Drogendealer zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt
Warum der 28-Jährige wohl trotzdem nicht lange ins Gefängnis muss
- Im Prozess wegen Drogenhandels am Landgericht Kempten ist ein 28 Jahre alter Mann aus Lindau zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Trotzdem wird er wohl nur kurz ins Gefängnis müssen. Warum das so ist und wie das Gericht sein Urteil begründet.
Gerichtsverhandlungen wie diese laufen immer nach einem bestimmten Schema ab. Trotzdem sind sie unvorhersehbar. Zeugen können nicht erscheinen, Anwälte können spontan Anträge stellen und manchmal gibt es auch einen Deal. So auch in diesem Prozess.
Es sind einige Umstände zusammengekommen, die dem Angeklagten nicht in die Karten gespielt haben. Ihm wurde vorgeworfen, größere Mengen Cannabis, Kokain und Amphetamin in seiner Wohnung gehabt und diese auch an Kunden verkauft zu haben. Das wurde unter anderem dadurch aufgedeckt, dass sein Nachbar ein Polizist war. Der hatte aus seiner Wohnung freien Blick auf die Wohnungstür des Angeklagten und konnte beobachten, wie mehrmals am Tag Personen beim Angeklagten klingelten, die Wohnung betraten und kurz darauf wieder gingen. Das sagte er am ersten Verhandlungstag als Zeuge aus. Seine Kollegen kontrollierten mutmaßliche Kunden des Angeklagten und fanden bei ihnen Marihuana.
Bei zwei Wohnungsdurchsuchungen wurden neben den Drogen auch Bargeld und ein Küchenmesser auf dem Wohnzimmertisch gefunden. Das Gesetz sieht bei bewaffnetem Drogenhandel eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vor. Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Christian Roch betrachtete das aber nicht als erwiesen. Weil der Angeklagte in einer Ein-Zimmer-Wohnung gewohnt hat, könne auch mal ein Messer auf dem Wohnzimmertisch liegen, ohne dass es zur Verteidigung bei den Drogengeschäften genutzt werden sollte.
Unvorhersehbar war in diesem Prozess auch, dass am zweiten Verhandlungstag keine der geladenen Zeuginnen und Zeugen erschienen würden. Die Verlobte des Angeklagten, die mit in der gemeinsamen Wohnung gelebt hat und auch von den Drogen gewusst haben soll, sei aus gesundheitlichen Gründen nicht vernehmungsfähig, ließ ihr Anwalt mitteilen. Eine Frau, die vom Angeklagten einen Joint gekauft haben soll, konnte ebenfalls nicht kommen. Auch ein Bekannter, der laut dem Angeklagten der Drahtzieher im Drogenhandel gewesen sein soll, war verhindert.
Weil keiner der Zeugen am zweiten Verhandlungstag zur Beweisaufnahme beitragen konnte und somit weitere Termine notwendig gewesen wären, schlug Richter Roch vor, offen über den aktuellen Stand des Verfahrens zu sprechen. Das ist in Gerichtsverfahren nicht selten, denn damit werden Prozesse häufig verkürzt. Meistens werden solche Absprachen aber vor dem Prozessbeginn oder hinter verschlossenen Türen gemacht. Selten machen die Parteien einen Deal so öffentlich wie in dieser Verhandlung.
Alle Beteiligten haben sich darauf verständigt, dass sich der zeitliche Rahmen der Strafe zwischen drei Jahren und sechs Monaten und vier Jahren und sechs Monaten bewegen solle.
Bevor der Staatsanwalt und der Verteidiger ihre Plädoyers halten, liest der Richter für gewöhnlich vor, welche Vorstrafen der Angeklagte bereits hat. Der 28-jährige Lindauer war schon einmal wegen Drogen im Gefängnis. Der Angeklagte erzählte dem Gericht, wie er als Jugendlicher zum ersten Mal Drogen genommen hatte. „Statt einem Feierabendbier, war es ein Feierabend-Joint.“Weil er dann wegen der Drogen ins Gefängnis musste, konnte er seine Ausbildung nicht abschließen. Nach seiner Entlassung kam ihm die Pandemie in die Quere. Er wolle aber aufhören mit den Drogen und einen Entzug machen, sagte er in der Verhandlung.
Unter anderem weil der Angeklagte schon einschlägig vorbestraft war, plädierte Staatsanwalt Beck für eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Verteidiger Klaus-Dieter Meier plädierte für eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.
ANZEIGE
Die zweite Strafkammer entschied sich für genau vier Jahre Freiheitsstrafe. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Angeklagte auch mit den Drogen gehandelt und sie nicht nur konsumiert und weitertransportiert hat. Der vorsitzende Richter Christian Roch nahm sich viel Zeit für die Urteilsbegründung. „Wir glauben Ihnen die Geschichte nicht, dass Sie nur der Laufbursche waren“, sagte er. Bei dem Bekannten, dem die Drogen laut dem Angeklagten gehört haben sollen, hatte die Polizei nichts gefunden. Die Drogen, die dagegen beim Angeklagten in der Wohnung und in einem Heckenbunker gefunden wurden, waren bereits abgewogen und in verkaufsfertige Tütchen portioniert. Der Angeklagte hatte zwar gestanden, die Drogen besessen zu haben, den Handel hatte er aber nicht zugegeben.
Für die Strafe sei es allerdings unerheblich, ob der Angeklagte die Drogen nur besessen oder auch mit ihnen gehandelt hat, erklärte der Richter. Er stellte dem Angeklagten aber in Aussicht, dass sein Aufenthalt im Gefängnis nur von kurzer Dauer sein könnte. Ein Sachverständiger hatte den Angeklagten psychiatrisch untersucht und empfohlen, den Angeklagten wegen seiner Drogensucht für 18 Monate in einer Entziehungsanstalt unterzubringen. Wenn er den Entzug erfolgreich abschließt, und weil ihm die zehn Monate in der Untersuchungshaft angerechnet werden, könnte er danach auf Bewährung freikommen. „Wir hoffen und wünschen Ihnen, dass sie die Unterbringung erfolgreich nutzen“, sagte Richter Roch abschließend. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.