Putin hält den Westen unter Spannung
Ukrainische und US-Nachrichtendienste befürchten einen Großangriff Russlands auf die Ukraine Ende Januar
- Laut CNN denkt man im Weißen Haus darüber nach, Militärberater in die Ukraine zu schicken und Waffen, darunter Luft- und Panzerabwehrraketen der Systeme Stinger und Javelin sowie Mi-17-Hubschrauber russischer Produktion, die eigentlich für Afghanistan gedacht waren. Zwei Patrouillenboote wurden bereits an Kiew geliefert Allerdings gäbe es Gegenstimmen in Joe Bidens Administration: Das Auftauchen der Stinger und Mi-17 in der Ukraine könnten Russland als Eskalation des Konfliktes betrachten. Präsidentensprecherin Jennifer Psaki wollte die möglichen Waffenlieferungen nicht kommentieren.
Es werden Nerven strapaziert, in Washington wie in Moskau. Nach Angaben amerikanischer und ukrainischer Nachrichtendienste bereitet der Kreml einen großen Krieg gegen die Ukraine vor. Die Russen planten einen Großangriff Ende Januar oder Anfang Februar, sagte Kirill Budanow, Chef der Militäraufklärung des ukrainischen Verteidigungsministeriums am Wochenende und bestätigte damit US-Informationen. Moskau hätte bereits 94 000 Mann an der Front zusammengezogen, dort auch 1200 Panzer und ballistische Iskander-Raketen postiert. Zuvor würden die russischen Geheimdienste versuchen, Proteste in Kiew und anderen ukrainischen Städten anzuzetteln, etwa gegen Covid-Impfungen, um den Anlass für ein Angreifen zu schaffen.
Laut der ukrainischen Aufklärung planen die Russen umfassende Vorstöße aus dem Donbass und der Krim, außerdem ein Landungsmanöver
bei Odessa sowie Angriffe aus Belarus. Damit könnten sie den russischsprachigen Südosten der Ukraine, außerdem die Hauptstadt Kiew und vor allem die komplette Schwarzmeerküste unter ihre Kontrolle bringen. Die verbleibende Rumpfukraine verlöre den Zugang zum Meer, die annektierte Halbinsel Krim aber erhielte eine breite Landbrücke nach Russland und problemlose Wasserversorgung aus dem Dnjepr. Der Donbass-Konflikt, in dem Russland zusehends genervt auftritt, wäre erledigt. Die russischen Besatzer könnten zudem direkte Fühlung zur prorussischen Separatistenrepublik Transnistrien in der Moldau aufnehmen und künftig auch die europäisch orientierte moldawische Regierung unmittelbar unter Druck setzen. Russland hätte mit der Ukraine auch deren zaudernde westliche Unterstützer besiegt, sich als Eurasiens Militärmacht Nummer 1 etabliert. Und das russische Portal nv.ua zitiert den neuesten Aufsatz des ehemaligen Kreml-Ideologen Wladislaw Surkow: „Für Russland ist ständige Ausbreitung nicht einfach eine Idee, sondern grundlegendes Existenzial unseres historischen Seins.“
Allerdings halten die Quellen in Washington oder Kiew den russischen Militärschlag für keineswegs sicher. Und erst gestern beteuerte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, sein Land hege keine aggressive Pläne. Im Gegenteil plane die Ukraine aggressive Aktionen gegen die prorussischen Rebellenrepubliken im Donbass. Der Moskauer Militärexperte Viktor Litowkin sagte, es handle sich um eine westliche Fake-Kampagne. „Russland wird nicht in die Ukraine einmarschieren, solange die Ukraine keine Großoffensive im Donbass beginnt.“Dann aber würden Russlands militärische Antwort auch die südukrainischen Küstenregionen Mykolajiw und Cherson, außerdem Odessa treffen. Bei Mykolajiw und Otschakiw befänden sich Nato-Ausbildungszentren, in Berdjansk wollten die Briten eine Marinebasis für die Ukraine bauen, Russland werden solche Bedrohungen bei dieser Gelegenheit ebenfalls beseitigen. Aber Litowkin glaubt, die USA werde keine ukrainische Großoffensive im Donbass zulassen. Ihnen sei klar, wie böse diese für die Ukraine ende. Und der Kiewer Politologe Wadim Karassjow hält eine Invasion nur für eine Reserve-Variante Russlands. „Moskau hat dieses Bedrohungsszenario aufgebaut, um den Westen politisch unter Druck zu setzen, wie schon im vergangenen Frühjahr“. Biden und der Westen seien seitdem schwächer geworden, China stärker, der Gaspreis enorm, das wolle Putin auf der Verhandlungsszene ausnutzen. Andererseits riskiert er bei einem großen Krieg neue schmerzhafte Wirtschaftssanktionen und das Aus für die schon fertige Gaspipeline Nord Stream 2. Auch andere Analytiker glauben, noch bluffe Putin. Der hatte vergangene Woche vor dem eigenen Außenministerium gefordert, die westlichen Staaten weiter unter Spannung zu halten. „Dieser Zustand muss bei ihnen so lange wie möglich aufrechterhalten bleiben.“Ziel sei es, „langfristige, seriöse Sicherheitsgarantien“für Russland durchzusetzen. Im April zogen sich die russischen Truppen zurück, nachdem Biden Putin einen Gipfel vorgeschlagen hatte. Jetzt wird wieder über ein zumindest virtuelles Treffen debattiert. Aber mit jedem neuen Truppenaufmarsch treibt der Kreml den Einsatz in die Höhe.