Ungläubig Richtung Europa
Der kleine SC Freiburg ärgert die Großen in der Bundesliga gewaltig, will aber nicht abheben
(dpa/SID/sz) - Am Morgen, nachdem der SC Freiburg Bundesliga-Geschichte geschrieben hatte, war der Ablauf im Breisgau wie immer. Um 10.00 Uhr am Montag versammelte sich die Mannschaft zum Auslaufen wie nach jeder anderen Partie auch. Die Twitter-Botschaft des Clubs allerdings verdeutlichte noch einmal, dass sich am Vortag etwas Denkwürdiges abgespielt hatte: „Nein, es war kein Traum“, schrieb der Club unter ein Bild der Anzeigetafel im BorussiaPark. Dort stand dieses 6:0 (6:0) des kleinen SC Freiburg bei der großen Borussia aus Mönchengladbach schwarz auf weiß. Es war ein Spiel, das es so noch nie gegeben hatte.
Trainer Christian Streich war der höchste Sieg seines SC in der Bundesliga fast schon unangenehm gewesen. Extrem zurückhaltend und respektvoll kommentierte er das Unfassbare. Dreimal hatten die Freiburger nach ihrem furiosen Saisonauftakt zuletzt nacheinander verloren, beim FC Bayern, gegen Frankfurt und in Bochum. In Gladbach hatten die Breisgauer zuletzt 1995 gewonnen – zum bis Sonntag einzigen Mal in der Fußball-Bundesliga. Umso bemerkenswerter und außergewöhnlicher verlief der Sonntag. „Ich habe hier noch nie gewonnen. Schön, dass das hier auch mal gelungen ist“, sagte der 56 Jahre alte Streich. Es war die einzige – höchst dezente – Freude, die er sich nach der Demütigung genehmigte.
Nach nicht einmal fünf Minuten hatte sein Team bereits 2:0 geführt, nach nicht einmal 20 Minuten 4:0 und nach nur 37 Minuten gar 6:0. Fünf Tore in den ersten 25 Minuten waren zuvor gar nie einem Auswärtsteam in der deutschen Eliteklasse geglückt. „Wahnsinn“, stammelte auch Streich angesichts des Scheibenschießens. „Jeder Schuss aufs Tor war heute drin. So etwas habe ich auch noch nie erlebt. Das ist nicht erklärbar.“Die Treffer von Maximilian Eggestein (2.) und Kevin Schade (5.) waren der Brustlöser, Philipp Lienhart (12.), Nicolas Höfler (19.), Lucas Höler (25.) und Nico Schlotterbeck (37.) legten jeweils nach Standards nach.
Auch für Nationalspieler Schlotterbeck war die erste Halbzeit „etwas surreal. Wenn du 1:0 nach zwei Minuten führst, dann kommst du in diesen Flow rein“, sagte Nationalspieler Schlotterbeck bei DAZN: „Dann hast du eine brutale Standardstärke, brutale Standardschützen und brutale Aktivität auf dem Platz.“
An der Wucht im Freiburger Spiel und Zielstrebigkeit lag dies nur zum Teil. Die Gladbacher, die erst vor gut einem Monat den FC Bayern München
furios mit 5:0 im DFB-Pokal gedemütigt hatten, waren ein dankbarer Gegner. Vom Anstoß an trabten die Borussen scheinbar teilnahmslos nebenher und verweigerten nahezu jeden Zweikampf. Zehn Gegentore kassierte die Borussia in wenigen Tagen, schon in der Vorwoche hatte sie sich im Derby beim 1. FC Köln 1:4 blamiert. Dabei fühlten sich die Gladbacher unter ihrem neuen Coach Adi Hütter im Vergleich zu Vorgänger Marco Rose und den etlichen Gegentoren in der vergangenen Saison schon weiter. Die katastrophale Leistung warf Fragen auf: „Entschuldigung, was für eine Scheiße passiert da gerade“, fasste Gladbachs Sportchef Max Eberl derbe seine Gedanken zusammen. „Warum wehren wir uns denn nicht?“
Ganz aus dem Nichts kommt die Freiburger Gala am Niederrhein aber nicht. Die im modernen Profifußball so angenehm bodenständig daherkommenden Südbadener sind in dieser Saison zu einem Spitzenteam gereift. „Wir haben im Sommer die Mannschaft gut zusammengehalten, kaum Stammspieler verloren. Viele Spieler arbeiten schon lange mit Christian Streich zusammen, da sind gewisse Automatismen einfach da“, erklärte Nils Petersen kürzlich im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“den Erfolgslauf der Breisgauer.
Dass diese inzwischen auch das Fehlen des verletzten Rekordtorschützen, der in den vergangenen Jahren beim Sport-Club nahe alleinverantwortlich fürs Toreschießen zuständig war, ohne größere Probleme kompensieren können, spricht für die Qualität des Kaders. „Der Konkurrenzkampf in der Mannschaft ist extrem hoch“, sagte Petersen. „Ich bin gespannt, wo das noch hinführen kann.“
Wenn die Freiburger weiter so spielen, dann Richtung Europa. Mit 25 Punkten liegen sie als Tabellenvierter auf Kurs Champions League. Obwohl der Sport-Club zuletzt unnötig Zähler verschenkt hat, haben vermeintliche Big Player wie RB Leipzig oder eben Gladbach satte sieben Zähler weniger. Doch das ist für Streich und seine Mannschaft ebenso wenig ein Grund zum Abheben wie der erste Auswärtssieg bei der Borussia seit 13 Jahren. „Ich muss die nicht runterholen. Die Mannschaft ist sehr, sehr diszipliniert und sehr auf dem Boden“, sagte der Trainer. Und als bräuchte es dafür noch eine Bestätigung, sagte Lienhart: „Von der Champions League will ich aktuell nicht reden.“Und doch: De facto wird das am Samstag (15.30 Uhr/Sky) anstehende Heimspiel gegen den Tabellenfünften Hoffenheim bereits ein direktes Duell um die Königsklasse.