Lindauer Zeitung

Endlich wieder schlafen!

Studien zeigen, dass Medikament­e langfristi­g nur wenig bringen – besser sind Düfte, Sorgenlist­en und Verhaltens­training

- Von Jörg Zittlau

Für den Dichter Heinrich Heine stand fest: „Der Schlaf ist doch die köstlichst­e Erfindung.“Aber immer mehr Menschen hierzuland­e kommen nicht mehr richtig in den Genuss dieser Erfindung: Sie leiden an Schlafstör­ungen. Oft kämpfen sie dagegen mit Medikament­en an – vergeblich und ohne langfristi­ge Perspektiv­e. Dabei gäbe es genug effektiver­e und weniger riskante Alternativ­en.

Die Deutschen finden keine Ruhe! Laut DAK-Gesundheit­sreport berichten vier von fünf Berufstäti­gen von Schlafstör­ungen. „Die Leute kümmern sich nachts um volle Akkus bei ihren Smartphone­s“, veranschau­licht DAK-Chef Andreas Storm, „aber ihre eigenen Batterien können sie offenbar nicht mehr aufladen“. Bei rund zehn Prozent sind die Schlafstör­ungen so schwer, dass es ihr Leben ernsthaft beeinträch­tigt. Sie fühlen sich morgens und tagsüber müde und wie erschlagen, klagen über Leistungsd­efizite bei ihrer Arbeit. So etwas macht sich auch in der Wirtschaft bemerkbar. Rund 1500 Euro jährlich kostet laut Schätzunge­n ein schlaflose­r Arbeitnehm­er, allein wegen seines Arbeitsund Produktion­sabfalls.

Hinzu kommen die Kosten für die Therapie, die meistens in der Einnahme irgendwelc­her rezeptpfli­chtiger Medikament­e besteht. Sie werden von bis zu 1,9 Millionen Menschen hierzuland­e eingenomme­n – und das Fatale ist, dass sie ihren Nutzer so an sich gewöhnen, dass er kaum noch ohne sie auskommt. „Es werden immer noch zu viele Mittel mit Abhängigke­itspotenzi­al über zu lange Zeiträume eingenomme­n“, beklagt Ingo Fietze, Leiter des Interdiszi­plinären Schlafmedi­zinischen Zentrums der Berliner Charité.

Ganz vorne bei den verordnete­n Schlafmedi­kamenten stehen die Benzodiaze­pine und sogenannte­n ZDrugs, die so heißen, weil ihre Vertreter Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon mit dem Buchstaben Z anfangen. Beide Wirkstoffg­ruppen überwinden die Blut-Hirn-Schranke und fördern im zentralen Nervensyst­em die Ausschüttu­ng von beruhigend­er Gamma-Amino-Buttersäur­e (GABA), was zunächst einmal hocheffekt­iv klingt. Tatsächlic­h kann man zwar schon nach zwei bis drei Wochen täglicher Einnahme abhängig von den Mitteln werden – und die schlafförd­ernde Wirkung ist laut einer aktuellen Studie aus den USA alles andere als sicher.

Das Forscherte­am um Daniel Solomon vom Brigham and Women’s Hospital in Boston hat sich einer Patienteng­ruppe angenommen, die zu den Hauptabneh­mern von Schlafmedi­kamenten gehören: Frauen in den Wechseljah­ren. Denn die leiden aufgrund ihres Östrogenab­falls besonders oft unter Schlafstör­ungen, die dann gerne mit Hormonpräp­araten oder Schlafmedi­kamenten, oder gleich beidem behandelt werden. „Wenn Ärzte diese Medikament­e verordnen, beginnen sie zwar oft mit kurzfristi­gen Verschreib­ungen“, betont Solomon. „Doch am Ende werden dann doch viele Patienten zu Langzeitko­nsumenten dieser Mittel.“

Am ursprüngli­chen Problem ändert das jedoch in der Regel nichts.

Das Forscherte­am untersucht­e an 238 medikament­ierten und 447 nichtmedik­amentierte­n Frauen im Alter von durchschni­ttlich 49,5 Jahren, wie sich deren Schlafqual­ität in einem Zeitraum von zwei Jahren entwickelt­e. Es zeigte sich: Beide Gruppen schliefen vor und nach der Studie gleich schlecht. Das Aufwachen in der Nacht etwa wurde von ihnen vorher auf einer fünfstelli­gen Leidensska­la bei 3,8 beziehungs­weise 3,7 eingeordne­t als sehr belastend. Nach den zwei Jahren waren es bei den medikament­ierten Frauen immer noch 3,6 und bei den nichtmedik­amentierte­n 3,5. „Das ist keine statistisc­h signifikan­te Veränderun­g“, betont Solomon. In puncto Einschlafe­n und frühmorgen­dlichem Aufwachen änderte sich in beiden Gruppen ebenfalls wenig bis gar nichts.

Die US-Forscher raten daher, dass Ärzte ihre derzeitige Verordnung­spraxis bei den Schlafmitt­eln überdenken sollten. Bei Heinrich Heine freilich gab es seinerzeit nichts zu überlegen. Der schwerkran­ke, unter höllischen Schmerzen leidende Dichter hätte am Ende ohne Opium und Morphium nicht mehr zur Ruhe gefunden. In bestimmten Fällen können Schlafmitt­el eben auch ein Segen sein.

 ?? FOTO: T.WEIDNER/REPHA ?? Wer nachts oft wachliegt, gäbe viel für tiefen Schlummer. Der Griff zu Medikament­en hilft allerdings oft nur kurzfristi­g.
FOTO: T.WEIDNER/REPHA Wer nachts oft wachliegt, gäbe viel für tiefen Schlummer. Der Griff zu Medikament­en hilft allerdings oft nur kurzfristi­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany