Mit Kuhglocken gegen Corona-Maßnahmen
Am Sonntag stimmen die Schweizer über ein neues Covid-19-Gesetz ab
- Frauen und Männer in weißen Ganzkörperanzügen ziehen durch die alte Stadt, einige halten Schweizer Fahnen hoch. Sie zeigen selbst gebastelte Schilder mit Aufschriften wie „Wahrheit, Freiheit, Würde“. Sie alle vereint die Wut auf die Schweizer Regierung und das gemeinsame Nein zu den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. In Liestal verhalten sich die meisten der bis zu 6000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des seltsam anmutenden Umzuges „mehrheitlich friedlich“.
So wird es die Polizei Basel-Landschaft später über den Aufmarsch der Gruppe „Stiller Protest“feststellen. Doch bei anderen Corona-Demonstrationen in der Schweiz fliegen die Fäuste. Gewaltbereitschaft, gefühlte Ohnmacht und wachsender Zorn gegen die politischen Entscheidungsträger vermengen sich zu einem gefährlichen Mix, der die sonst so ruhige Eidgenossenschaft seit Monaten in Atem hält.
Am kommenden Sonntag nun können die Gegner des Covid-Zertifikats und der anderen Corona-Maßnahmen ihren Unmut an der Urne äußern: Die Schweizer stimmen über das revidierte Covid-19-Gesetz ab, das im Parlament bereits eine Mehrheit fand.
Dabei stehen sich das Pro- und Contra-Lager unversöhnlich gegenüber. Besorgt notiert die staatstragende „Neue Zürcher Zeitung“: „Einen derart überhitzten Abstimmungskampf hat die Schweiz noch selten erlebt.“
Zu der gereizten Stimmung trägt die schiere Kraft der Pandemie bei: Auch in der Schweiz steigen die Fallzahlen
sowie Krankenhauseinweisungen stark an; ebenso sterben pro Woche Dutzende Infizierte.
Eine staatlich organisierte Impfwoche brachte nicht den erhofften Erfolg. Nur knapp zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung sind vollständig vakziniert – damit liegt das kleine reiche Land im europäischen Vergleich in der unteren Hälfte. Die Impfquote in der Schweiz „sieht nicht gut aus“, musste Gesundheitsminister Alain Berset einräumen.
Die meisten Änderungen in dem Covid-Gesetz kommen recht harmlos daher: Sie reichen von Finanzhilfen bis zur Förderung der CovidTests. Die Skeptiker fühlen sich jedoch vor allem durch das Covid-Zertifikat gegängelt; das Dokument für Geimpfte, Genesene und Getestete ist in dem novellierten Gesetz verankert.
Die Neinsager schüren die Angst: Das Zertifikat führe zu einer „Spaltung
der Gesellschaft“und einer „elektronischen Massenüberwachung“. Sie wähnen Helvetien sogar auf den Weg in die „Corona-Diktatur“. Falls die Eidgenossen die Gesetzesänderungen ablehnen, könnte die Schweiz ab März 2022 vorläufig keine Covid-Zertifikate mehr ausstellen. Zudem würde die wechselseitige Anerkennung der Zertifikate mit den EU-Ländern entfallen. Die ökonomischen Folgen wären unabsehbar.
Als einzige große politische Kraft trommelt die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei gegen das „extreme“Covid-19-Gesetz. Vereinzelt finden sich Gegner auch in anderen Parteien, etwa bei den Grünen. Daneben zieht eine bunte Schar gegen die Covid-Politik der Regierung zu Felde, sie reicht von Impf-Totalverweigerern über Verschwörungstheoretiker bis hin zu obskuren Gruppen wie „Stiller Protest“oder den sogenannten Freiheitstrychlern.
Bei den Demos hüllen sich die Trychler in weiße Kutten, bestickt mit Edelweiß, Schweizer und kantonalen Flaggen, bimmeln mit ihren Kuh- und Viehglocken, den Trychlen. Die Trychler wollen den Protesten aber nicht nur eine urige Note geben. Sie sehen sich vielmehr im neuen Schweizer „Freiheitskampf“gegen die Covid-Bestimmungen an vorderster Front.
Die Regierung hingegen wirbt für einen besseren gesundheitlichen Schutz für die Menschen. Das neue Covid-Gesetz biete das, versichert Gesundheitsminister Berset. Ein Nein an der Urne würde die politisch Verantwortlichen in Bern ziemlich kalt erwischen. Der Gesundheitsminister sagt ganz offen: „Wir haben keinen Plan B.“