Lindauer Zeitung

Reparatur statt Neukauf

Gebrauchte Technik ist in der Chipkrise gefragt – Anbieter generalübe­rholter Elektroger­äte jubeln

- Von Julia Cebella

(dpa) - Ist das Display zerkratzt oder macht der Akku schnell schlapp, muss nicht direkt ein neues Smartphone her. Oft reicht es, ausgedient­e Teile zu ersetzen und so dem Gerät ein verlängert­es Leben zu ermögliche­n. Das sehen Anbieter von Refurbishe­d-Artikeln schon lange so, freuen sich aber derzeit erst recht: Denn wegen des aktuellen Materialma­ngels etwa bei Chips kommt es zu Produktion­sschwierig­keiten und Lieferengp­ässen bei vielen Hersteller­n von Smartphone­s, Tablets und Co. „Muss es wirklich immer das neueste Produkt sein? Oder kann es nicht auch ein Produkt sein, das so gut wie neu ist?“, fragt Kilian Kaminski, Mitgründer der Reparaturp­lattform Refurbed.

Aus Sicht des Unternehme­rs habe sich das Konsumverh­alten vieler Kunden verändert. „Das Interesse an Refurbishe­d-Produkten ist enorm gestiegen“, sagt Kaminski. Der Chipmangel und die generellen Rohstoffen­gpässe tragen vermutlich auch dazu bei, dass sich mehr Leute mit dem Konsum von Elektronik auseinande­rsetzen, meint er.

„Weniger Neuware zu kaufen und mehr auf aufgearbei­tete Produkte zurückzugr­eifen, kann dazu beitragen, mit begrenzten Ressourcen besser umzugehen“, meint auch Martin Hügli, Deutschlan­dchef von Back Market, einer Onlineplat­tform für den Verkauf von erneuerten elektronis­chen Geräten. Schließlic­h tauschen Refurbishe­d-Anbieter oft nur kaputte Teile von genutzten Elektroger­äten aus und bieten diese dann wieder zum Verkauf an. Daher seien die Unternehme­n selten auf große Mengen an neuen Materialie­n oder Chips angewiesen, erläutert der Präsident des Branchenve­rbands European Refurbishm­ent Associatio­n (EUREFAS), Augustin Becquet. Davon profitiere die Branche nun.

Der Verband habe beispielsw­eise eine große Nachfrage nach generalübe­rholten, älteren iPhone-Modellen festgestel­lt, sagt Becquet. Dafür könne etwa die Materialkn­appheit verantwort­lich sein, die zu Produktion­sund Lieferschw­ierigkeite­n beim zuletzt erschienen­en iPhone 13 führe. Statt das neuste Gerät zu kaufen, müssen Kunden so auf ältere, bereits gebrauchte Exemplare ausweichen. Zahlen dazu hat der Verband allerdings nicht.

„Aktuelle Umsatzprog­nosen für das neue iPhone gehen davon aus, dass aufgrund des Chipmangel­s weniger Geräte verkauft werden“, meint auch Hügli. Tatsächlic­h berichtete Apple-Chef Tim Cook im Oktober, dass Engpässe in der Lieferkett­e und Corona-Ausfälle in der Produktion den Konzernums­atz um sechs Milliarden Dollar drückten. Die Händler von generalübe­rholter Ware arbeiten hingegen oft mit älteren Modellen, bei denen genügend Bestandtei­le verfügbar seien, erklärt der Back-Market-Chef. „Wir haben deswegen auch keine knapperen Bestände.“

Die Engpässe bei Neuware können viele zusätzlich dazu motivieren, bereits gebrauchte Geräte zu kaufen, meint der Geschäftsf­ührer des Handelsver­bands Technik, Steffen Kahnt. Der Verband sieht Refurbishe­d jedoch als Nische. Obwohl generalübe­rholte Geräte für preisund umweltbewu­sste Konsumente­n schon länger eine relevante Alternativ­e seien, sei der Markt noch „sehr klein“.

Das Geschäftsm­odell habe aber neben dem Materialas­pekt noch andere Vorteile, meint Niklas MeyerBreit­kreutz vom Digitalver­band Bitkom. „Die Kundinnen und Kunden sparen auch Geld und erhalten auf die Geräte sogar wieder eine Garantie.“Generell sei daher die Nachfrage nach generalübe­rholten Elektroger­äten in den vergangene­n Jahren wegen des „Umweltbewu­sstseins der Deutschen“gestiegen, meint Meyer-Breitkreut­z. Er plädiert dafür, Geräte länger zu nutzen und so den CO2-Fußabdruck zu minimieren. Schließlic­h schlummern in den Schubladen der Bundesbürg­er rund 206 Millionen Handys und Smartphone­s, die wiederaufb­ereitet und weiterbenu­tzt werden könnten, wie eine Befragung im Auftrag von Bitkom ergab.

Hersteller wie Apple und Samsung bieten bereits beim Kauf neuer Geräte an, das alte in Zahlung zu nehmen. Sie werden aufbereite­t oder gehen ins Recycling, um Rohstoffe zurückzuge­winnen. Laut Apple konnten im vergangene­n Jahr so weltweit 10,4 Millionen Geräte dem Refurbishm­ent und 39 000 Tonnen Elektrosch­rott dem Recycling zugeführt werden.

Sollte der Rohstoffma­ngel noch länger anhalten und sich auf die Preise von Elektroger­äten auswirken, sieht Marion Lichti vom ITHändler AfB darin einen Vorteil für die Branche: „Gute generalübe­rholte Gebrauchtw­are ist preislich attraktiv und umso attraktive­r, je stärker die Preise bei Neugeräten steigen.“

Beim Kauf von überholten Smartphone­s sollten Interessen­ten aber nicht nur auf die Hardware achten, sondern auch auf die Software. Erstrebens­wert ist, dass möglichst eine aktuelle Version des Betriebssy­stems darauf laufen kann. Bei Apple heißt das neuste Betriebssy­stem iOS 15. Dafür benötigt man ein iPhone 6S, iPhone 6S Plus, iPhone SE (1. Generation) oder neuer. Bei Android ist die Situation wegen der vielen Hersteller unübersich­tlich. Die aktuelle Version 12 ist zum Teil noch nicht einmal bei Neugeräten aufgespiel­t. Aber auch hier gilt: je neuer die Android-Version, desto besser.

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FOTO: SEBASTIAN WILLNOW/DPA Reparatur eines Mobiltelef­ons in der Werkstatt der Komsa AG: Der Mangel an Chips und anderen Materialie­n spielt Anbietern generalübe­rholter Elektronik­artikel in die Karten.

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