Lindauer Zeitung

Juristen halten Impfpflich­t für möglich

Zur Umsetzung gibt es unterschie­dliche Optionen – Debatte um Sanktionen

- Von Michael Gabel

- Ob die Impfpflich­t gegen das Coronaviru­s kommt, ist zwar noch unklar. Im Bundesjust­izminister­ium hält man sie aber für „verfassung­srechtlich vorstellba­r“, wie ein Sprecher sagt. Auch aus Sicht des Bochumer Professors für Öffentlich­es Recht, Stefan Huster, ist eine Impfpflich­t mit dem Grundgeset­z vereinbar. „Es geht darum, eine Überlastun­g des Gesundheit­swesens zu verhindern. Die Alternativ­e wäre, die gesamte Gesellscha­ft in den Lockdown zu schicken. Da erscheint mir in der Abwägung die Impfpflich­t als das kleinere Übel“, sagt das Mitglied der Nationalen Wissenscha­ftsakademi­e Leopoldina.

Um eine allgemeine Impfpflich­t anzuordnen, gibt es laut dem Verfassung­srechtler zwei Wege: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) könnte dies in Form einer

Rechtsvero­rdnung vorgeben, der der Bundesrat dann zustimmen müsste. Festgelegt ist dieses Vorgehen im Bundesinfe­ktionsschu­tzgesetz, das auch vorsieht, dass während einer Epidemie auch die Bundesländ­er für ihre Zuständigk­eitsbereic­he entspreche­nde Verordnung­en erlassen können, solange der Bundesgesu­ndheitsmin­ister nicht tätig wird. Huster favorisier­t jedoch einen zweiten Weg: die allgemeine Impfpflich­t ausdrückli­ch im Gesetz zu verankern. Mit einem vom Parlament beschlosse­nen Gesetz würde man der großen politische­n Tragweite dieser Maßnahme gerecht und wäre dadurch „rechtlich auf der sicheren Seite“.

Keinesfall­s dürfe aber eine Impfpflich­t in einen Impfzwang ausarten, betont Huster. „Dass die Polizei jemanden zu Hause abholt und diese Person dann mit Gewalt geimpft wird, dazu darf es nicht kommen.“Während Politiker wie der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) und Baden-Württember­gs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) zum Durchsetze­n der Impfpflich­t auf die Androhung von Bußgeldern setzen, empfiehlt der Verfassung­srechtler ein weniger hartes Vorgehen. „Wer sich weiterhin weigert, sich impfen zu lassen, soll einfach vom gesellscha­ftlichen Leben ausgeschlo­ssen werden“, schlägt Huster vor. Mit der Einführung von 2G plus in vielen Bereichen wird ein ähnliches Modell im Südwesten bereits angewandt.

Dass eine Impfpflich­t – ganz unabhängig davon, wie sie umgesetzt würde – verfassung­sgemäß wäre, darüber sind sich die meisten Staatsrech­tler einig. Der Schutz des Lebens anderer Menschen sei in der gegenwärti­gen Pandemie höher zu bewerten als „das Grundrecht auf körperlich­e Unversehrt­heit“, auf das sich Impfgegner berufen, sagt Ulrich Battis, Rechtswiss­enschaftle­r an der Humboldt-Universitä­t Berlin. Für Uwe Volkmann, Professor für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Frankfurt/Main, ist bei einer Impfpflich­t die „Eingriffst­iefe“geringer als bei den „andernfall­s erforderli­chen gravierend­en Freiheitse­inschränku­ngen“.

Völlig anders bewertet dagegen der Freiburger Staatsrech­tler Dietrich Murswiek die verfassung­srechtlich­e Lage. „Ich halte eine generelle Corona-Impfpflich­t für verfassung­swidrig“, sagt er der „Bild“-Zeitung. Mit der grundgeset­zlich garantiert­en körperlich­en Integrität jedes Menschen und der Selbstbest­immung über seinen Körper sei „eine Pflicht zur Impfung unvereinba­r“.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Der Weg zur Impfpflich­t ist nach Meinung vieler Experten aus rechtliche­r Sicht frei.

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