Angst vor der Leere
Bundesliga fürchtet sich vor erneuten Geisterspielen – In Sachsen kommen sie schon jetzt
(SID/dpa/sz) Marco Rose faltete die Hände, blickte nach oben und schickte ein kurzes Stoßgebet gen Himmel. Seine Bitte an den (Fußball-)Gott: Eine halbwegs vollbesetzte Arena beim Gipfeltreffen zwischen Borussia Dortmund und Bayern München in zwei Wochen. „Wir haben uns wieder daran gewöhnt, aber wir kriegen auch mit, was gerade abgeht“, sagte der BVB-Trainer: „Die Pandemie ist noch da, das merken wir alle.“
In den Bundesligastadien war davon an diesem Wochenende aber nur wenig zu spüren. Fast 60 000 Fans im Dortmunder Fußballtempel, eine volle Alte Försterei beim hitzigen Berliner Stadtderby, in allen Arenen dicht an dich gedrängte Zuschauermassen: Die Bilder wirkten angesichts von Rekord-Inzidenzzahlen wie aus der Zeit gefallen. Die Party auf den Rängen dürfte bald wieder vorbei sein, die ersten Geisterspiele sind bereits beschlossen. Die Angst vor einer weiteren Corona-Saison geht wieder um.
„Es kommen möglicherweise ein paar schwere Monate auf uns zu“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke am Sonntag auf der Jahreshauptversammlung des BVB. Bei RB Leipzig geht es schon jetzt von 100 auf 0: Nach dem neuen Zuschauerrekord gegen Borussia Dortmund (43 429) vor zwei Wochen muss der Vizemeister mindestens seine drei kommenden Heimspiele gegen Bayer Leverkusen (28. November), Manchester City (7. Dezember) und Borussia Mönchengladbach (11. Dezember) ohne Fans austragen. Auch die Zweitligisten Dynamo Dresden und Erzgebirge Aue sind vom Kabinetts-Beschluss des Freistaates Sachsen betroffen.
Man „akzeptiere und respektiere“die neue Gesetzeslage, teilte RB mit. Der Club warf der Politik in Sachsen jedoch wegen der „höchsten Infektionsrate aller Bundesländer einhergehend mit der niedrigsten Impfquote“schwere Versäumnisse vor. Die sportlich ohnehin schwächelnden Leipziger wittern einen „sportlichen Wettbewerbsnachteil, da wir derzeit der einzige Erstligist sind, der seine kommenden Heimspiele vor leerer Kulisse austragen muss“.
Doch auch die Clubs im Freistaat Bayern erwarten harte Einschnitte. Bayern München darf bis zum 15. Dezember nur noch vor maximal 25 Prozent der maximalen Auslastung spielen. Beim Champions-League-Hit gegen den FC Barcelona werden demnach höchstens 19 000 Zuschauer ins Stadion gelassen – und das nur, wenn sie geimpft oder genesen und zusätzlich negativ getestet sind.
In Nordrhein-Westfalen dürfte in den kommenden Tagen mindestens die 3G-Regel für Veranstaltungen kippen. Mehr Einschränkungen solle es aber bitte nicht geben, mahnte BVBBoss Watzke: „Ich bin schon der Meinung, dass wir uns nicht in KollektivHaftung mit anderen Regionen nehmen lassen dürfen, die sich weniger haben impfen lassen und deshalb ganz andere Zahlen haben.“
Dortmund vor bis zu 70 000 und Leipzig vor Geisterkulisse? Da stellt sich unausweichlich die Frage, wie lange eine so krasse Schere Bestand haben wird. Im bisherigen PandemieVerlauf glichen sich die Regeln in den einzelnen Bundesländern meist schnell aneinander an, sowohl bei Verschärfungen als auch bei Lockerungen. Fakt ist aber auch: Nie unterschied sich die Pandemie-Lage geografisch so sehr wie jetzt, wo neben den reinen Inzidenzzahlen und Krankenhausbelegungen auch die jeweiligen Impfquoten entscheidend geworden sind.
Nach den Vorboten aus Bayern und Sachsen, die unter anderem auch den Handball, Basketball und den Wintersport betreffen, sorgen sich auch andere Fußballclubs vor erneuten Spielen ohne Publikum. Der Vorstandsvorsitzende des VfB Stuttgart, Thomas Hitzlsperger, hat vor einer erneuten Senkung der Zuschauerzahlen im deutschen Profifußball gewarnt. „Eine neuerliche, pauschale
Reduzierung von Stadionkapazitäten würde unsere wirtschaftliche Situation existenziell verschärfen und wäre auch in Bezug auf die Pandemiebekämpfung der falsche Weg“, sagte Hitzlsperger vor wenigen Tagen dem „Kicker“. „Denn es würde die Impfkampagne konterkarieren, wenn Geimpfte und Genesene nicht ins Stadion dürfen.“Fußballspiele seien keine Pandemietreiber, meinte der 39Jährige. „Das zeigen die Zahlen sowohl bei uns in Stuttgart als auch in der gesamten Liga.“Dennoch scheinen sich auch die Schwaben auf einen erneuten Ausschluss oder zumindest eine Reduzierung der Zuschauer einzustellen. Den Ticketvorverkauf für Dauerkartenbesitzer und Mitglieder für das Heimspiel gegen Bayern München am 14. Dezember wurde vorerst auf unbestimmte Zeit verschoben.
Klar ist schon jetzt: Das Thema Corona wird auch den Fußball den Winter über beschäftigen und vor Herausforderungen stellen. „Es treibt uns genauso um, wie die Menschen außerhalb des Stadions“, sagte Union-Präsident Dirk Zingler vor dem Derbysieg gegen Hertha BSC (2:0) in der erstmals seit dem 1. März 2020 restlos gefüllten Alten Försterei: „Ist es richtig, ist es nicht richtig?“Die Frage müssen letztlich andere beantworten. Dem Profisport bleibt dabei selbst nur die Zuschauerrolle.