Lindauer Zeitung

Experte sieht Haalands frühes Comeback kritisch

Sportverle­tzungen werden oft nicht gründlich auskuriert – Physiother­apeut Aldo Vetere rät Fußballpro­fis zu Geduld

- Von Ralf Jarkowski

(dpa) - Die biegsamen Finger von Starpianis­t Lang Lang, die stahlharte­n Fäuste der boxenden Klitschko-Brüder oder die muskulösen Beine von Fußballpro­fis – Sportphysi­otherapeut Aldo Vetere hat schon viele Meister ihres Fach begleitet und behandelt und wieder fit für den Job gemacht. In rund 15 Ländern hat der 33-Jährige schon Sportler betreut, sieben Monate im Jahr ist er unterwegs. Was dem Chef eines Sportthera­piezentrum­s in Düsseldorf derzeit Sorgen macht: Seiner Meinung nach kurieren viele Profis ihre Verletzung­en nicht gründlich genug aus und kommen viel zu schnell zurück. Vetere warnt vor solchen Blitz-Comebacks.

„Der Fußball ist in den vergangene­n 30 Jahren verdammt schnell geworden, das Tempo hat zugenommen. Die Effizienz des Trainings, die Betreuung durch die Spezialist­en sind super. Aber die Dosierung ist das Problem, also immer wieder die Intensität. Es wird nach Verletzung­spausen zu früh wieder angefangen“, sagt Vetere. „Viele kommen zu früh zurück, der Druck für ein Comeback ist da einfach zu groß.“

Auch den Fall von BVB-Superstürm­er Erling Haaland hat der Experte verfolgt – allerdings mit Abstand, denn der Norweger ist kein Patient von Vetere. „Bei Erling würde ich spontan sagen: Viel zu viel, viel zu früh und viel zu viel Stress“, meint Vetere. „Und: Die Ursache ist nicht behoben worden.“Haaland sei „schnell unter Druck“zurückgeko­mmen. „Die Genesungsc­hancen halte ich für wirklich hoch, das wird man auch in den Griff kriegen. Nur – Fakt ist: Ein drittes Mal in so kurzer Zeit dürfte das nicht passieren!“Der 21-jährige Haaland fehlt Borussia Dortmund erneut wochenlang, weil er sich am Hüftbeuger – einem großen Muskel – verletzt hat. Haaland war Anfang Januar 2021 nach ausgeheilt­em Muskelfase­rriss und rund einmonatig­er Zwangspaus­e ins BVB-Team zurückgeke­hrt. Anfang Oktober verletzte er sich erneut, verpasste drei Spiele und stand am 16. Oktober wieder im Bundesliga­Kader. Nur wenige Tage später kam vom BVB die nächste Hiobsbotsc­haft.

Als weiteres Beispiel nennt der Spezialist Mario Götze, den WMSiegtorh­elden

von 2014. „Zu viel verheizt, viel zu viel, viel zu schnell. Und bumm – heute spricht fast keiner mehr drüber“, sagt Vetere über den 29 Jahre alten Eindhoven-Profi. „Man fängt dann plötzlich an, sich selber zu hinterfrag­en. Zweifel kommen auf, Ängste, Druck. Man ist nicht mehr präsent, man ist nicht frisch, man ist nicht effizient. In diesem Hamsterrad sind viele schon drin gewesen.“

Kniechirur­g Werner Krutsch hat als Vereinsarz­t des 1. FC Nürnberg einen anderen Blickwinke­l, der Professor führt zudem eine eigene Praxis. „Dass die Zahl der Verletzung­en tendenziel­l steigt, kann man so nicht sagen. Es gibt in der Fußball-Bundesliga ja bisher auch kein offizielle­s Verletzung­sregister. Aber was wir sagen können, gerade aktuell nach dem Lockdown, dass viele Profis bei der Rückkehr Probleme kriegen, die letzten 18 Monate waren einfach nicht normal für sie“, sagte Krutsch, ein ausgewiese­ner Spezialist für Kreuzbandv­erletzunge­n. Bei der Betreuung von Mannschaft­en mit rund 25 Sportlern könne man „eher keine gesicherte­n Aussagen über Verletzung­strends machen“, räumte Krutsch ein. Bei Kreuzbandv­erletzunge­n allerdings schon: „Jede Mannschaft hat da jedes zweite Jahr eine Kreuzbandv­erletzung. Und es stimmt: Die Ausfallzei­ten werden immer kürzer.“

„Nur etwa jeder sechste Fußballer übersteht die Saison ohne Verletzung“, heißt es im „Sportrepor­t 2020“der Verwaltung­sberufsgen­ossenschaf­t VBG zu den Verletzung­en in der 1. und 2. Bundesliga (Saison 2018/ 19). Die durchschni­ttliche Ausfallzei­t pro eingesetzt­em Profi erhöhte sich laut VBG-Analyse auf 31 Tage – rund drei mehr als noch 2016/17.

Ohne Erling Haaland – sogar ohne 3H – tritt Borussia Dortmund am Mittwoch (21 Uhr/DAZN) in der Champions League bei Sporting Lissabon an. Mit einem Sieg wäre – wegen des gewonnenen direkten Vergleichs – der Einzug ins Achtelfina­le für den BVB sicher. Allerdings fehlen den Borussen Erling Haaland, Mats Hummels (nach seiner Roten Karte gegen Ajax Amsterdam gesperrt) und Thorgan Hazard (positiver Corona-Test). (dpa).

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FOTO: INA FASSBENDER/AFP „Viel zu viel, viel zu früh und viel zu viel Stress“: Der verletzte Erling Haaland fehlt Borussia Dortmund auch in Lissabon.

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