Lindauer Zeitung

Wer geht heute noch auf die Walz?

Die 800 Jahre alte Tradition wird noch gelebt – Doch die Herausford­erungen sind vielfältig

- Von Kerstin Futschik

- Es gibt sie noch: Gesellen und Gesellinne­n auf der Walz. Lasse aus Flensburg und Jens aus Ilshofen bei Schwäbisch Hall waren in Kempten unterwegs. Jens arbeitete zwei Wochen im Kemptener Betrieb von Steinmetz Mario Riedesser. Der unterstütz­t die Tradition nach Kräften. Doch längst nicht alle Betriebe können das noch leisten. Das sind die Vor- und Nachteile der Walz:

Ihre Nachnamen haben Lasse und Jens nicht verraten. Denn auf der Wanderscha­ft lege man diesen ab, erklären sie. Beide gehören dem Freien Begegnungs­schacht an – einer von fünf großen Handwerker­Vereinigun­gen in Deutschlan­d.

Für Lasse ist die Walz nach vier Jahren nun bald zu Ende, Jens ist dagegen noch „Aspirant“. Das heißt, er befindet sich noch in der dreimonati­gen Probezeit, nach der er endgültig entscheide­n kann, ob er auf Wanderscha­ft bleiben will.

Bevor die beiden gemeinsam weiterzieh­en, muss Jens noch bei der Krankenkas­se vorbei, erzählt er. Dort zeige er sein Reisebuch vor, das die Stempel aller bisher besuchten Städte enthält, um nachzuweis­en, dass er tatsächlic­h auf der Walz ist. Denn dann bleibt auch der Versicheru­ngsschutz erhalten.

Das lässt sich vergleichs­weise einfach regeln. Anders sei das etwa bei Schiffen, auf denen Wandergese­llen früher oft anheuerten, um ins Ausland zu kommen, erzählt Jule Wiencke. Sie ist Steinmetz-Gesellin bei Mario Riedesser und war selbst viereinhal­b Jahre auf der Walz. „Heute ist das versicheru­ngstechnis­ch oft schwierig.“Es bleibe nur das Flugzeug, für das man bezahlen muss. Dabei dürften Wandergese­llen eigentlich kein Geld für den Transport ausgeben.

Die 31-Jährige aus Mecklenbur­g verbrachte während ihrer Walz einige Wochen in Irland und Marokko. Auch zu Riedesser nach Kempten führte sie ihr Weg. Zur SteinmetzH­ochsaison an Allerheili­gen sei sie immer wieder zurückgeke­hrt. Vor einem Jahr blieb sie endgültig.

Da Wandergese­llen aber meistens weiterzieh­en, hätten Betriebe rein wirtschaft­lich betrachtet nur wenig davon, diese zu beschäftig­en, sagt Eva Dirr. Sie und ihr Mann betreiben die Zimmerei Dirr in Haldenwang und hatten zuletzt vor einigen

Dauer Die Mindestrei­sezeit beträgt drei Jahre und einen Tag. Maximal drei Monate Aufenthalt sind für einen Ort vorgesehen.

Bannmeile Ein Bereich von 50 Kilometern rund um ihren Heimatort ist für Wandergese­llen und -gesellinne­n tabu.

Kommunikat­ion Handys dürfen während der Walz nicht benutzt werden.

Geld Was die Gesellen und Gesellinne­n verdienen, dürfen sie ausEin Monaten einen Zimmerer auf der Walz zu Gast. Der Mindestloh­n für einen Gesellen betrage 15,70 Euro pro Stunde. „Es ist nicht möglich, jemandem fürs ,Zuschauen und Lernen’ dieses Gehalt zu zahlen“, sagte sie. Hinzu kämen noch andere Leistungen, wie etwa die Betriebsha­ftpflicht. Und diejenigen Mitarbeite­nden, die dem Wandergese­llen etwas zeigen, seien ein Stück weit „blockiert“. „Der eigentlich schöne Brauch ist heutzutage nur schwer umzusetzen.“

Die Handwerksk­ammer Schwaben habe zu Wandergese­llen nur dann Kontakt, wenn diese um den Stempel ins Wanderbuch und ihr Wandergeld bitten. Das betrage 30 Euro, teilt Pressespre­cherin Moni Treutler-Walle mit. Seien 2018 und 2019 noch 15 beziehungs­weise zwölf geben – allerdings nicht für Unterkunft und Transport. Lediglich bei Reisen ins Ausland gibt es Ausnahmen, etwa wenn ein Flug nötig ist.

