Lindauer Zeitung

Auf die Ampel-Koalition warten fünf große Baustellen

Corona, Finanzen, Klima, Zuwanderun­g und Rechtsstaa­tlichkeit – Was die neue Regierung zuerst angehen muss

- Von Von Hajo Zenker, Dieter Keller, Igor Steinle, Claudia Kling und Stefan Kegel

- Der Koalitions­vertrag von SPD, Grünen und FDP ist 177 Seiten dick – eine Arbeit für vier Jahre. Wir nennen fünf Punkte, an denen die Koalition in ihren ersten Monaten nicht vorbeikomm­en wird.

Corona Was Corona für die neue Bundesregi­erung bedeutet, zeigte sich schon vor ihrem offizielle­n Amtsantrit­t – die Ampel-Fraktionen nahmen mit dem Auslaufen der „epidemisch­en Lage nationaler Tragweite“diverse harte Maßnahmen der Pandemiebe­kämpfung aus dem Spiel. Aus der Überzeugun­g heraus, die Geimpften nicht weiter ihrer Freiheitsr­echte berauben zu dürfen. Nur passte die Entwicklun­g der Inzidenzen und die Lage auf den Intensivst­ationen nicht zu solchen Lockerunge­n. Und so schärfte die Ampel im Bundestag die Maßnahmen nach – gleich zweimal.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) hat denn auch bei seiner Amtseinfüh­rung das Beenden der Pandemie zur vordringli­chsten Aufgabe erklärt. Dazu gehöre, 30 Millionen Impfungen in den letzten sechs Wochen des Jahres zu erreichen. Und im neuen Jahr müsse man die Kampagne dann mit OmikronVak­zinen weiterführ­en.

Finanzen Als eine seiner ersten Amtshandlu­ngen als Finanzmini­ster muss Christian Lindner (FDP) den Bundeshaus­halt 2022 samt der mittelfris­tigen Finanzplan­ung bis 2025 aufstellen. Bevor der Bundestag nicht beides beschlosse­n hat, darf die Ampel keine neuen Projekte anfangen, sondern nur bereits Laufendes

fortführen. Der Neue im Amt hat bereits angekündig­t, dass er mit der dort vorgesehen­en Neuverschu­ldung von knapp 100 Milliarden Euro trotz neuer Pläne auskommen will. So viele neue Kredite sind nur möglich, wenn der Bundestag zum dritten Mal wegen Corona eine Ausnahme von der Schuldenbr­emse beschließt. Lindner hat fest versproche­n, diese Vorschrift im Grundgeset­z ab 2023 wieder einzuhalte­n.

Klima Klimapolit­isch hat sich die Ampelkoali­tion einiges vorgenomme­n. 80 Prozent des Stromverbr­auchs soll 2030 aus erneuerbar­en Quellen stammen – und das bei einem höheren Verbrauch als jetzt. Irgendwohe­r muss die Energie für die 15 Millionen E-Autos ja herkommen, die zu diesem Zeitpunkt unterwegs sein sollen. Denn „idealerwei­se“sollen dann keine Kohlekraft­werke mehr am Netz sein. Damit dieser extrem ambitionie­rte Plan gelingt, muss das Planungsre­cht so schnell wie möglich gestrafft werden. Bisher dauert der Genehmigun­gsvorgang für ein Windrad oft Jahre. Um Konflikte mit anderen Politikzie­len wie dem Artenschut­z auszuräume­n, ist zudem geplant, dem Ausbau der Erneuerbar­en eine per Gesetz höhere Priorität einzuräume­n, indem man sie zu „öffentlich­em Interesse“erklärt. Das müsste schnell angegangen werden.

Zuwanderun­g Der wachsende Antisemiti­smus, die steigende Zahl rechtsextr­emer Straftaten, Hass und Hetze im Internet – die Woche der neuen Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) könnte mindestens zehn

Tage haben, wenn sie allen dringliche­n Aufgaben gerecht werden wollte. Der größte Brocken dürfte allerdings die Migrations- und Integratio­nspolitik sein. Kaum ein Thema hat die Deutschen in den vergangene­n Jahren emotional so aufgewühlt wie dieses – und dass es nicht gelöst ist, zeigt die Belarus-Krise. Die Ampel-Regierung hat im Koalitions­vertrag festgehalt­en, „irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration ermögliche­n“zu wollen. Konkret heißt das, sie will gleichzeit­ig Asylverfah­ren beschleuni­gen und eine „Rückführun­gsoffensiv­e“, insbesonde­re für Straftäter und Gefährder, starten. Zudem soll es für Fachkräfte aus dem Ausland leichter werden, in Deutschlan­d zu arbeiten.

Rechtsstaa­tlichkeit Deutschlan­d wird sich nicht drücken können, wenn es um die Entscheidu­ng geht, wie die EU künftig mit Brüchen von Rechtsstaa­tlichkeit innerhalb und außerhalb des Bündnisses umgeht. War Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch relativ nachsichti­g, was die Abkehr von diesen Prinzipien anbetraf, so hat die Ampel eine „wertebasie­rte Außenpolit­ik“versproche­n und eine härtere Linie gegenüber EU-Mitgliedst­aaten und autoritäre­n Regimen wie China angekündig­t. Die ersten Bewährungs­proben stehen direkt bevor. Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) wird am Wochenende am Treffen der G7Außenmin­ister teilnehmen, bei dem es neben Corona auch um die Lage der Menschenre­chte weltweit gehen wird. Und kommende Woche wird Kanzler Olaf Scholz (SPD) beim EUGipfel auf die Ministerpr­äsidenten von Ungarn und Polen treffen, die mit ihrer Politik ins Visier der EUKommissi­on geraten sind.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Der Koalitions­vertrag: 177 Seiten voller Aufgaben.

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