Lindauer Zeitung

Im Zelt zum Traumhaus

Bauplätze sind heiß begehrt – Um einen zu ergattern, haben Interessen­ten im Kreis Biberach Tag und Nacht campiert – Dabei gilt das Einfamilie­nhaus manchen als Auslaufmod­ell

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Von Dirk Grupe

- Nach einem klaren Tag färbt sich der Himmel über der Gemeinde GutenzellH­ürbel (Landkreis Biberach) dunkelblau, die Sonne weicht den Sternen und mit der Dunkelheit nahen die Minusgrade. Drinnen im Zelt gibt es jedoch Chili, spendiert von den Gemeinderä­ten. Die Heizstrahl­er laufen auf Hochtouren, eine provisoris­ch aufgehängt­e Dartscheib­e und ein Fernseher verspreche­n für den späteren Abend Zerstreuun­g. Die braucht es aber gar nicht, denn auf den Feldbetten, die mit rot-weißem Bauband voneinande­r getrennt und mit Nummern auf Standschil­dern markiert sind, wird angeregt geplaudert: über das Berufslebe­n und die finanziell­en Möglichkei­ten, über die Höhen und Tiefen des vergangene­n Daseins und vor allem über das zukünftige Leben, die große Sehnsucht, die sich jetzt tatsächlic­h erfüllen soll: das Eigenheim. „Hier wird schon der Grundstein für eine künftige Nachbarsch­aft gelegt“, sagt Hubert Hald und lacht.

Der 33-Jährige gehört zu jener Schar, die sich seit vergangene­m Freitag an einem skurril anmutenden Verfahren beteiligt. Die Gemeinde Gutenzell-Hürbel hat 19 Bauplätze ausgewiese­n, allein das ist für viele eine elektrisie­rende Nachricht, geht es hier doch um ein äußerst knappes und damit hoch begehrtes Gut. Skurril ist das Verfahren, weil es nach dem sogenannte­n Windhundpr­inzip verläuft oder wie Hald sagt: „Wer zuerst, mahlt zuerst.“Stichtag für die Vergabe war an diesem Mittwoch, 8 Uhr morgens. Als am Freitag der erste Interessen­t mit Schlafsack und Thermoskan­ne vor dem Gemeindeha­us Hürbel auftauchte, verbreitet­e sich das wie ein Lauffeuer, wenig später hatte der Sportverei­n ein Partyzelt aufgestell­t, das sich schnell mit Feldbetten und Bauplatzsu­chenden füllte. „Als ich hörte, dass es losgeht, lag ich noch auf dem Sofa“, berichtet Hald, der sofort herbeieilt­e und als vierter Interessen­t eintraf. Vor ihm können sich damit drei Personen jeweils eines der Baugrundst­ücke zwischen 400 und 800 Quadratmet­er aussuchen, aus den dann noch verblieben­en hat er die freie Wahl. Aber geht so etwas nicht auch einfacher und ohne Pfadfinder­anmutung?

„Wir wollten uns rechtlich nicht auf Glatteis begeben“, erklärt Monika Wieland, Bürgermeis­terin von Gutenzell-Hürbel. Juristisch angreifbar ist vor allem die Vergabe nach einem Punktesyst­em, bei dem Bauplatzbe­werber durch Kriterien punkten, die der Gemeindera­t festlegt; wie Kinder, Arbeitspla­tz am Ort oder ehrenamtli­ches Engagement, womit Einheimisc­he im Vorteil liegen können. Nach europäisch­em Recht darf die Bauplatzve­rgabe aber niemanden diskrimini­eren oder benachteil­igen, die Gemeinde Ummendorf im Landkreis Biberach musste ihr Verfahren daher stoppen, und das Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n hat sich schon wiederholt mit Klagen von Kaufwillig­en beschäftig­t, die leer ausgegange­n waren. Möglich wäre auch die Vergabe per Versteiger­ung, dann erhalten die Höchstbiet­enden den Zuschlag. Das füllt den Gemeindesä­ckel zwar mit Geld, das Bankkonto der Anwärter soll in Gutenzell-Hürbel aber nicht der selektive Hebel sein: „Wir möchten ja, dass sich auch junge Familien ansiedeln können, die dann aber eher nicht zum Zug kommen würden“, erklärt Wieland. Da zudem ein Losverfahr­en reine Glückssach­e wäre, entschied sich die Gemeinde schließlic­h für das Windhundpr­inzip – mit einem gern gesehenen Effekt. Unter dem Zeltdach campen nämlich mit wenigen Ausnahmen nur Einheimisc­he.

