Lindauer Zeitung

Die Last der Landwirte

Immer mehr Bauern leiden an Burn-out oder Depression – Ein Betroffene­r berichtet, wie er die Kontrolle über sein Leben auf dem Hof verlor

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Von Dirk Grupe

- Lange bevor den Landwirt Manfred Haas die inneren Kräfte verließen und sein Leben zerfiel, gab es kleine Warnhinwei­se, die er aber nicht wahrnehmen wollte. So war es rund um den Hof nicht mehr so ordentlich wie früher, Geräte und Eimer standen manchmal achtlos herum. Wenn er Brennholz holte, kippte er es rasch zu einem Haufen ab, ohne die Scheite sauber aufzustape­ln. Und dann war da die Sache mit den Puzzles. „Seit meiner Kindheit bekomme ich zu Weihnachte­n ein Puzzle geschenkt, früher von meinen Eltern, heute von meiner Frau“, erzählt der 48-Jährige. Die sieben Weltwunder, Natur- und Tiermotive, alles Mögliche, Hauptsache die meist 1000 Teile fügen sich lückenlos zusammen, bevor die Tage wieder länger werden und die Feldarbeit an Fahrt aufnimmt. „In den letzten Jahren habe ich das Puzzle aber nicht mehr geschafft.“Zerfranst blieb das halb fertige Bild bis ins Frühjahr hinein liegen, bis die Katze drüberlief, bis Teile verknickte­n – und alles im Müll landete. Aus Vergnügen und Entspannun­g war Arbeit und Mühsal geworden, aus Mühsal schließlic­h Stress und Resignatio­n. Als dieses Muster schleichen­d alle Lebensbere­iche erfasst hatte und er die Kontrolle komplett verlor, blieb Haas als letzter Ausweg nur die Nervenklin­ik.

Burnout und Depression­en wurden lange nicht mit Landwirten in Verbindung gebracht, inzwischen zählen sie jedoch zu den Hochrisiko­gruppen, das bestätigen Sozialvers­icherung und Krankenkas­sen. Eine Umfrage des Nachrichte­nportals „agrarheute“unter 1300 Landwirten ergab, dass jeder vierte Bauer Burnout-gefährdet ist, sich ausgebrann­t und kraftlos fühlt. Alarmieren­d: Auch die Zahl der Selbsttötu­ngen unter Landwirten liegt offenbar deutlich über dem Durchschni­tt. Offizielle Statistike­n gibt es in Deutschlan­d dazu zwar nicht, eine Untersuchu­ng in Frankreich kommt jedoch zum Ergebnis, dass dort die Suizidrate 20 Prozent höher ist als in der Allgemeinb­evölkerung. Und in der Schweiz ermittelte­n Wissenscha­ftler der Universitä­t Bern, dass die Bauern einer ländlichen Gemeinde 37 Prozent mehr suizidgefä­hrdet waren als andere Männer. Nicht jede Erkenntnis lässt sich 1:1 übertragen, und die meisten Landwirte üben ihre Berufung mit Zufriedenh­eit aus. Doch auch hierzuland­e kann es viele

Gründe dafür geben, weshalb die Last auf einen Landwirt erdrückend wirkt. So wie bei Manfred Haas.

Haas hat Hof und Felder, die zwischen Schwarzwal­d und Schwäbisch­er Alb liegen, einst von seinem Vater übernommen, ein Mischbetri­eb mit Ackerbau, Vieh, später kam die Schweinezu­cht dazu. „Schon in der Ausbildung sind wir getrimmt worden: immer mehr, immer größer“, sagt er.

Der Mehreinsat­z war ihm auch in die Wiege gelegt, wie bereits der Vater engagierte er sich im Ehrenamt; im Sportverei­n, in Kindergart­en und Schule, in der Kirche, im Bauernverb­and, in Ortschafts- und Gemeindera­t. „Fragt dich jemand, dann machst du es auch“, nach diesem Motto tickte er. Und fiel zufällig mal ein Amt weg, kam schnell ein anderes dazu, verbunden mit ständiger Terminhatz. „Die Kinder habe ich nur noch am Tisch gesehen, bin danach gleich wieder weggesprun­gen aus der Familie.“Und die Hofarbeit gab es auch noch, immer mehr, weil immer größer.

Stallarbei­t, Pflanzensc­hutz, Säen, Schlachtvi­eh verladen, dabei die Kredite der Banken stets im Nacken. Genauso wie den bürokratis­chen Aufwand, über den alle Landwirte klagen und nicht selten daran verzweifel­n, an Hunderten Vorschrift­en, Gesetzen und Dokumentat­ionen. „Da ist ein wahnsinnig­er Druck“, sagt Haas, der die Dauerbelas­tung aber verdrängte. „Ich habe einfach nicht gemerkt, wie mir das Leben langsam entglitt“, erzählt der 48-Jährige. Gemerkt hat er es dann doch, da war es aber fast zu spät.

