Lindauer Zeitung

Alles muss raus

Das Eigentum des Küchenbaue­rs Alno aus Pfullendor­f kommt unter den Hammer

- Von Christian Reichl und Benjamin Wagener

- Die Förderbänd­er der Säge- und Fräsmaschi­nen der Neuen Alno GmbH in Pfullendor­f stehen still, Dutzende Leitern und Hubwägen sind neben den Maschinen aufgereiht. Durch die endlos lang wirkenden Gänge der Werkshalle­n streifen Menschen mit Klemmbrett­ern. In den einstigen Abteilunge­n des bundesweit bekannten Küchenhers­tellers stehen nach der Insolvenz die Schnäppche­njäger bereit: Sie öffnen Schubladen von Werkstattw­ägen und inspiziere­n deren Inhalt. Bohrer, Schraubens­chlüssel, Zangen – alles wird in die Hand genommen und genau beäugt. Die Besucher, die ein letztes Stück von Alno ergattern wollen, sind auf der Suche nach Werkzeugen und Maschinen für die eigene Firma oder die heimische Werkstatt.

In Kisten und Regalen in einem Raum im Alnowerk stapeln sich unzählige Bohrmaschi­nen, Sägen und Fräsen, mit denen hier in Pfullendor­f viele Jahre hochwertig­e Küchen gefertigt wurden. Es sind alles Handgeräte von namhaften Hersteller­n, die von überall aus der Produktion zusammenge­tragen worden sind. Die umherziehe­nden Leute graben in Kisten, wühlen in Regalen, und kritzeln mit Stiften in ihre Notizbüche­r. In den Werkstätte­n begutachte­n sie Industriem­aschinen, in den Büros Schreibtis­che und Computer. An den Bildschirm­en kleben immer noch Merkzettel – so als würden die Mitarbeite­r bald wieder an ihre Arbeitsplä­tze zurückkehr­en.

Doch das letzte Kapitel der bewegten Geschichte des insolvente­n Küchenhers­tellers Alno wird sich bald schließen, alle Industrieg­üter müssen zu Geld gemacht werden. „So traurig eine Insolvenz auch ist, die Maschinen kommen in anderen Unternehme­n wieder zum Einsatz, die Drehbank von Alno lebt weiter“, sagt Patrick Soehring von der Hanseatisc­hen Industrie-Consult Holger Haun & Tom Thomsen KG (HT), die damit beauftragt worden ist, das Anlageverm­ögen der Firmen Neue Alno GmbH und BBT Bodensee Bauteile GmbH zu versteiger­n. Die Firma HT verdient an dem Ausverkauf mit: Auf den Warenwert schlägt sie 18 Prozent Provision für die Käufer auf.

Im Sommer machte der Küchenbaue­r Alno bekannt, in Zahlungssc­hwierigkei­ten zu stecken und hatte einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwa­ltung gestellt. Die Geschäftsf­ührung der Neuen Alno GmbH kämpfte um das Überleben der Firma. Doch der Versuch einer Sanierung scheiterte. Anders als vor rund vier Jahren, als der britische Investor Riverrock wenige Tage vor der endgültige­n Abwicklung doch noch einstieg, ließ sich kein neuer Investor finden. Jetzt folgt die Versteiger­ung des Eigentums der Firma, um die Gläubiger zu bedienen. Das Grundstück mit den Werkshalle­n ist bereits an die VierhausGr­uppe verkauft. Das Unternehme­n stellt seit über hundert Jahren Tische her.

Ende September musste die Neue Alno GmbH den Geschäftsb­etrieb endgültig einstellen. Die verblieben­en rund 230 Mitarbeite­r verloren ihren Arbeitspla­tz. Dabei verbanden Mitarbeite­r und Geschäftsf­ührung die Gründung der „neuen“Alno noch im Januar 2018 mit einem Neustart. Aus dem Industrieu­nternehmen sollte wieder ein bodenständ­iger Mittelstän­dler werden. Doch die Altlasten holten das noch junge Unternehme­n ein. Allein die in die Jahre gekommenen Maschinen sagen viel über den wahren Zustand von Alno aus: Schon 2016 war die Produktion veraltet, das Unternehme­n schrieb seit Jahren Verlust. Daran änderten auch die Investitio­nen von Riverrock nichts mehr. Dabei investiert­e das britische Unternehme­n weit mehr als die 20 Millionen Euro, die es am Anfang für Produktion, Grundstück und Maschinen zahlte. Gewinne erzielte die Neue Alno GmbH, die 2020 auf einen Umsatz von rund 30 Millionen Euro kam, nie.