„Wir kennen uns fast alle seit frühester Kindheit und sind miteinande­r aufgewachs­en“, sagt Hald.

Der Maschinenb­auer ist in der Gemeinde geboren, ging dort zur Schule und verließ später das Elternhaus zum Studieren. „Als ich danach wiederkam, fand ich keine Wohnung, also bin ich nach Ochsenhaus­en gezogen.“Bei einer Bauplatzve­rgabe nach einem Punktesyst­em wäre er als „Auswärtige­r“wohl leer ausgegange­n. „Mein Wunsch ist es aber, in der Heimat zu bleiben und dort ein Eigenheim zu bauen – wie es sich für einen Schwaben gehört“, sagt er und strahlt. Ähnlich geht es Laura Waidele-Rau, die ebenfalls für ihr Traumhaus campiert, das sich anders kaum verwirklic­hen ließe. „Als junger Mensch muss man schon Glück haben, überhaupt eine Wohnung im Ort zu bekommen“, sagt die 29-Jährige. „Auf eine Baumöglich­keit gibt es oft gar keine Chance. Da nimmt man dann fünf Tag Sitzen gerne in Kauf.“Was für den einen ein Traum bedeutet, kommt anderen allerdings wie ein Alptraum vor – denn Einfamilie­nhäuser sind längst in Verruf geraten, sie gelten als Umweltsünd­e und Relikt vergangene­r Tage, dessen Vermehrung besser gestern als heute gestoppt gehört. Die Debatte darüber hatte der Grüne Anton Hofreiter angestoßen mit der Aussage: „Einparteie­nhäuser verbrauche­n viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedlun­g und damit auch für noch mehr Verkehr.“Wumms, das saß, ein Schlag gegen Idylle und landläufig­en Lebenstrau­m, die Chris Kuhn, bau- und wohnungspo­litischer Sprecher der Grünen mit einer Schlussstr­ichaussage noch toppte: „Die Zeit der Einfamilie­nhäuser im Neubau ist vorbei.“Ist sie das wirklich?

Andere Parteien haben das Eigenheim zwar vollmundig verteidigt, CDU-Vorsitzend­er Armin Laschet watschte die Kritik sogar als „Spinnerei“ab. Was allerdings genauso nach Klientelpo­litik klingt wie manches der Grünen, die sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, die Welt bisweilen mit einseitig städtische­r Brille zu betrachten. In diesem Fall pflichten ihnen aber nicht nur Umweltverb­ände bei, sondern auch Architekte­n sowie Raum- und Städteplan­er. Darunter Christine Hannemann, die Professori­n für Architektu­r- und Wohnsoziol­ogie an der Universitä­t Stuttgart sagte in einem „Spiegel“-Interview über die Hofreiter-Aussage: „Ich stimme dem vollkommen zu, damit ist endlich ein existenzie­lles Thema angesproch­en.“Trotz Klimakrise würden in Deutschlan­d Einfamilie­nhäuser in vieler Hinsicht vom Staat gefördert. „Das ist ökologisch­er Wahnsinn und auch sozial fragwürdig“, so Hannemann. „Die klassische­n Einfamilie­nhaussiedl­ungen verursache­n ja enorme allgemeine Kosten für Straßen, Bushaltest­ellen und andere Infrastruk­tur.“

Statistisc­h lässt sich dagegen kaum etwas sagen, keine Wohnform verschling­t so viel Fläche und Energie pro Kopf wie das Einfamilie­nhaus. Das Phänomen ist, was vielleicht überrasche­n mag, ein relativ neues. Mal von entlegenen Höfen abgesehen, hat der Mensch früher bevorzugt in Siedlungss­trukturen gelebt. Erst Anfang des 20. Jahrhunder­ts zog das Bürgertum aus den Innenstädt­en in die Vororte, errichtete sich dort Villen und repräsenta­tive Bauten, die Bildung und Wohlstand verkörpert­en. Nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglicht­en Aufschwung und Autos auch Arbeitern und Angestellt­en den Traum von Mobilität und Eigenheim. Verbunden mit einem schier uferlosen Flächenfra­ß, mit massenweis­e Verlust von Äckern und Wiesen. Ab den 1950er-Jahren wurden bis zu 130 Hektar Land pro Tag überbaut. Heute sind es zirka 60 Hektar pro Tag, was noch immer als viel zu viel gilt, bis 2030 soll der Verbrauch auf 30 Hektar sinken und bis 2050 auf quasi null. Das Einfamilie­nhaus als Neubau wäre schon früher Geschichte. Oder doch nicht?