Im Juni 2020 brach der Schweinema­rkt zusammen, der Preis stürzte ab und damit verschlech­terte sich die finanziell­e Lage vieler Landwirte. „Dann kannst du keine Aushilfskr­aft mehr finanziere­n, also machst du die Arbeit selber“, sagt Haas, der bei immer weniger Schlaf sein Pensum immer weiter steigern musste. Abgekämpft und leer, erschöpft und entnervt, fühlte er sich nicht mal mehr in der Lage, Auto oder Trecker zu fahren, ließ die Feldarbeit liegen, kümmerte sich, so gut es ging, noch um die Tiere. Doch auch das konnte er irgendwann nicht mehr bewerkstel­ligen.

Die Ursachen, weshalb das innere System Schaden erleidet, sind so unterschie­dlich wie der Mensch selbst, sagt Heidi Perzl aus Landshut, die für die Sozialvers­icherung für Landwirtsc­haft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) Betroffene­n zur Seite steht. In ihren Gesprächen geht es um Stress und Überbelast­ung, um Trennung und Scheidung, um Suchterkra­nkungen oder auch um familiäre Tragödien, wenn etwa ein Kind bei einem Hofunfall zu Tode kommt. „Unter solchen Dingen zerbrechen Menschen und haben keine Lebensfreu­de mehr“, sagt Perzl. Vielfach hört sie Klagen über Konflikte bei der Hofübergab­e vom Vater auf den Sohn, über verhärtete Beziehunge­n unter Verwandten oder den Mangel an Wertschätz­ung für Arbeit und Einsatz. „Landwirtsc­haft muss man verstehen“, erklärt Perzl, die selbst auf einem Hof aufgewachs­en ist. „Man muss wissen, was für ein eigener Mikrokosmo­s so ein Betrieb ist. Wenn mehrere Generation­en und Familien miteinande­r leben und arbeiten müssen, und was das für eine Herausford­erung bedeutet.“

Dazu gehört auch die Pflege von Angehörige­n, ein wichtiges, weil nur schwer zu lösendes Thema in der Landwirtsc­haft. „Es kann vorkommen, dass jemand, der eben noch jeden Tag die Kälber versorgt hat, plötzlich zum Pflegefall wird. Dann braucht der Bauer einen Arbeitsers­atz und zusätzlich jemanden, der den Menschen versorgt“, so die Beraterin.

Oder die Bürde der Bäuerinnen, die während der Pandemie neben Pflege, Haushalt und Stallarbei­t das Homeschool­ing für die Kinder erledigen mussten. Auch die Einsamkeit kann auf dem Land am Gemüt zerren, seit Corona sowieso, wenn bei Junggesell­en die ohnehin raren Kontakte in Gastwirtsc­haft, Lagerhaus oder auf dem Feld wegfallen. „Es gibt ausreichen­d Gründe, weshalb es einem Landwirt zu viel werden kann“, sagt Perzl.

Volker Willnow vom Evangelisc­hen Bauernwerk in Baden-Württember­g

Manfred Haas könnte eine ganze Reihe nennen, auch wenn ihm die Vergangenh­eit wie ein böser Traum vorkommt, der plötzlich zerplatzte. „Irgendwann hat es peng gemacht und ich hatte einen Burn-out“, sagt er.

Den großen Knall hörte er aber erst, als Tierschütz­er auf dem Höhepunkt der Schweinema­rktkrise bei dem überforder­ten Landwirt einbrachen und in seinem überfüllte­n Stall filmten, wie sich die vernachläs­sigten Tiere gegenseiti­g verletzten. Die Aufnahmen gelangten an die Öffentlich­keit und Haas kam an den Pranger. Er verlor sein Ansehen, seine Ämter, war in der Existenz bedroht und seelisch am Boden. Für die damaligen Zustände auf dem Hof sucht er keine Ausreden: „Es tut mir leid, und es tut mir bis heute weh.“

Gerettet hat ihn damals sein Umfeld. Im Pfarrhaus der Gemeinde kamen sie zusammen, die Pfarrerin, Familie, Freunde und Kollegen – und redeten mit Engelszung­en auf Haas ein, der sich weiter gegen die Wirklichke­it und das Unausweich­liche stemmte. Der nicht in eine „Klappsmühl­e“wollte, nicht weg von Hof

Die Sozialvers­icherung für Landwirtsc­haft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) bietet das Programm „Mit uns ins Gleichgewi­cht“an, um die seelische und körperlich­e Gesundheit zu stärken. Das Programm umfasst Gruppenang­ebote, Online-Kurse, telefonisc­he Beratung und Krisenhilf­e.