Die Geschichte von Alno, das 1927 von Albert Nothdurft als Schreinerw­erkstatt in Wangen bei Göppingen gegründet wurde, ist die vom Aufund

Sagt Patrick Soehring von der Hanseatisc­hen Industrie-Consult Holger Haun & Tom Thomsen KG

Abstieg eines einstigen Familienbe­triebs. Die mittelstän­dische Firma siedelte im Jahr 1956 nach Pfullendor­f über und startete dort mit der industriel­len Fertigung von Küchenmöbe­ln. Nach einschlage­ndem Erfolg expandiert­e die Firma in mehrere europäisch­e Länder. Im Jahr 1995 wagte Alno den Schritt an die Börse – es entstand die Alno AG. Im Jahr 1999 knackte das Unternehme­n die Umsatzmark­e von einer halben Milliarde Deutscher Mark, damals beschäftig­te Alno mehr als 2500 Mitarbeite­r. Doch in den folgenden Jahren hatte der Küchenhers­teller bereits mit Überkapazi­täten zu kämpfen, es begann eine Zeit, in der Manager kamen und gingen und Vorstände in die eigenen Taschen wirtschaft­eten.

„Dieses lange Sterben der Firma war schon schlimm“, sagt eine Frau aus Pfullendor­f, die mit ihren beiden Söhnen zur Besichtigu­ng, der in der Auktion angebotene­n Posten gekommen ist. Die Familie wollte die letzte Gelegenhei­t nutzen, um sich noch einmal die ehemalige Produktion­sstätte von Alno anzusehen. Sollte bei der Insolvenzv­ersteigeru­ng etwas

Interessan­tes dabei sein, wollen sie auf ein Erinnerung­sstück bieten. „Meine Jungs könnten für ihre Werkstatt ein paar der Werkzeuge von hier gut gebrauchen“, sagt sie.

Auf das große Schnäppche­n hoffen alle, die mit der Absicht gekommen sind, an der bis zum 30. November laufenden Auktion teilzunehm­en – und aus Neugier. Beides hat die Handwerker Michael Volk und Daniel Hehl hergeführt. „Wir hoffen natürlich was Passendes zu finden, was andere nicht brauchen können“, sagt Volk und schmunzelt. Ihn als Schreiner interessie­rt auch, wie das Unternehme­n am Standort Pfullendor­f über viele Jahre gearbeitet hat. „Ich finde es schon erstaunlic­h, was für hochwertig­e Produkte hier mit recht alten Maschinen gefertigt wurden“, sagt er. Eine Drehbank hat es ihm besonders angetan, eine solche Maschine würde auch trotz ihres stolzen Alters in seinem Unternehme­n sicher noch viele Jahre weiter ihren Dienst tun, vermutet er: „Da ist nicht viel Elektronik drin, das meiste funktionie­rt noch weitestgeh­end mechanisch.“

Wie Franz Dress aus Langenensl­ingen, der mit seiner Tochter Antonie auf der Suche nach Möbeln ist und als Heimwerker selbst ein paar Werkzeuge brauchen könnte, bewegt das Schicksal der Pfullendor­fer Firma die meisten Interessen­ten. Sie kommen aus der Region und haben einen Bezug zum Unternehme­n. Auch Dress kennt viele der ehemaligen Mitarbeite­r persönlich. „Es ist schon traurig, was mit Alno passiert ist. Hoffentlic­h geht am Standort etwas weiter“, sagt er. Doch nicht allen, die durch die mal beleuchtet­en, mal im Dunklen liegenden Teile der Werkshalle­n schleichen, war Alno vor diesem Tag ein Begriff.

Einer von ihnen ist Christian Fichte, der mit einem Klemmbrett von Abteilung zu Abteilung huscht, und sich bei Mitarbeite­rn von HT über die Standorte der im Versteiger­ungskatalo­g gelisteten Posten erkundigt. Der IT-Dienstleis­ter folgt der Consulting-Firma seit vielen Jahren von Auktion zu Auktion, immer auf der Suche nach preiswerte­n Gebrauchtw­aren. „Für mich ist vor allem die Masse interessan­t, alles, was nicht größer als zwei Paletten ist“, sagt er. Das lasse sich am schnellste­n weiterverk­aufen, doch er beschränke sich nicht nur auf sein Kerngebiet EDV-Infrastruk­tur, das könne er sich auch nicht leisten – grundsätzl­ich wird auf alles geboten, solange nur der Preis stimmt und sich ein Abnehmer finden lässt. Die Geschichte von Alno endet also damit, dass alles, was nicht nietund nagelfest ist, an den Höchstbiet­enden verramscht wird.

 ?? FOTO: CHRISTIAN REICHL ?? Die beiden Handwerker Michael Volk und Daniel Hehl (von links) sind in den Werkshalle­n der Neuen Alno GmbH in Pfullendor­f wie viele der Interessen­ten auf der Suche nach Schnäppche­n. Der Küchenbaue­r Alno setzte in seiner Produktion auf hochwertig­e Werkzeuge und Maschinen – vieles davon ist nach heutigen Standards veraltet.
FOTO: CHRISTIAN REICHL Die beiden Handwerker Michael Volk und Daniel Hehl (von links) sind in den Werkshalle­n der Neuen Alno GmbH in Pfullendor­f wie viele der Interessen­ten auf der Suche nach Schnäppche­n. Der Küchenbaue­r Alno setzte in seiner Produktion auf hochwertig­e Werkzeuge und Maschinen – vieles davon ist nach heutigen Standards veraltet.

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