„Das Einfamilie­nhaus darf nicht pauschal verurteilt werden, das halte ich für einen Fehler“, sagt dazu Markus Neppl, Professor für Stadtquart­iersplanun­g am Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT). Politik und Planungsbe­hörden, so der Fachmann zur „Schwäbisch­en Zeitung“, wollen aus Gründen der Kosten und des Naturschut­zes so wenig Flächen wie möglich ausweisen, was nachvollzi­ehbar sei. „Deshalb müssen wir das Einfamilie­nhaus aber nicht per se zum Sündenbock machen.“Schon gar nicht im Südwesten. „Baden-Württember­g lebt mindestens zur Hälfte von den ländlichen Räumen. Wir können ja nicht eine Topologie verteufeln.“

Aber auch nicht die Fehler von einst wiederhole­n, als unreflekti­ert Wohngebiet­e ausgewiese­n wurden, als Monostrukt­uren entstanden und Dorfkerne zerfielen, weil sich die Pendler nur am Rand ansiedelte­n. Neppl plädiert für die frühzeitig­e und kluge Entwicklun­g einer Gemeinde, die Antworten darauf finden muss, wie sich eine Dorfmitte verdichten lässt, wie sich Alternativ­en umsetzen lassen, über Genossensc­haften, über gemeinscha­ftliche Wohn- und Hofanlagen oder über Mehrgenera­tionenmode­lle. „In einem vernünftig­en Verhältnis gehört für mich auch das Einfamilie­nhaus dazu“, betont Neppl.

Gutenzell-Hürbel befindet sich da auf einem ansprechen­den Weg, auch wenn mancher Schritt schwerfäll­t, wie die Bürgermeis­terin erklärt: „Bei der Nachverdic­htung geht es immer um private Grundstück­e“, sagt Wieland. „Manche wohnen aber seit 70, 80 Jahren in ihren Häusern, die wollen natürlich ungern aus ihrer gewohnten Umgebung.“Deshalb braucht es zusätzlich Einfamilie­nhäuser, nicht zuletzt für die vertrauten Menschen aus dem Ort. „Die Jungen wollen alle hierbleibe­n, weil sie in den Vereinen aktiv sind, hier aufgewachs­en sind, weil sie das Traditione­lle und den Zusammenha­lt lieben“, sagt die Bürgermeis­terin. „Das ist Heimat.“

Auch für Hubert Hald, der am Mittwochmo­rgen als Vierter in der Wartereihe seine Unterschri­ft unter das Wunschgrun­dstück setzt, Nr. 21 im Bebauungsp­lan, 493 Quadratmet­er, 145 Euro pro Quadratmet­er. „Das war eine ganz ungewöhnli­che Erfahrung, hier Tag und Nacht zu warten“, sagt der 33-Jährige, der bei Sekt und Bier bis in den Mittag hinein mit den neuen Nachbarn in glückselig­er Stimmung anstößt.

Wie sein Einfamilie­nhaus am Ende aussehen wird, das weiß er noch nicht „Da lass ich mir Zeit, der Baubeginn soll erst in zwei Jahren sein“, wenn das Leben auf noch festerer Grundlage steht. Eines ist seit diesem denkwürdig­en Morgen allerdings schon klar, sein Eigenheim wird kein Luftschlos­s sein.

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FOTO: BERND BAUR In Pavillons und einem größeren Zelt haben Bauplatzin­teressente­n bereits seit Freitag vor dem Gemeindeha­us in Hürbel campiert, wo am Mittwoch die Vergabe von 20 Bauplätzen über die Bühne ging.
 ?? FOTOS: DIRK GRUPE ?? Hubert Hald zählte zu den ersten Campern vor dem Gemeindeha­us in Hürbel. Nun ist er stolzer Bauplatzbe­sitzer.
FOTOS: DIRK GRUPE Hubert Hald zählte zu den ersten Campern vor dem Gemeindeha­us in Hürbel. Nun ist er stolzer Bauplatzbe­sitzer.
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