Fachkräftemangel bremst die Wirtschaft aus
Jeder zweite Betrieb kann freie Stellen nicht besetzen – Auf dem Bau sind die Probleme am größten
- Industrie und Dienstleister leiden immer stärker unter dem Fachkräftemangel: Jedes zweite Unternehmen findet derzeit keine passenden Arbeitnehmer für offene Stellen. Nach der coronabedingten Entspannung im vergangenen Jahr sei das Problem „schneller und in größerem Umfang als erwartet“wieder da, obwohl die Konjunktur schwächele, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) Achim Dercks am Montag in Berlin.
Nach dem aktuellen DIHK-Fachkräftereport, der auf Antworten von rund 23 000 Unternehmen basiert, ist der Fachkräftemangel für die Firmen das größte Geschäftsrisiko. 51 Prozent können demnach zumindest teilweise Stellen nicht besetzen, weil sie keine passenden Arbeitskräfte finden. Im Herbst hatten davon coronabedingt nur 32 Prozent der Unternehmen berichtet, vor der Pandemie waren es 47 Prozent.
In den kommenden Jahren werde es für Unternehmen immer mühsamer, sich gegen den Fachkräftemangel zu stemmen, sagte Dercks. Nach
Berechnungen des DIHK sind derzeit mindestens 1,7 Millionen Stellen nicht besetzt. „Das bremst die Wertschöpfung grob geschätzt um rund 90 Milliarden Euro – also circa 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes“, erklärte Dercks.
Die größten Probleme gibt es bei Mitarbeitern mit beruflicher Ausbildung, also mit einer Lehre. Meister und Fachwirte stehen an zweiter Stelle vor Hochschulabsolventen, bei denen insbesondere Informatiker und Ingenieure fehlen. Unter den Branchen beklagt die Bauwirtschaft die größten Lücken: Hier können zwei Drittel der Betriebe nicht alle Stellen besetzen. In der Industrie sind es 53 Prozent, doch hier haben die Schwierigkeiten besonders stark zugenommen: Vor einem Jahr kamen nur von 29 Prozent Klagen. Besonders laut sind sie bei Herstellern von Investitionsgütern, etwa dem Maschinenbau. Daher könne sich der Investitionsstau
weiter verschärfen, befürchtet der DIHK.
Insgesamt erwarten laut Report 85 Prozent der Unternehmen negative Auswirkungen vom wachsenden Fachkräftemangel. 43 Prozent rechnen damit, dass sie Aufträge verlieren beziehungsweise ablehnen oder ihr Angebot reduzieren müssen, wenn nötiges Personal fehlt. 2019 waren es nur 39 Prozent.
Konkret bedeutet das zum Beispiel: Bauprojekte scheitern, weil für Planung und Ausführung zu wenig Fachkräfte vorhanden sind. Oder: Fehlen Lkw-Fahrer oder Beschäftigte im Logistikbereich, könnten laut DIHK industrielle Produktionsprozesse ins Stocken geraten, wenn nötige Vorprodukte nicht rechtzeitig geliefert werden. Außerdem könnte es Probleme bei der Belieferung des Einzelhandels geben – Regale blieben im Zweifel leer.
Für die bereits in Betrieben arbeitenden Beschäftigten hat ein Mangel an Fachkräften ebenfalls Folgen, wie es in dem Report heißt: Viele Firmen erwarteten eine Mehrbelastung der Belegschaften – damit Aufträge abgearbeitet, Lieferfristen eingehalten oder Geschäftszeiten aufrechterhalten werden können.
Um mehr Personal zu gewinnen, wollen 53 Prozent der Betriebe ihre Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen. Zudem wollen viele noch stärker ausbilden. Jedes dritte Unternehmen will mehr für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun. Genauso viele hoffen auf mehr Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz gilt zwar seit März 2020, doch wegen Corona konnte es bisher kaum wirken. Seine Regeln sollten vereinfacht werden, forderte Dercks. Zudem setzt er darauf, die berufliche Ausbildung so zu verbessern, dass kein Jugendlicher dem Arbeitsmarkt verloren geht.