Wieder kein Glühwein mit Kollegen
Wegen Corona fallen erneut viele Weihnachtsfeiern aus – In Unternehmen sind sie wichtig fürs Teambuildung
- Ein Fest im Freien, stimmungsvoll wie ein Weihnachtsmarkt. Das haben die Verantwortlichen beim oberschwäbischen Spielehersteller Ravensburger eigentlich im Sinn gehabt. Eben eine Weihnachtsfeier ähnlich der Feste, wie sie das Unternehmen in den Jahren vor der Pandemie gefeiert hat. Damals habe man mit bis zu 800 Gästen das komplette Erdgeschoss des Hauptgebäudes in Ravensburg, vom Foyer bis zum Betriebsrestaurant, in eine Winterund Weihnachtslandschaft verwandelt – Tanzfläche inklusive, so erzählt es Pressesprecherin Heike Herd-Reppner.
Doch die Corona-Lage verhindert schon wieder und nicht nur bei dem Ravensburger Traditionsunternehmen das vorweihnachtliche Feiern – sehr zum Unmut vieler Mitarbeiter. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov wünschen sich 47 Prozent der Angestellten in deutschen Unternehmen Weihnachtsfeiern. Zwar geht in diesem Jahr für 39 Prozent angesichts dramatisch steigender Infektionszahlen, abgesagter Weihnachtsmärkte und der zunehmenden Debatte um eine Impfpflicht der Verzicht in Ordnung, aber klar ist: Das Zusammenkommen innerhalb des Unternehmens mit Kollegen zum Jahresende ist weit mehr als nur die Aussicht auf ein gutes Essen. Es gehört zum Leim, der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammenkittet.
„Weihnachtsfeiern sind ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung gegenüber Angestellten. Es gibt keine wichtigere Firmenfeier“, sagt Hannes Zacher. Er ist Arbeitspsychologe und lehrt an der Universität Leipzig und beschäftigt sich unter anderem auch mit Unternehmensfeiern. „Weihnachtsfeiern werden von Unternehmen sehr unterschiedlich durchgeführt.“Das könne von kleineren Empfängen oder Essen im Restaurant bis hin zu großen, abendfüllenden Unterhaltungsveranstaltungen gehen. Die Feiern im Dezember seien für viele Mitarbeiter ein „Jahreshöhepunkt“, auch eine Belohnung für das Geleistete. „Unternehmensfeiern insgesamt stärken das WirGefühl unter den Mitarbeitern. Sie schaffen Verbindung zum Unternehmen und eine soziale Identität – und die Weihnachtsfeier, zumal in Deutschland, hat dabei noch einmal eine herausgehobene Stellung.“Das hänge mit der Besonderheit der Jahreszeit und der Festtage in der Gesellschaft zusammen.
Dieses Wir-Gefühl zu stärken gelinge im Kleinen auch schon mit Gesten wie mitgebrachten Speisen, etwa zum Geburtstag, unter der Belegschaft. Und neben gemeinsamen Feiern müssen Unternehmen laut Zacher heutzutage auch weitere weiche Faktoren bedienen, um Mitarbeiter zu binden: Betriebskindergärten, flexible Arbeitszeiten, Rabatte bei eigenen Produkten, sogar ein Haushaltsservice seien denkbar. „Die Forschung zeigt, dass Unternehmen, die in Mitarbeiter und Unternehmenskultur investieren, auch wirtschaftlich erfolgreicher sind und als attraktivere Arbeitgeber gesehen werden“, sagt der Unternehmensexperte. Der Arbeitgeberverband Unternehmer Baden-Württemberg sieht das ähnlich. „Ganz grundsätzlich gilt: Betriebsfeiern, Betriebsausflüge, Betriebssport wie generell gemeinsame Unternehmungen verschiedenster Art steigern die Teammoral und den Zusammenhalt in der Belegschaft“, sagt Sprecher Thomas Widder. Und die Moral helfe dann auch in Krisenzeiten wie diesen. Dies würde auch eine Arbeit des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation aus Stuttgart belegen. Dort habe man im vergangenen Jahr Entscheider aus rund 500 Unternehmen gefragt, was sie aus der Corona-Pandemie gelernt haben. 93 Prozent hätten folgendem Satz zugestimmt: „Zusammenhalt und eine starke Unternehmenskultur machen sich in Krisen bezahlt.“
Firmenevents und Unternehmensinitiativen wirken als sozialer Klebstoff unter Kollegen, sie können die Abläufe produktiver machen. „Zum Jahresende rückt man zusammen. Man blickt auf Firmenerfolge und positive Erlebnisse. Weihnachtsfeiern sind ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur und haben damit einen Effekt auf Arbeitsleistung und -zufriedenheit“, erläutert Zacher. Darüber hinaus ließe sich zu solchen Anlässen auch das Karrierenetzwerk enger knüpfen.
