Juristen halten Impfpflicht für möglich
Zur Umsetzung gibt es unterschiedliche Optionen – Debatte um Sanktionen
- Ob die Impfpflicht gegen das Coronavirus kommt, ist zwar noch unklar. Im Bundesjustizministerium hält man sie aber für „verfassungsrechtlich vorstellbar“, wie ein Sprecher sagt. Auch aus Sicht des Bochumer Professors für Öffentliches Recht, Stefan Huster, ist eine Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar. „Es geht darum, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Die Alternative wäre, die gesamte Gesellschaft in den Lockdown zu schicken. Da erscheint mir in der Abwägung die Impfpflicht als das kleinere Übel“, sagt das Mitglied der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina.
Um eine allgemeine Impfpflicht anzuordnen, gibt es laut dem Verfassungsrechtler zwei Wege: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) könnte dies in Form einer
Rechtsverordnung vorgeben, der der Bundesrat dann zustimmen müsste. Festgelegt ist dieses Vorgehen im Bundesinfektionsschutzgesetz, das auch vorsieht, dass während einer Epidemie auch die Bundesländer für ihre Zuständigkeitsbereiche entsprechende Verordnungen erlassen können, solange der Bundesgesundheitsminister nicht tätig wird. Huster favorisiert jedoch einen zweiten Weg: die allgemeine Impfpflicht ausdrücklich im Gesetz zu verankern. Mit einem vom Parlament beschlossenen Gesetz würde man der großen politischen Tragweite dieser Maßnahme gerecht und wäre dadurch „rechtlich auf der sicheren Seite“.
Keinesfalls dürfe aber eine Impfpflicht in einen Impfzwang ausarten, betont Huster. „Dass die Polizei jemanden zu Hause abholt und diese Person dann mit Gewalt geimpft wird, dazu darf es nicht kommen.“Während Politiker wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) zum Durchsetzen der Impfpflicht auf die Androhung von Bußgeldern setzen, empfiehlt der Verfassungsrechtler ein weniger hartes Vorgehen. „Wer sich weiterhin weigert, sich impfen zu lassen, soll einfach vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden“, schlägt Huster vor. Mit der Einführung von 2G plus in vielen Bereichen wird ein ähnliches Modell im Südwesten bereits angewandt.
Dass eine Impfpflicht – ganz unabhängig davon, wie sie umgesetzt würde – verfassungsgemäß wäre, darüber sind sich die meisten Staatsrechtler einig. Der Schutz des Lebens anderer Menschen sei in der gegenwärtigen Pandemie höher zu bewerten als „das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit“, auf das sich Impfgegner berufen, sagt Ulrich Battis, Rechtswissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin. Für Uwe Volkmann, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Frankfurt/Main, ist bei einer Impfpflicht die „Eingriffstiefe“geringer als bei den „andernfalls erforderlichen gravierenden Freiheitseinschränkungen“.
Völlig anders bewertet dagegen der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek die verfassungsrechtliche Lage. „Ich halte eine generelle Corona-Impfpflicht für verfassungswidrig“, sagt er der „Bild“-Zeitung. Mit der grundgesetzlich garantierten körperlichen Integrität jedes Menschen und der Selbstbestimmung über seinen Körper sei „eine Pflicht zur Impfung unvereinbar“.