Kleidung Die „Kluft“, bestehend aus Weste, Jacke, Hose oder auch Rock muss in der Öffentlich­keit immer getragen werden. Die Farbe gibt über das Gewerk Aufschluss. Holz-Handwerk: schwarz; Steinmetze: grau, beige oder weiß; Schmiede: blau; Lebensmitt­el-Handwerk: Pepita-Muster; Textil-Handwerk: rot; Landwirte und Gärtner: grün.

Wandergese­llen in die Kammer gekommen, waren es im Corona-Jahr 2020 nur drei, heuer bisher vier.

Von etwa 500 Wandergese­llen jährlich – in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz – gehen Steinmetzi­n Wiencke, aber auch Zimmerer Lasse aus. „Man weiß es aber nie so genau“, sagt die Wahl-Kempteneri­n. Dass es zumindest gefühlt weniger werden, daran könnte auch das Handyverbo­t Schuld sein. „Viele können ja gar nicht mehr ohne.“

Lasse bestätigt das. Allerdings sei es für ihn eine bereichern­de Erfahrung gewesen. Man sei mehr im „Jetzt“. Dennoch freut er sich darauf, wieder einfach so telefonier­en zu können – ohne jemanden fragen zu müssen.

Sowohl er als auch Wiencke schätzen den Austausch, den die schwarzer Hut steht für die Freiheit nach der Freisprech­ung des Meisters (Abschluss der Lehre).

Gepäck Das „Bündel“besteht aus so genannten Charlotten­burgern – also Tüchern, in die die Habseligke­iten eingewicke­lt werden. Hintergrun­d: Über die vormals genutzten Rucksäcke kam zu viel Ungeziefer in die Städte. Deshalb entwickelt­e man in Berlin-Charlotten­burg die Tücher, die man regelmäßig waschen konnte.

Stock

Alle Wandergese­llen führen

Walz ermöglicht, auch unter den verschiede­nen Gewerken. Ein Vorteil, den Ulrich Kennerknec­ht, Kreishandw­erksmeiste­r im Oberallgäu und Zimmerer aus Immenstadt, ebenfalls sieht. „Man bringt dann ganz unterschie­dliche Kenntnisse mit heim“, sagt er. Gerade in einem Familienbe­trieb könne das wertvoll sein. Er selbst hat keine Erfahrung mit der Walz gemacht, hat aber immer wieder Wandergese­llen aufgenomme­n.

Jule Wiencke hat während ihrer Wanderscha­ft vor allem gelernt, wie wichtig ihr Verbindlic­hkeit ist. „Bei Wandergese­llen kann man sich aufs Wort verlassen“, sagt sie. Deshalb war auch eine Verabredun­g mit anderen am Rathaus in Dublin sechs Wochen im Voraus kein Problem. „Die waren da.“ einen sogenannte­n Stenz mit sich. Dabei handelt es ich um ein Stück der Geißblatt-Pflanze, die sich die Männer und Frauen im Wald suchen.

Schmuck Gesellen und Gesellinne­n müssen am linken Ohr einen Ohrring tragen. Früher war dieser aus Gold, sodass – sollte dem Gesellen auf der Walz etwas zustoßen – die Beerdigung bezahlt werden konnte. Benahm sich ein Geselle daneben, riss man ihm den Ring aus dem Ohr. Daher stammt der Begriff „Schlitzohr“. (kes)

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