Alles muss raus
Das Eigentum des Küchenbauers Alno aus Pfullendorf kommt unter den Hammer
- Die Förderbänder der Säge- und Fräsmaschinen der Neuen Alno GmbH in Pfullendorf stehen still, Dutzende Leitern und Hubwägen sind neben den Maschinen aufgereiht. Durch die endlos lang wirkenden Gänge der Werkshallen streifen Menschen mit Klemmbrettern. In den einstigen Abteilungen des bundesweit bekannten Küchenherstellers stehen nach der Insolvenz die Schnäppchenjäger bereit: Sie öffnen Schubladen von Werkstattwägen und inspizieren deren Inhalt. Bohrer, Schraubenschlüssel, Zangen – alles wird in die Hand genommen und genau beäugt. Die Besucher, die ein letztes Stück von Alno ergattern wollen, sind auf der Suche nach Werkzeugen und Maschinen für die eigene Firma oder die heimische Werkstatt.
In Kisten und Regalen in einem Raum im Alnowerk stapeln sich unzählige Bohrmaschinen, Sägen und Fräsen, mit denen hier in Pfullendorf viele Jahre hochwertige Küchen gefertigt wurden. Es sind alles Handgeräte von namhaften Herstellern, die von überall aus der Produktion zusammengetragen worden sind. Die umherziehenden Leute graben in Kisten, wühlen in Regalen, und kritzeln mit Stiften in ihre Notizbücher. In den Werkstätten begutachten sie Industriemaschinen, in den Büros Schreibtische und Computer. An den Bildschirmen kleben immer noch Merkzettel – so als würden die Mitarbeiter bald wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.
Doch das letzte Kapitel der bewegten Geschichte des insolventen Küchenherstellers Alno wird sich bald schließen, alle Industriegüter müssen zu Geld gemacht werden. „So traurig eine Insolvenz auch ist, die Maschinen kommen in anderen Unternehmen wieder zum Einsatz, die Drehbank von Alno lebt weiter“, sagt Patrick Soehring von der Hanseatischen Industrie-Consult Holger Haun & Tom Thomsen KG (HT), die damit beauftragt worden ist, das Anlagevermögen der Firmen Neue Alno GmbH und BBT Bodensee Bauteile GmbH zu versteigern. Die Firma HT verdient an dem Ausverkauf mit: Auf den Warenwert schlägt sie 18 Prozent Provision für die Käufer auf.
Im Sommer machte der Küchenbauer Alno bekannt, in Zahlungsschwierigkeiten zu stecken und hatte einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt. Die Geschäftsführung der Neuen Alno GmbH kämpfte um das Überleben der Firma. Doch der Versuch einer Sanierung scheiterte. Anders als vor rund vier Jahren, als der britische Investor Riverrock wenige Tage vor der endgültigen Abwicklung doch noch einstieg, ließ sich kein neuer Investor finden. Jetzt folgt die Versteigerung des Eigentums der Firma, um die Gläubiger zu bedienen. Das Grundstück mit den Werkshallen ist bereits an die VierhausGruppe verkauft. Das Unternehmen stellt seit über hundert Jahren Tische her.
Ende September musste die Neue Alno GmbH den Geschäftsbetrieb endgültig einstellen. Die verbliebenen rund 230 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Dabei verbanden Mitarbeiter und Geschäftsführung die Gründung der „neuen“Alno noch im Januar 2018 mit einem Neustart. Aus dem Industrieunternehmen sollte wieder ein bodenständiger Mittelständler werden. Doch die Altlasten holten das noch junge Unternehmen ein. Allein die in die Jahre gekommenen Maschinen sagen viel über den wahren Zustand von Alno aus: Schon 2016 war die Produktion veraltet, das Unternehmen schrieb seit Jahren Verlust. Daran änderten auch die Investitionen von Riverrock nichts mehr. Dabei investierte das britische Unternehmen weit mehr als die 20 Millionen Euro, die es am Anfang für Produktion, Grundstück und Maschinen zahlte. Gewinne erzielte die Neue Alno GmbH, die 2020 auf einen Umsatz von rund 30 Millionen Euro kam, nie.
