Bedrohtes Paradies
Das Okavangodelta in Botswana ist eines der bedeutendsten Schutzgebiete Afrikas – Aber Corona, Wilderer und Ölbohrungen gefährden die einzigartige Wildnis
Die Wildhunde haben die Antilopen längst gewittert. Eben noch balgten sie sich verspielt wie eine Schar Welpen im Stadtpark, plötzlich packt die Meute der Jagdinstinkt. Um Alan Bosiela Monnaaletsatsis Safari-Jeep herrscht plötzlich Aufbruchstimmung.
Das Alpha-Paar ist bereits vorausgepirscht, um die Impalas aufzuspüren. Mit seinem Geländewagen folgt der Guide dem Rudel, das sich inzwischen in Spähtrupps über die Savanne verteilt. Plötzlich geht alles ganz schnell. Monnaaletsatsi tritt aufs Gaspedal, nachdem die Wildhunde einer aufgeschreckten Antilope hinterherhetzen. Innerhalb von Sekunden ist das gesamte Rudel verschwunden. Der Guide schaltet den Motor aus und lauscht. Minuten später ein aufgeregtes Bellen. Im Dickicht stößt der Guide jedoch nicht auf das Rudel beim Abendmahl, sondern auf zwei mächtige Löwen. „Sie haben ihnen wohl den Erfolg vermasselt“, sagt er, „für die Hunde sind sie Todfeinde.“Das Rudel hat mit Einbruch der Dämmerung anscheinend bereits den Rückzug angetreten.
„Wildhunde gehören zu den seltensten Raubtieren Afrikas überhaupt“, weiß der Guide, „nur vom Äthiopischen Wolf gibt es noch weniger.“Nach Angaben der Weltnaturschutzunion leben heute vermutlich weniger als 7000 Wildhunde in ganz Afrika. Die einst bis an den Rand der Sahara weitverbreitete Art kommt nur noch in wenigen versprengten Schutzgebieten vor. Der Norden Botswanas ist einer ihrer letzten Rückzugsorte.
Das Okavangodelta ist das größte Binnendelta der Erde, Unesco-Welterbe und das Herzstück der Kavango-Zambezi Transfrontier Conservation Area, Afrikas bedeutendstes länderübergreifendes Schutzgebiet mit einer Gesamtfläche, die Deutschland an Größe übertrifft. Es ist eine für den Menschen schwer zugängliche Wildnis aus Savanne, endlosem Sumpfland und unzähligen Inseln, Seen und Wasserarmen. Das gigantische Feuchtgebiet zieht Abertausende Wildtiere aus der umliegenden Kalahari an und ist Heimat von um die 500 Vogelarten. Kaum irgendwo sonst in Afrika lässt sich das uralte Drama ums Fressen und Gefressenwerden in solcher Intensität und Farbenpracht verfolgen.
Als bei der Rückkehr zur Qorokwe-Lodge im Südosten des Deltas auch noch ein Leopard im Scheinwerferlicht von Monnaaletsatsis Wagen auftaucht, hat Botswana endgültig die Erwartungen seiner Gäste übertroffen. In der Concession an der Grenze zum bekannten MoremiWildreservat, einem von dem in
Safari-Touristen reisen aus aller Welt an, um seltene Tierarten wie etwa Wildhunde zu sehen.
Botswana gegründeten Naturreiseveranstalter Wilderness Safaris für Foto-Pirschfahrten verwalteten ehemaligen Jagdgebiet, beginnt die Nacht mit einem Konzert aus hunderten Froschkehlen.
Schon lange vor der Pandemie galt Botswana als eines der exklusivsten Naturreiseziele der Welt. Botswana hat sich in den letzten Jahrzehnten von einem der ärmsten zu einem der reichsten Länder Afrikas
entwickelt. Neben der Diamantenförderung spielte dabei zunehmend auch der Tourismus eine entscheidende Rolle. Vor allem unter dem früheren Präsidenten Ian Khama, einem engagierten Artenschützer, wurde das Land geschickt als hochpreisiges und exklusives SafariZiel etabliert. Mit der Pandemie und dem Ausbleiben der Touristen ist Botswanas Erfolgsmodell jedoch bedroht.
In Ditshiping, etwa eine Stunde mit dem Geländewagen von der Qorokwe-Lodge, werden die Auswirkungen durch die Safari-Krise besonders deutlich. Das Dörfchen mit den reetgedeckten Lehmhütten wirkt verlassen. „Direkt oder indirekt lebten hier vor der Pandemie fast alle vom Tourismus“, sagt Golaiwang Motlaleselelo. „Einige haben in der Qorokwe-Concession gearbeitet, andere Reet für die Dächer der Lodges
Das Okavangodelta ist das größte Binnendelta der Erde. Es übertrifft Deutschland an Gesamtfläche und ist längst Unesco-Welterbe. Dennoch ist sein Schutz nicht garantiert.
geerntet.“Der 45-Jährige fuhr Touristen mit dem traditionellen Mokoro-Einbaum durch die Sumpflandschaft des Deltas. „Erst langsam kommen wieder einzelne Anfragen“, sagt er.