Auch die für Weihnachtsfeiern typischen Rituale hätten für Mitarbeiter eine wichtige Bedeutung, sagt Zacher. Sie seien ein Anker in turbulenten Jahren. „In Krisenzeiten wird der soziale Zusammenhalt grundsätzlich wichtiger. Eine schöne Weihnachtsfeier hätte gerade jetzt einen hohen Stellenwert.“Und zu so einer Feier gehörten Gespräche, Tanzen und auch das gemeinsame Singen.
Die Pandemie verhindert dies jedoch nun. Ravensburger hat sich am vergangenen Freitag dazu entschieden, die Feier abzusagen. Die aktuelle Corona-Lage lasse unbeschwertes Feiern nicht zu, sagt Sprecherin Herd-Reppner. Bei dem Spielehersteller sei das Weihnachtsfest mit Abstand „die beliebteste Feier“. Das besonders anstrengende Weihnachtsgeschäft sei dann beinahe gemeistert, es werde bis spät in die Nacht gefeiert. Die Absage sei dennoch auf „hohes Verständnis“gestoßen, auch wenn die Enttäuschung im Unternehmen vorherrsche.
Eine Enttäuschung, die viele Angestellte in anderen Unternehmen, die die Feiern ebenfalls abgesagt haben, nachvollziehen können. Denn nach Monaten der Vereinzelung im Homeoffice und nach der Entfremdung von Firma und Kollegen, nach Monaten voller Ungewissheit über die eigene wirtschaftliche Sicherheit und einem kurzen Sommer des Durchschnaufens hat es wohl selten ein so großes Bedürfnis gegeben nach Normalität und Geselligkeit in einer sicheren Umgebung. „Wenn Sie seit Monaten oder gar Jahren beinahe nur im Homeoffice sitzen, schwindet die Bindung zu Firma und Mitarbeitern“, sagt Arbeitsexperte Zacher. „Arbeit ist viel mehr als Einkommen, sie ist Halt und soziale Identität. Und Rituale wie die Weihnachtsfeier tragen dazu enorm bei. Das geht gerade alles verloren.“
Manches Unternehmen weicht da zur Feier von dem unsicheren Ballsall in den sicheren virtuellen Raum aus. Doch „digitale Weihnachtsfeiern sind ein notdürftiger Ersatz – aber immerhin besser, als gar nichts anzubieten“, erläutert Arbeitspsychologe Zacher. Immerhin: Eine gut organisierte digitale Weihnachtsfeier würde zeigen, das Unternehmen kümmere sich.
Wichtigste Punkte für eine gelungen Feier sind für viele Mitarbeiter gutes Essen und Unterhaltung. Bei der Unterhaltung kann sich das Unternehmen virtuell einiges einfallen lassen – und möglicherweise ersetzt eine Weihnachtstüte mit Glühwein und Leckereien das gute Essen, bis die Pandemie eine normale Feier wieder zulässt.