Die Geschichte von Alno, das 1927 von Albert Nothdurft als Schreinerwerkstatt in Wangen bei Göppingen gegründet wurde, ist die vom Aufund
Sagt Patrick Soehring von der Hanseatischen Industrie-Consult Holger Haun & Tom Thomsen KG
Abstieg eines einstigen Familienbetriebs. Die mittelständische Firma siedelte im Jahr 1956 nach Pfullendorf über und startete dort mit der industriellen Fertigung von Küchenmöbeln. Nach einschlagendem Erfolg expandierte die Firma in mehrere europäische Länder. Im Jahr 1995 wagte Alno den Schritt an die Börse – es entstand die Alno AG. Im Jahr 1999 knackte das Unternehmen die Umsatzmarke von einer halben Milliarde Deutscher Mark, damals beschäftigte Alno mehr als 2500 Mitarbeiter. Doch in den folgenden Jahren hatte der Küchenhersteller bereits mit Überkapazitäten zu kämpfen, es begann eine Zeit, in der Manager kamen und gingen und Vorstände in die eigenen Taschen wirtschafteten.
„Dieses lange Sterben der Firma war schon schlimm“, sagt eine Frau aus Pfullendorf, die mit ihren beiden Söhnen zur Besichtigung, der in der Auktion angebotenen Posten gekommen ist. Die Familie wollte die letzte Gelegenheit nutzen, um sich noch einmal die ehemalige Produktionsstätte von Alno anzusehen. Sollte bei der Insolvenzversteigerung etwas
Interessantes dabei sein, wollen sie auf ein Erinnerungsstück bieten. „Meine Jungs könnten für ihre Werkstatt ein paar der Werkzeuge von hier gut gebrauchen“, sagt sie.
Auf das große Schnäppchen hoffen alle, die mit der Absicht gekommen sind, an der bis zum 30. November laufenden Auktion teilzunehmen – und aus Neugier. Beides hat die Handwerker Michael Volk und Daniel Hehl hergeführt. „Wir hoffen natürlich was Passendes zu finden, was andere nicht brauchen können“, sagt Volk und schmunzelt. Ihn als Schreiner interessiert auch, wie das Unternehmen am Standort Pfullendorf über viele Jahre gearbeitet hat. „Ich finde es schon erstaunlich, was für hochwertige Produkte hier mit recht alten Maschinen gefertigt wurden“, sagt er. Eine Drehbank hat es ihm besonders angetan, eine solche Maschine würde auch trotz ihres stolzen Alters in seinem Unternehmen sicher noch viele Jahre weiter ihren Dienst tun, vermutet er: „Da ist nicht viel Elektronik drin, das meiste funktioniert noch weitestgehend mechanisch.“
Wie Franz Dress aus Langenenslingen, der mit seiner Tochter Antonie auf der Suche nach Möbeln ist und als Heimwerker selbst ein paar Werkzeuge brauchen könnte, bewegt das Schicksal der Pfullendorfer Firma die meisten Interessenten. Sie kommen aus der Region und haben einen Bezug zum Unternehmen. Auch Dress kennt viele der ehemaligen Mitarbeiter persönlich. „Es ist schon traurig, was mit Alno passiert ist. Hoffentlich geht am Standort etwas weiter“, sagt er. Doch nicht allen, die durch die mal beleuchteten, mal im Dunklen liegenden Teile der Werkshallen schleichen, war Alno vor diesem Tag ein Begriff.
Einer von ihnen ist Christian Fichte, der mit einem Klemmbrett von Abteilung zu Abteilung huscht, und sich bei Mitarbeitern von HT über die Standorte der im Versteigerungskatalog gelisteten Posten erkundigt. Der IT-Dienstleister folgt der Consulting-Firma seit vielen Jahren von Auktion zu Auktion, immer auf der Suche nach preiswerten Gebrauchtwaren. „Für mich ist vor allem die Masse interessant, alles, was nicht größer als zwei Paletten ist“, sagt er. Das lasse sich am schnellsten weiterverkaufen, doch er beschränke sich nicht nur auf sein Kerngebiet EDV-Infrastruktur, das könne er sich auch nicht leisten – grundsätzlich wird auf alles geboten, solange nur der Preis stimmt und sich ein Abnehmer finden lässt. Die Geschichte von Alno endet also damit, dass alles, was nicht nietund nagelfest ist, an den Höchstbietenden verramscht wird.