Weil Ditshiping im Schutzgebiet liegt, darf hier kein Vieh gehalten werden. „Die Löwen haben hier aber schon einige unserer Hunde getötet und manchmal kommen die Elefanten bis ins Dorf“, erzählt Motlaleselelo, „das sorgt für viel Unmut.“Ditshipings Ortsvorsteher, der früher gerne Ausländer empfing, sie durch das Dorf führte, ist unlängst verstorben. Ein neuer wurde noch nicht gewählt. „Viele sind inzwischen in die Stadt gezogen, da es hier keine Arbeit mehr gibt“, sagt Dorfschullehrerin Molly Baongi Modsisaemang. Sie selbst ist erst im September zurückgekehrt, um den Unterricht mit den verbleibenden Kindern wieder aufzunehmen. „Erst wenn die Touristen zurückkehren, wird es hier wieder Alltag geben“, sagt die 26-Jährige.
Das monatelange Ausbleiben der Touristen stellt längst auch den Naturschutz vor große Herausforderungen. Bleibt das Geld durch die Safaris aus, geraten die Schutzgebiete unter Druck. „Vor allem während der Lockdown-Monate sind Wilderer über die nördliche Grenze ins Okavangodelta gekommen“, sagt Alan Bosiela Monnaaletsatsi. Sie nutzten die Gelegenheit, dass derzeit keine Touristen und allgemein viel weniger Menschen in der Region unterwegs waren.
International vernetzte Banden dringen vorwiegend aus Sambia und Simbabwe ins Land ein. Ihr Ziel: Die Nashörner, deren Horn entgegen aller wissenschaftlichen Studien in China und Vietnam noch immer auf dem Schwarzmarkt als hochpreisiges medizinisches Wundermittel und Statussymbol gehandelt wird. In den letzten Jahren wurden erstmals nach langer Zeit auch im Zentrum des Deltas Nashörner gewildert. In einer Pressemitteilung vom 22. Oktober gab Botswanas nationale Naturschutzbehörde die gewilderten Nashörner für 2020 mit 62 an, mehr als doppelt so viele wie im vergangenen Jahr. „Für Botswana gibt es nichts zu feiern“, postete der frühere Präsident Ian Khama zum Welt-Nashorn-Tag am 22. September auf Facebook. „Die Wilderer haben es geschafft, viele Jahre harter Arbeit umzukehren. Und das Abschlachten geht weiter, wenn heutzutage auch in langsamerem Tempo, da kaum noch Nashörner zum Wildern in freier Wildbahn übrig sind.“
Khama hat seiner Nachfolgeregierung mehrfach Versäumnisse und Rückschritte beim Artenschutz und dem Kampf gegen die Wilderei vorgeworfen. Dass es nun ausgerechnet die einst wachsende Nashorn-Population trifft, die um 2015 hierher aus
Südafrika angesiedelt wurde, wo damals die Zahlen gewilderter Tiere in die Höhe geschnellt war, ist von besonderer Tragik. „Vor der Pandemie konnten wir hier in Qorokwe regelmäßig Nashörner beobachten“, erzählt Monnaaletsatsi, „jetzt sind nur noch wenige übrig.“Er selbst hat an einem Morgen Anfang des Jahres drei getötete Tiere entdeckt. „Wir hatten am Nachmittag zuvor noch die Mutter mit ihrem Kalb beobachtet“, erzählt er, „am nächsten Morgen fanden wir die Kadaver und einen weiteren von einem Bullen ohne die Hörner. Die Geier hatten sich schon über sie hergemacht.“
Die Wilderei ist indes nicht die einzige Bedrohung, die während der Pandemie einen Schatten auf das Okavangodelta warf. Im Nordosten Namibias, nicht weit von der botswanischen Grenze, hat das kanadische Öl- und Gas-Unternehmen ReconAfrica im Frühjahr mit Testbohrungen begonnen. Inzwischen wurden nutzbare Vorkommen bestätigt. Zu Jahresbeginn 2022 sollen mehrere Ölquellen erschlossen werden. Der Konzern hat eine Lizenz für eine Gesamtfläche von fast 35 000 Quadratkilometern in beiden Ländern – mehr als die Größe Nordrhein-Westfalens. Das Gebiet grenzt an den Okavango-Fluss, der das Delta speist. Naturschützer sehen eine mögliche Ölförderung sowohl in Namibia als auch in Botswana als eine unmittelbare Gefahr für die enorme Artenvielfalt der Region.
In den letzten beiden Wochen riefen auch Prominente wie Prinz Harry, Leonardo DiCaprio, der namibische Umweltschützer Reinhold Mangundu und die botswanische Aktivistin Diphetogo Anita Lekgowa zum Stopp der Ölbohrungen auf. Ein Sprecher von ReconAfrica wiegelt ab: „Wir sind entschlossen, die Arbeit in Zusammenarbeit und unter direkter Aufsicht der Regierungen beider Länder fortzuführen, um sicher zu gehen, die relevante Gesetzgebung und Regulierungen während der gesamten Operation einzuhalten.“Zum Okavango-Fluss sei eine 10-Kilometer-Pufferzone, zum Delta 20 Kilometer Abstand vorgeschrieben. Die geplanten Ölquellen liegen allerdings nach Angaben von Naturschützern sehr wohl nahe der Wanderrouten von Elefanten und anderen Wildtieren innerhalb des Kavango-Zambezi-Transfrontier-Gebiets. Das Reservat beheimatet die größte Elefantenpopulation der Welt.
„Ich bin nicht optimistisch, dass die Pläne in Namibia aufgegeben werden“, sagt der Naturfilmer und Artenschützer Dereck Joubert. „Meine größte Angst ist, dass durch den derzeitigen Niedergang des SafariTourismus weiter nach anderen Alternativen Ausschau gehalten wird: Bergbau, fossile Brennstoffe und Viehhaltung.“