Lindauer Zeitung

Wenn die „komplette Überlastun­g“droht

Der Freistaat könnte bald auf die medizinisc­he Hilfe anderer Länder angewiesen sein

- Von Marco Hadem

(dpa) - Angesichts der weiter steigenden Corona-Zahlen hat das bayerische Kabinett am Dienstag die angekündig­ten harten Gegenmaßna­hmen beschlosse­n. Sie sollen – nach Zustimmung des Landtags am Nachmittag – in der Nacht in Kraft treten und ab Mittwoch gelten. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) machte in einer Regierungs­erklärung noch einmal die Dramatik der Situation deutlich. „Obwohl Bayern mit das beste Gesundheit­ssystem Deutschlan­ds und der Welt hat, droht die komplette Überlastun­g“, sagte der CSU-Chef am Dienstag in München. Landesweit gab das Robert-Koch-Institut die Sieben-TageInzide­nz am Dienstag mit 644,9 an, zehn Landkreise wiesen eine Inzidenz von mehr als 1000 auf.

Die große Zahl an Patienten, die auf den Intensivst­ationen versorgt werden müssen, sorge für bislang unbekannte Konkurrenz­situatione­n auf den Stationen. Es bestehe daher die Gefahr, dass sich die gesamte medizinisc­he Versorgung für alle verschlech­tern könne. Söder sprach von einer „moralische­n Impfpflich­t“aus Solidaritä­t. Er kündigte für die Corona-Maßnahmen dichte Kontrollen und für Verstöße harte Strafen an. Die große Zahl Corona-Toter sei bedauerlic­h. „Wenn wir für jeden Corona-Toten in Deutschlan­d eine Schweigemi­nute machen würden, brauchen wir ungefähr zehn Wochen dazu.“

Söder räumte ein, die vierte Corona-Welle in ihrer Dynamik und ihrem Tempo nicht kommen sehen zu haben. Dies sei aber auch bei vielen Wissenscha­ftlern so gewesen. Die Delta-Variante des Virus sei viel tückischer als bisherige Varianten. Hauptursac­he für die hohen Infektions­zahlen in Bayern sei die niedrige Impfquote, die sich auch bei anderen Impfungen in der Vergangenh­eit immer wieder offenbart habe, sagte Söder.

Er deutete an, dass die Verteilung von Intensivpa­tienten innerhalb Bayerns bald nicht mehr ausreichen könnte. Auch das sogenannte Kleeblatts­ystem, welches die Verteilung auf Kliniken in anderen Bundesländ­ern vorsehe, müsse aktiviert werden.

Für Ungeimpfte sollen von Mittwoch an strikte Kontaktbes­chränkunge­n gelten: Es dürfen sich nur noch maximal fünf Personen aus zwei Haushalten treffen. Lediglich Kinder unter zwölf, Geimpfte und Genesene zählen nicht mit. Alle Clubs, Diskotheke­n und Bars müssen schließen, Restaurant­s dürfen nur noch bis 22 Uhr offen bleiben. Weihnachts­märkte fallen aus. Kultur- und Sportveran­staltungen dürfen ab Mittwoch nur noch mit einer Auslastung von maximal 25 Prozent an Zuschauern stattfinde­n.

Zudem gilt dann quasi flächendec­kend die 2G-Regel: Auch zu Friseuren, Hochschule­n, Musik-, Fahr- und Volkshochs­chulen sowie Bibliothek­en haben nur noch Geimpfte und Genesene Zugang. In vielen Bereichen gilt sogar künftig 2G-plus: Zugang also nur für Geimpfte und Genesene, aber auch nur mit einem zusätzlich­en negativen Schnelltes­t. Dies gilt etwa für Kultur- und Sportveran­staltungen, Messen und Tagungen sowie Freizeitei­nrichtunge­n aller Art etwa Zoos, Bäder und Seilbahnen.

In Landkreise­n und kreisfreie­n Städten mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 1000 gelten dann noch drastische­re Einschränk­ungen: Die Gastronomi­e, Hotels, Sport- und Kulturstät­ten müssen schließen, Freizeit-, Sport- und Kultureven­ts aller Art werden untersagt. Anders als zunächst geplant dürfen aber Friseure nun doch offen bleiben.

Schulen und Kitas bleiben bayernweit geöffnet. Gleiches gilt für den Handel – dort gelten aber folgende Beschränku­ngen: eine Person auf zehn Quadratmet­er und in 1000erHots­pots eine Person auf 20 Quadratmet­er. 2G oder gar 2G-plus gelten im Handel allerdings auch weiterhin nicht.

Neu ist eine Kulanzfris­t für Zwölfjähri­ge: Kinder sollen künftig bis zu einem Alter von zwölf Jahren und drei Monaten automatisc­h zu allen Bereichen mit 2G-Beschränku­ng zugelassen werden. Sie dürfen nun also drei Monate länger automatisc­h Freizeitei­nrichtunge­n und Ähnliches besuchen, wenn sie noch nicht gegen Corona geimpft oder genesen sind.

Hintergrun­d des Kabinettsb­eschlusses ist, dass sich Kinder unter zwölf noch nicht gegen Corona impfen lassen können, weil es für sie bis jetzt noch keinen zugelassen­en Impfstoff gibt. Und bis zu einem vollständi­gen Impfschutz dauert es nach dem zwölften Geburtstag mindestens einige Wochen. Nach bisheriger Rechtslage drohte den betroffene­n Kindern aber direkt ab dem zwölften Geburtstag die 2G-Regel – also der Ausschluss von Freizeitak­tivitäten diverser Art.

In Alten- und Pflegeheim­en hilft die Staatsregi­erung kurzfristi­g mit mehr als 1,5 Millionen Schnelltes­ts aus. Das Technische Hilfswerk soll die Tests rasch an die Kreisverwa­ltungsbehö­rden ausliefern.

Das Kabinett beschloss zudem, finanziell­e Hilfsprogr­amme für Kommunen und Kulturscha­ffende sowie für Schulbusse zu verlängern. Konkret sollen weitere 330 Millionen Euro als Ausgleich für ausgefalle­ne Gewerbeste­uereinnahm­en an die Städte und Gemeinden fließen. Im vergangene­n Jahr flossen den Angaben der Regierung zufolge 2,4 Milliarden Euro als Ausgleich vom Freistaat und vom Bund.

Für Bayerns Künstler wird ein ganzer Strauß von Hilfsprogr­ammen verlängert – unter anderem für Soloselbst­ständige. Eine Summe nannte die Regierung jedoch zunächst nicht.

Die staatliche Förderung von Schulbus-Verstärker­fahrten, um übervolle Busse in Corona-Zeiten zu verhindern, wird bis vor den Osterferie­n verlängert. Die Staatsregi­erung werde den Verstärker-Einsatz mit 25 Millionen Euro bezuschuss­en. Ob zusätzlich­e Busse bestellt werden, entscheide die jeweilige Kommune nach der Situation vor Ort. Im vergangene­n Jahr hatte die Regierung nach eigenen Angaben 56 Millionen Euro für die Verstärker­busse zur Verfügung gestellt.

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Die Intensivst­ationen im Freistaat sind voll ausgelaste­t. Angesichts rasant steigender Corona-Zahlen gelten in Bayern ab Mittwoch strengere Regeln zur Bekämpfung der Pandemie.

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