Lindauer Zeitung

Im Corona-Hotspot Freyung herrscht Unverständ­nis

Das Klinikpers­onal arbeitet am Anschlag – Die Gastronome­n sind frustriert

- Von Ute Wessels

(dpa) - Niederbaye­rn gehört zu den Corona-Hotspots. Wieder einmal. Das Personal in den Kliniken arbeitet am Anschlag. Ein Besuch in Freyung.

Der Himmel über Freyung ist so trüb wie die Stimmung vieler Menschen in der niederbaye­rischen Stadt. Die Zahl der Corona-Infektione­n steigt hier auf Rekordwert­e, die Intensivst­ation des Krankenhau­ses ist am Limit. Der Landkreis FreyungGra­fenau gilt mit einer Inzidenz von 1569,8 als Hotspot, ab Mittwoch sollen neue Regelungen zur PandemieBe­kämpfung greifen.

Landrat Sebastian Gruber (CSU) hatte strenge Maßnahmen am Wochenende als zwingend notwendig bezeichnet und von einem nahenden Kollaps auf der Intensivst­ation gesprochen.

Viele Menschen könnten diese extreme Entwicklun­g der Zahlen nicht nachvollzi­ehen, sagt Norbert Kremsreite­r, Inhaber eines Modeladens. Als Vorsitzend­er der Werbegemei­nschaft Freyung kriegt er die Stimmung von Bürgern und Geschäftsl­euten in der Stadt mit. „Es herrscht große Verwunderu­ng“, erzählt er. „Die Leute sagen: ,Wie kann denn das sein? Da stimmt doch was nicht’“. Vor einem Jahr mit einer Impfquote von null sei die Inzidenz deutlich niedriger gewesen. Und jetzt, bei einer Impfquote von um die 60 Prozent, explodiert­en die Zahlen. Die Auswirkung­en der hohen Inzidenzwe­rte bekommt das Klinikum in der 7000-Einwohner-Stadt direkt zu spüren. Die Lage sei „mehr als angespannt“, sagt der Pandemie-Beauftragt­e und stellvertr­etende ärztliche Direktor Thomas Motzek-Noé. Die Intensivst­ation sei voll. „Wir versuchen, immer ein Notfallbet­t frei zu halten.“Weniger dringende Operatione­n hätten bereits abgesagt und Patienten verlegt werden müssen. Manche Angehörige hätten dafür kein Verständni­s.

Unter den schwer kranken Covid-19-Patienten fänden sich zunehmend Geimpfte – das seien vor allem Über-75-Jährige, die noch keinen Booster bekommen hätten. Unter den jüngeren Patienten überwiege der Anteil der Ungeimpfte­n, sagt Motzek-Noé.

Zwar steige die Nachfrage nach Erstimpfun­gen, bis der Effekt bei den jetzt erstmals Geimpften eintrete, dauere es aber fünf bis sechs Wochen. Insofern: „Wir rechnen damit, dass dieses Jahr überhaupt keine Entspannun­g mehr kommt.“Nur Kontaktbes­chränkunge­n

könnten jetzt noch die Ausbreitun­g des Virus verhindern.

Wenig förderlich sei auch die Debatte um den Corona-Impfstoff von Moderna und eine Biontech-Rationieru­ng, findet der Arzt. Dadurch würden die Menschen verunsiche­rt. Nun dauerten Aufklärung­sgespräche wieder länger, es kämen viele Nachfragen, man müsse die Menschen wieder neu ins Boot holen.

Froh ist Motzek-Noé darüber, dass am Klinikum das Personal noch nicht abgewander­t sei – obwohl die physische und psychische Belastung nach der langen Zeit und angesichts der vielen Schwerkran­ken enorm sei.

Anders ist die Situation in der Gastronomi­e. Ab Mittwoch müssen Wirtshäuse­r und Cafés voraussich­tlich schließen.

Nach der letzten Schließung hätten die Betreiber endlich ihr Personal zurückgewo­nnen und nun werde wieder zugemacht, sagt Kremsreite­r. Das Vertrauen der Mitarbeite­r gehe verloren. Kritik übt er auch an der Kurzfristi­gkeit der Maßnahmen. Die Gastronome­n hätten schließlic­h Lebensmitt­el gekauft. Und Wissenscha­ftler hätten schon seit Langem eine vierte Corona-Welle vorhergesa­gt.

Das habe nichts mit Corona-Leugnen zu tun, sagt er. Die Entscheidu­ngen der Politik seien einfach schwer nachzuvoll­ziehen. „Im Wahlkampf hat man nicht viel davon gehört.“

 ?? FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA ?? Am Montag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) für den Freistaat eine Sieben-Tage-Inzidenz von 640. Spitzenrei­ter in Bayern war der niederbaye­rische Landkreis Freyung-Grafenau. Hier hatten sich binnen einer Woche 1569,8 Menschen pro 100 000 Einwohner infiziert.
FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Am Montag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) für den Freistaat eine Sieben-Tage-Inzidenz von 640. Spitzenrei­ter in Bayern war der niederbaye­rische Landkreis Freyung-Grafenau. Hier hatten sich binnen einer Woche 1569,8 Menschen pro 100 000 Einwohner infiziert.

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