dlichkeit, sie reicht bis in die Mitte der Gesellscha­ft. Nach der Corona-Pandemie wird diese Gefahr bestehen bleiben. Gegen sie zu immunisier­en, braucht es mehr als drei Spritzen.

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