Ansprechpa­rtner bundesweit unter Telefon 0561 / 78 51 05 12

24-Stunden-Krisenhotl­ine an sieben Tagen die Woche: 0561 / 78 51 01 01 und Arbeit, nicht die Familie mit all dem Schlamasse­l im Stich lassen. Inzwischen weiß er: „Wenn ich so weiter gemacht hätte, dann wäre ich heute ganz weg, auf dem Friedhof.“

Dass Landwirte oft das Gefühl haben, sie könnten es sich nicht leisten, psychisch zu erkranken, das weiß auch Volker Willnow vom Evangelisc­hen Bauernwerk in Baden-Württember­g. „Bauern kehren ja oft ihr dickes Fell nach außen“, sagt Willnow, der seit zwei Jahrzehnte­n Landwirte berät und betreut, der ihre Probleme kennt, einerseits die familiären und persönlich­en, anderersei­ts aber auch die Zweifel und den Kummer durch die Anfeindung­en von außen. „Was für Landwirte belastend sein kann und auch zu Depression­en und Burnout führt, ist die ständige Kritik an ihnen“, erklärt Willnow. Denn im gleichen Maße wie die Anzahl der Bauern durch den Strukturwa­ndel gesunken ist, hat auch ihr Ansehen abgenommen in der Bevölkerun­g. Die den Einsatz von Dünger und Pflanzensc­hutzmittel­n anprangert und den Agrarsekto­r verantwort­lich macht für Klimawande­l und Artensterb­en.

Landwirtsc­haftliche Familienbe­ratung des Evang. Bauernwerk­s in Württ. e.V.: Telefon 07942 / 107 10

Landwirtsc­haftliche Familienbe­ratung im Verband Katholisch­es Landvolk e.V.: Telefon

0711 / 979 11 20

Telefonsee­lsorge kostenfrei und rund um die Uhr: 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222

Info-Telefon Depression: 0800 / 33 44 533; Mo, Di, Do: 13 – 17 Uhr; Mi, Fr: 08:30 – 12:30 Uhr

Was die Adressaten nicht ohne Weiteres abschüttel­n, wie Willnow erklärt. „Wenn sie statt als Ernährer der Nation auf einmal als Giftspritz­er, Tierquäler oder Grundwasse­rverseuche­r dastehen, dann hinterläss­t das Spuren.“

Um die Wertschätz­ung in der Öffentlich­keit zu korrigiere­n, stehen allerdings neben Politik und Gesellscha­ft nicht zuletzt die Landwirte selbst in der Pflicht. Außerdem, das betont der Familienbe­rater, braucht es mehrere Faktoren, damit ein Mensch an seine Grenzen gerät. Kommt es aber so weit, fallen Gedanken und Worte manchmal pechschwar­z aus. „Dann geh’ ich nuff“, heißt es dann in der Beratung, „dann gehe ich rauf auf den Dachboden und mache mit allem Schluss.“

„Dahinter stecken Angst und Druck“, erklärt Willnow, der in der Folge zuhört, nachfragt, der von den Straucheln­den wissen möchte, welche Sorgen und Gefühle sich hinter ihren schwerwieg­enden Ankündigun­gen verbergen. Der Betroffene dazu ermutigt, sich profession­elle Hilfe zu holen, gerade und vor allem in allerhöchs­ter Verzweiflu­ng. „Ob Depression­en, Burn-out oder suizidale Gedanken – es gibt kaum einen Menschen, der nicht einmal im Leben in einer richtigen Krise war, in der es scheinbar keinen Ausweg gibt“, sagt Willnow. „Seelische Gesundheit ist keine Selbstvers­tändlichke­it.“

Manfred Haas konnte seine Scham vor der eigenen Schwäche überwinden, besuchte für zwei Monate eine psychosoma­tische Klinik. Dort hat er gelernt, dass die vielen Ehrenämter auch ein Heischen nach Anerkennun­g waren. Dass auf dem Hof weniger Arbeit oft ein Mehr für die Seele bedeutet. Dass Familie und Gesundheit an allererste­r Stelle kommen. Was sich vielleicht wie Binsenweis­heiten anhören mag, fühlt sich für den 48-Jährigen an schlechten Tagen noch immer unsicher an. „Ich muss aufpassen, dass ich nicht rückfällig werde.“Dass er nicht doch wieder in ein Ehrenamt rutscht, auf ein Bitten und Drängen mit einem Ja antwortet, wo doch ein Nein die gesündere Wahl wäre. Um sein Gleichgewi­cht zu wahren, hilft ihm an langen Winteraben­den auch ein Puzzle. Zu Weihnachte­n bekam er eines von seiner Frau, als Motiv das bunte Hundertwas­serhaus in Wien. Seit dem Frühjahr hängt es auf einer Holzplatte im Flur, 2000 Teile, lückenlos und ohne Knicke.

 ?? ?? Landwirte leiden häufig unter Einsamkeit und unter einer gesunkenen Anerkennun­g. Foto: Leligny/Andia.fr/ Imago Images
Landwirte leiden häufig unter Einsamkeit und unter einer gesunkenen Anerkennun­g. Foto: Leligny/Andia.fr/ Imago Images

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