Äpfel und mahnende Worte zum Amtsantritt
Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Kabinett sind vereidigt – Bundespräsident Steinmeier warnt vor Spaltung der Gesellschaft
- Es ist genau zwanzig nach zehn an diesem Tag des Machtwechsels in Berlin, als Olaf Scholz zum ersten Mal mit seinem neuen Titel angesprochen wird. „Herr Bundeskanzler“, sagt Parlamentspräsidentin Bärbel Bas nach erfolgreicher Kanzlerwahl, „ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses“. Zumindest das halbe Haus steht anschließend Schlange, um den neuen Regierungschef zu beglückwünschen: Es gibt Händeschütteln, Umarmungen, Blumensträuße und sogar einen Korb rot-gelb-grüner Äpfel. Der CDUWahlverlierer Armin Laschet ist übrigens einer der ersten, der Scholz eine freundliche Corona-Faust entgegenstreckt.
Mittendrin ein beinahe dauerlächelnder Scholz, was die meiste Zeit allerdings nur an den Augenfältchen zu erkennen ist, denn auch der neue Bundeskanzler muss im brechend vollen Bundestag die Maskenpflicht einhalten. Ein paar Mal nimmt er den dunklen Mund-Nasen-Schutz allerdings doch ab, und beim ersten Anlauf gelingt das erst in letzter Sekunde. Als er nämlich „die alles entscheidende Frage“von Bundestagspräsidentin Bas beantworten soll, ob er die Wahl annehme. Die Maske legt Scholz noch rasch beiseite, fürs Aufstehen und Mikrofon Anschalten reicht es nicht mehr. Aber derselbe Olaf Scholz, der sonst am liebsten in Flüstertönen kommuniziert, füllt mit seinem im Sitzen gesprochenen „Ja“nun den ganzen Plenarsaal. „Das war laut und vernehmlich“, stellt auch Bas zufrieden fest.
Ein paar Meter über ihm auf der Besuchertribüne sitzt derweil die Frau, die nach 16 Jahren nun die ExBundeskanzlerin ist. Um zehn Tage nur hat sie den Amtszeitrekord von Helmut Kohl verpasst. Überpünktlich ist sie erschienen und nutzt die Zeit prompt für ein längeres Gespräch mit dem Mann, der durch das Wort Kanzleramtsminister wohl nur unzutreffend beschrieben ist: Wolfgang Schmidt ist so etwas wie die rechte und linke Hand sowie auch noch ein Teil der rechten und linken Hirnhälfte von Scholz. Einen Rucksack über der Schulter läuft er zwischendurch über die Reichstagsgänge; er geleitet Scholz-Gäste auf ihre Plätze, plaudert mit Scholz’ Ehefrau Britta Ernst und macht offenbar mit Merkel letzte Einzelheiten für die Regierungszentrale klar. Das Wort „Arbeitskosten“weht vom Zwiegespräch mit der Kanzlerin herüber.
Um 10.40 Uhr kommt der neue Kanzler im Schloss Bellevue an. Im Großen Saal wartet einsam die Ernennungsurkunde. Dann geht es ganz schnell. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier übergibt die Urkunde, Olaf Scholz unterschreibt die Ernennungsurkunden für seine Kabinettsmitglieder und fährt wieder zurück in den Reichstag. Vor der Vereidigung werden Fotos gemacht. Viele Fotos. Die Bundestagspräsidentin hat eine Ausnahmegenehmigung erteilt, weil sie nach eigenem Bekunden keine Lust hat, mehr als 700 Ordnungsrufe zu erteilen. Der Linke Ex-Parteivorsitzende Klaus Ernst lässt sich noch schnell mit Scholz ablichten, dann eilt Letzterer zum Präsidiumspult und fragt nach, wo er Platz nehmen darf. Und tatsächlich darf er auf die Regierungsbank.
Eine Minute nach 12 wird er zur Vereidigung gerufen. Scholz liest den Text ab. Ohne zu stocken. Fehlerlos. Er schwört, „dem Wohle des Volkes“zu dienen und „Schaden von ihm abzuwenden“. Ohne den Zusatz „So wahr mir Gott helfe“. Dann stellt Bärbel Bas fest, dass der vorgegebene Eid geleistet ist. Dass bei der Kanzlerwahl gleich 21 Stimmen aus den eigenen Reihen fehlten, will nicht mal die Opposition als schlechtes Omen nehmen. „Ganz normales Geschäft“, nennt das Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Das sei bei den Wahlen von Merkel auch so gewesen.
Olaf Scholz hat es also geschafft. Fast. Denn er, seine Ministerinnen und Minister und die Medien ziehen wieder zum Amtssitz des Bundespräsidenten. Mit dem Auto. Außer Agrarminister Cem Özdemir. Der Grüne legt die knapp zwei Kilometer öffentlichkeitswirksam mit dem Fahrrad zurück.
Im Bellevue stehen Scholz und Steinmeier vorn, das neue Kabinett sitzt. Der Bundespräsident erklärt, dass nur die Ernennungsurkunde vom Vizekanzler „Doktor Robert Habeck“verlesen werde. Alle anderen kommen nacheinander nach vorn, angeln sich ihre Urkunden von einem gläsernen Ständer und empfangen Glückwünsche. Als alle durch sind, raunt Steinmeier dem Kanzler zu: „Ich glaube, Du kannst Dich jetzt auch setzen.“
Dann spricht der Bundespräsident. Von der gewaltigen Aufgabe, die sich Scholz und seine Regierungsmannschaft aufgeladen haben. Das Land stehe „ohne Zweifel vor großen Herausforderungen“. Zum Beispiel vor einer Pandemie, die mit Omikron gerade wieder neuen Anlauf zu nehmen scheint. Steinmeier spricht von der Klimapolitik, von der „Digitalisierung des Landes“, von all dem Fortschritt, dem sich die Ampel verschrieben habe. „Ihre Botschaft ist klar, es sollen Jahre der Veränderung werden.“Und Steinmeier warnt, dass man darauf achten müsse, dass auch die Veränderungsskeptiker mitgenommen werden müssten.
Nun bleibt nur noch die Vereidigung der Ministerinnen und Minister. Wieder im Bundestag. Als die einzelnen Aufrufe erfolgen, bekommen die Grüne Annalena Baerbock und der Sozialdemokrat Hubertus Heil den meisten Beifall. Die grünen Kabinettsmitglieder verzichten beim Eid auf den Wunsch nach Gottes Hilfe, die der FDP nicht, und bei der SPD sind es immerhin fünf Ministerinnen und Minister, die den religiösen Eideszusatz verwenden.
Bei der Amtsübergabe im Kanzleramt kann die Ex-Kanzlerin endlich ihrem Ex-Vizekanzler gratulieren. Als Nicht-Abgeordnete durfte sie im Reichstag nicht in den Plenarsaal. Scholz bedankt sich bei Angela Merkel „für die Arbeit der letzten 16 Jahre“.
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